Über die Schönheit in der Musik

25.
Mrz.
2011

Von der Schönheit in der Musik

In der Klassikszene bestimmt zunehmend das Aussehen die Karrierechancen

Sie sind jung, sie sind erfolgreich und sie sehen gut aus. Ja, manche der aktuellen Klassikstars sehen sogar derart gut aus, dass man beim Betrachten ihrer Fotos eher an Hollywood denken würde als an Bach oder Beethoven. Am auffälligsten ist es bei den Geigerinnen, wo seit einigen Jahren ein attraktives Geigenwunderfräulein nach dem anderen die Szene betritt. Jüngstes Beispiel ist die Norwegerin Vilde Frang, die vor zwei Jahren bei dem Ludwigsburger Festspielen und unlängst auch im Festspielhaus Baden-Baden debütierte. Längst etabliert sind Schönheiten wie Julia Fischer oder Arabella Steinbacher, die auch auch als Models durchgehen könnten. Auch mit der blonden Cellistin Sol Gabetta lässt sich trefflich werben.

Doch das Phänomen ist nicht auf die Frauen beschränkt. Auch was die Nachwuchspianisten anbelangt, so sind darunter auffällig viele attraktive Exemplare: etwa die Franzosen Alexandre Tharaud, David Fray oder auch der Deutsche Martin Stadtfeld.

Wie kommt es, dass musikalische Hochbegabung anscheinend immer häufiger mit physischer Attraktivität einhergeht? Und wo bleiben jene Musiker und Musikerinnen, die körperliche Makel haben?

Wenn  nicht alles täuscht, befinden wir uns längst im Prozess eines tief greifenden Paradigmenwechsels innerhalb der klassischen Musik. Die bildete bis vor einigen Jahren noch eine Gegenwelt zum schnöden Kommerz. Statt um Glamour ging es um Wahrhaftigkeit, künstlerischen Ausdruck und authentisches Gefühl. Mit dem Schwund des Bildungsbürgertums freilich schrumpfte allmählich jene Schicht, die überhaupt in der Lage war, interpretatorische Unterschiede  einzuschätzen. Gleichzeitig wurde der musikalische Nachwuchs immer besser – die Musikhochschulen und Konservatorien stoßen heute Jahr für Jahr viel mehr technisch perfekte Hochbegabungen aus, als der Markt aufnehmen kann.

Die Auswahl für die Plattenfirmen ist also groß. Doch womit sollen sich die aufstrebenden Talente profilieren, wenn das klassische Repertoire bereits in unzähligen Aufnahmen vorliegt und kaum neues hinzukommt?  Da lag es nahe, weniger auf interpretatorische denn auf optische Distinktion zu setzen. Das passt schließlich zum Zeitgeist: Wer hört sich heute im Plattenladen (sofern es überhaupt noch einen in der Nähe gibt) verschiedene Aufnahmen eines Werks an? Da greift man lieber zu der CD mit dem schönsten Gesicht auf dem Cover.

Der Zeitpunkt, zu dem die Vermarktungsmechanismen des Pop begonnen haben, langsam in die Welt der Klassik einzusickern, lässt sich im Rückblick – zumindest in Deutschland – an dem Auftauchen von Anne-Sophie Mutter festmachen. Mit der jungen, attraktiven, von Herbert von Karajan, einem anderen Medienstar, nachhaltig protegierten Geigerin setzte die Plattenindustrie auf eine  Werbekonzept, das Image und Optik in den Vordergrund stellte. Legendär das Cover der „Vier Jahreszeiten“-CD mit der 21-jährigen Mutter als Waldnymphe, unzählig die Fotos im langen, schulterfreien Kleid. Den vorläufigen Höhepunkt von Mutters ästhetischer Stilisierung markiert ihre jüngste CD mit  Klaviertrios von Mozart. Das Cover zeigt ein madonnenhaft verklärtes, faltenlose weißes Antlitz wie aus einer Lancome-Reklame, „Mutter-Mozart“ prangt daneben in Großlettern.

So was stellt man sich gerne ins Regal.

Nun sind die meisten der Klassikjungstar tatsächlich exzellente Musiker, Julia Fischer oder Hilary Hahn zählen ohne Zweifel zu den besten Geigern unserer Zeit. Bei manchen aber kann man Zweifel anmelden. Wie bei der Pianistin Hélène Grimaud, der zarten Französin, die mit den Wölfen tanzt, pianistisch aber zu wünschen übrig lässt. Oder bei Nikolai Tokarew, einem anderen Pianojungstar, der  zwar ein cooles Image besitzt, aber nur wenige Ausdruckskategorien zu kennen scheint.

Auf der anderen Seite gibt es Musiker, die seit Jahren zur internationalen Elite zählen, aber Schwierigkeiten haben, eine gute Plattenfirma zu finden. Wie der deutsche Pianist und Supertechniker Bernd Glemser, der jahrelang seine CDs für das Billiglabel Naxos einspielte. Oder sein Kollege Michael Korstick, der seinen hoch gelobten Zyklus mit Beethovensonaten für Oehms-Classic produziert. Beide sehen eher durchschmittlich aus, spektakuläre Hobbys sind von ihnen nicht bekannt. Für BUNTE-Homestories taugen sie nicht.

Zum Glück gibt es noch einzelne Plattenfirmen wie die Münchner ECM, die sich sich in ihrer Künstlerauswahl nach wie vor kompromisslos an Qualität orientieren. Und auch, wenn die Podien immer mehr von jungen Geigenschönheiten besetzt werden: einen Großteil der Klavierabende bestreiten nach wie vor gesetzte ältere Herren und Damen. Die sechsundsechzigjährige Elisabeth Leonskaja wird vom Publikum so geliebt wie der kommerzielle Totalverweigerer Grigory Sokolow. Auch Alfred Brendel lag auf seiner Abschiedstournee vor drei Jahren das Publikum zu Füßen.

Trotzdem fragt man sich: würde der Charakterkopf Brendel, wäre er heute ein junger Pianist, noch einen Plattenvertrag bekommen? Hätte er eine Chance gegen die adretten Stadtfelds und Tharauds? Wer wird dieses grandiose kulturelle Erbe, das die klassische Musik darstellt, in Zukunft weiter pflegen? Wen wollen wir hören in den Konzertsälen? Die Besten oder die Schönsten?

Mit vielen Beispielfotos veröffentlicht im Kulturfinder-BW.

 

Ein Kommentar vorhanden

  • bOOgie
    2. April 2011 07:40

    Es scheint, dass der Klassikbereich nach neuen Absatzmärkten sucht um aus der wirtschaftlichen Krise heraus zukommen. Seit dem Aufkommen von digitalen Formaten wie mp3, die problemlos kopierbar und übers Internet illegalerweise zu verbreiten sind, sinken die Absatzzahlen der gesamten Musikindustrie dramatisch.

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