Reporter auf der Jagd

25.
Okt.
2010

Dauererigierte Mikrofone in Fernsehmagazinen

Reporter auf der Jagd

Man muss ja heute schon froh sein, wenn man keine Leiharbeiter beschäftigt. Falls man dazu noch die Chuzpe besitzt, ein Cabrio zu fahren, kann es einem nämlich passieren, dass man an einer roten Ampel plötzlich von Reportern überfallen wird, die einem Fragen zu Lohnabrechnungen stellen. So geschehen vor einigen Wochen auf RTL. Oder war es SAT1? Ja, man kann da schon ein bisschen durcheinanderkommen bei all dem investigativen Furor, der da seit einiger Zeit im Abendprogramm Brisanz vortäuschen soll. Anstatt Fakten und Argumente abzuwägen, setzt man in den entsprechenden Magazinen lieber auf die kamerabegleitete Ermittlungsarbeit vor Ort. Dass es um das Aufdecken von gesellschaftlich relevanten Missständen gehe, wird dabei gerne vorgeschoben – bei näherer Betrachtung scheint es eher darum zu gehen, Vorurteile zu bestätigen und Stimmungen zu bedienen. Sündenböcke sind in der Regel die üblichen Verdächtigen aus Wirtschaft, Industrie und Politik:  Magazinjournalismus als Beschwichtigungsprogramm für eine verunsicherte Gesellschaft, der das Grundgefühl von Gerechtigkeit abhanden gekommen ist. Klar: Wer für ein paar Euro in der Stunde arbeiten muss und sieht, wie sich gleichzeitig Manager und Banker die Taschen vollstopfen, für den bedeutet es eine gewisse Genugtuung, wenn abends im Fernsehen ein paar von denen da oben bloßgestellt werden.

So werden Abend für Abend große Strippenzieher und kleine Profiteure von dienstbeflissenen Reportern gejagt, deren Waffe das dauererigierte Mikrofon mit Senderaufdruck ist, das sie kampfbereit vor sich hertragen. Und wer einmal ihn die Fänge der Reporter geraten ist, hat schon fast verloren. Am schlimmsten trifft es in der Regel jene, die sich trauen, unvorbereitet vor laufender Kamera zu antworten. Dann kann es ihnen gehen wie am letzten Dienstag der Familienministerin Kristina Schröder, die sich in einem  offenbar spontanen Interview mühte, etwas Schlüssiges zum Thema Integration zu sagen, sich dabei leicht verhedderte und dafür anschließend in Frontal 21 gnadenlos durch den Kakao gezogen wurde. Dass auf den ihr entgegengehaltenenen Mikrofonen die Senderlogos der Öffentlich-Rechtlichen prangten, verleitete die naive Ministerin wohl zu den  Annahme, von derart renommierten Institutionen nicht in die Pfanne gehauen zu werden. Von wegen. Das freimütig gebenene Statement wurde samt Versprechern ungeschnitten gezeigt und von einem Sprecher im Off süffisant kommentiert. Hauptsache, man kann mal wieder über unsere Politiker lachen.

Wer schlauer ist, wie der Mann im Cabrio, sagt lieber gar nichts und braust einfach davon. Was ihm aber auch wenig nützt, bestätigt er damit doch den unausgesprochenen Grundverdacht: Wer flüchtet, hat was zu verbergen. Subtil aufgebaute Ressentiments tun ein Übriges, die Verdächtigen in ein schlechtes Licht zu rücken. „Die Geschäfte scheinen gut zu laufen“ raunte der Sprecher süffisant, als das Cabrio durchs Bild flitzte. Na, der muss doch Dreck am Stecken haben, wenn er so eine dicke Kiste fährt.

Und wenn man gar keine Schweinereien mehr finden kann, dann erfindet man einfach welche. In einer der letzten Ausgaben der ZDF-Sendung „Die Reporter“ ging  es (mal wieder) um Lebensmittel, genauer gesagt um Geschmacksverstärker. Der sogenannte Hefeextrakt ist in vielen Fertigprodukten enthalten und wirkt geschmacksverstärkend, ist aber kein Zusatzstoff und muss deshalb laut Lebensmittelrecht nicht als solcher deklariert werden. Eigentlich ist das ganz einfach. Die ZDF-Reporter aber bauschten es wild entschlossen zum

Skandal auf, für den Verantwortliche gesucht und  zur Rechenschaft gezogen werden mussten. Nachdem zunächst unschuldige Tütensuppenkäufer in einem Supermarkt  auf ihre Kenntnisse über Hefeextrakt befragt wurden – mit den erwartbaren Antworten – zog der Trupp weiter auf eine Lebensmittelmesse, um dort Suppenproduzenten mit dem unhaltbaren Zustand  zu konfrontieren. Die wiesen – wenig überraschend – auf das Lebensmittelrecht hin, worauf der wackere Reporter auf die riesige Firmenzentrale von Unilever in Hamburg zusteuerte. Da nimmt einer für die Verbraucher den Kampf mit der Großindustrie auf, sollten die respektheischend inszenierten Bilder sagen. Viel Aufwand für nichts: man wolle seitens der Firma keine Interviews vor laufender Kamera geben, resümierte der Reporter. Na, die werden schon ihre Gründe haben. Der Beitrag endete mit einem Überfall auf die Verbraucherministerin Ilse Aigner, die souverän konterte und ebenfalls auf geltendes Recht verwies, was den Reporter erst recht in Rage brachte. Bockig rief er ihr hinterher, sie solle doch nun bitte schön mal sagen, ob Hefeextrakt nun ein Geschmacksverstärker sei oder nicht, und ob er nun als solcher bezeichnet werden dürfe. „Jetzt geben Sie mir doch bitte mal ´ne Antwort, der Verbraucher möchte das doch wissen!“ Wenn er sich da mal bloß nicht täuscht. (Stuttgarter Zeitung)

 

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