Beiträge im Archiv Januar 2004

Blut am Flügel/Thomas Larcher im Theaterhaus Stuttgart

19.
Jan.
2004

Dunkel ist´s im T2 des Theaterhauses, man sieht kaum die Hand vor Augen, bloß der Steinway da unten auf der Bühne glänzt schwarz im Spot des Scheinwerfers. Man hört Schritte, irgendwo scheint einer im Hintergrund umherzutapsen, der den Eingang zur Bühne nicht findet, doch dann kommt er rein, der Pianist: ein Lulatsch in Straßenklamotten, über die er einen abgetragen aussehenden Frackblazer gezogen hat – schräg sieht das aus, clochardmäßig irgendwie. Einen ehrwürdigen Tastenkünstler stellt man sich anders vor. Doch der Mann kann Klavier spielen. Stürzt sich gleich auf das bleckende Gebiß des Steinway, dem er die seltsamsten Klänge entlockt; man hört bekannte Muster heraus, mal klingt´s nach Stomp-Piano, dann kreisen rhythmisch ostinate Minimal-Music-Patterns um sich selber, alles zusammen wirkt wie eine manische Improvisation, bei der es so, aber jederzeit auch ganz anders weitergehen könnte. Zwischendurch leckt der Pianist seine Fingerkuppen ab, dann kommt plötzlich eine ganz vertraut klingende, tonale Stelle, idyllisch fast, bis die Motive wieder weiter ziellos im Raum mäandern. Dann ist das (Musik-)Stück aus, doch das Stück geht weiter. Der Pianist ruft nach dem Klavierstimmer, da er sich den Finger verletzt habe und das wertvolle Instrument nun in Gefahr sei, blutig inkrustriert zu werden. Eine ganz in rot gewandete Dame stürzt auf die Bühne und wischt mittels Handtuch auf den Tasten rum, ein junger Asiate löst sie ab, da tritt schon wieder der Pianist dazu, und nun putzen sie gemeinsam das Blut von den Tasten. Eine Performance, das alles? Ein unbekanntes Stück von Thomas Bernhard, eine musikalisch-theatralische Handlungsanweisung des Wiener Aktionskünstlers Hermann Nitsch?

(Stuttgarter Zeitung)

Ach was. Bloß ein von Musik der Jahrhunderte veranstaltetes Konzert mit dem österreichischen Pianisten und Komponisten Thomas Larcher, der im ersten Teil des Abends hier sein Werk Noodivihik spielte, was Notenheft heißt, auf estnisch freilich. Kleine Verfremdungen, die auch zu Larcher passen, der überhaupt ein rechter Sonderling in der Szene der neuen Musik ist. Auf Rituale pfeift er – der schäbige Frack ist ihm ironisches Zitat – aber mit der Kunst ist es ihm ernst. Seinen Adorno hat er wohl noch gelesen, dessen Berührungsängste mit dem Populären aber sind ihm schnurzegal. Glass und Cage, Feldman und Techno amalgamiert er in seiner eigenen Musik, und von den alten Komponisten, da liegt ihm der Schubert Franz besonders. Der versetze ihn, so erzählt Larcher später im Gespräch mit Hans-Peter Jahn, in eine andere Zeitzone und belegt es nachhaltig mit Schuberts Klavierstück Es-Dur D 946 und dem Allegretto c-moll D 915, das er ganz auratisch und versunken spielt. Seelenverwandte, ohne Frage.

Nun hätte der Abend ja eigentlich ergänzt werden sollen durch eine Lesung von Klaus Wagenbach, der über die Zukunft der Bücher sprechen sollte, doch der Fluglostenstreik in Italien verhinderte dessen Abheben nach Stuttgart. So wurde es halt eine Veranstaltung über die Zukunft der Töne. Die kann auch in Kieselsteinen liegen. Die sind in der Lage, Musik zu machen, wenn man sie nämlich in den Bauch des Flügels legt und in seinen Eingeweiden ins Schwingen bringt. Der Pianist als Saitenbeschwerer: Auch diesen Job erledigt Larcher ohne jeden Anflug von Ironie, auch wenn es wieder schwer nach Theater aussieht. Doch wer danach genau hinhört, der kann die Steine wirklich singen hören. Bleibt zum Schluss die Frage nach der angeblichen Fingerverletzung und der Putzerei: Blut oder Bluff, echt oder getürkt? Man könnte ja die Spurensicherung kommen lassen.