Das Royal Philharmonic Orchestra Liverpool mit Vasily Petrenko

01.
Apr.
2011

Schicksalston und Gute-Laune-Musik

 

Vasily Petrenko

Vasily Petrenko

Dass es in Großbritannien nicht nur in London ausgezeichnete Orchester gibt, hat sich inzwischen herumgesprochen. Zwar gelten die großen Hauptstadtorchester noch immer als die führenden Klangkörper, aber was einst Simon Rattle mit dem Orchester aus Birmingham geschafft hat, das ist jetzt Vasily Petrenko im Begriff, mit dem Royal Liverpool Symphony Orchestra nachzumachen. Der gebürtige St. Petersburger hat eine Blitzkarriere hingelegt, und dass der erst 35-jährige Schlaks sein Handwerk versteht, das bewies er nun in der Meisterkonzertreihe im Stuttgarter Beethovensaal mit Nachdruck. Die Briten begannen ihr Konzert mit Ralph Vaughan Williams´ Ouvertüre zur Komödie „The Wasps“ (Die Wespen), einem von mendelssohnschem Sommernachtszauber inspirierten Stück Gute-Laune-Musik, bei dem die Wespen gleich zu Beginn in Form tremolierender Streicher durch die Luft wuseln. Schon hier wurde deutlich, worin die Qualitäten der Liverpooler bestehen: Alles klingt wie aus einem Guss, da wird gemeinsam geatmet und phrasiert, Petrenko hält das Metrum in ständigem Fluss – keine Spur von Rigidität, wie man sie von manchen Taktschlägern kennt. Die Bläser, egal ob Holz oder Blech, sind Weltklasse, und auch wenn die Streicher nicht ganz das über edle Timbre der Spitzenorchester verfügen, so machen sie dies Manko mit tonlicher Variabilität, Präzision und Kompaktheit durchaus wett.

Mindestens so wichtig wie bei Vaughan Williams ist sinnfälliges Phrasieren bei Mozart. Und tatsächlich formulierte Petrenko schon das Eingangsthema von Mozarts Klavierkonzert A-Dur KV 488 mit aller wünschbaren Beredtheit aus: kleinteilig artikuliert, aber im großen Zusammenhang gedacht, mit luftigem Klang des hier auf Kammerorchesterbesetzung reduzierten Orchesterapparats. Und hätte man dazu einen Solisten gehabt, der diesem Format entsprochen hätte, es hätte ein großes Mozart-Erlebnis werden können. Die Französin Hélène Grimaud freilich beließ es bei einer technisch sauberen, aber insgesamt wenig inspirierten Auslegung des Soloparts. Zwar verfügt Grimaud über einen leicht-perlenden, für Mozarts Musik grundsätzlich passenden Anschlag, den sie aber kaum zu differenzieren vermag. Alles klang hier mehr oder weniger gleich: ein sprödes, nicht selten unter Pedal gesetztes Quasi-Legato, das über vieles von dem einfach hingweghuschte, was Mozart an rhythmischen und artikulatorischen Finessen in die Partitur geschrieben hat.

Dafür vermittelte sich in Tschaikowskys monumentaler „Manfred“-Sinfonie op. 58 jede auch noch so kleine Nuance. Was war das für ein Orchesterfest! Schon in den ersten Akkorden wurde jener Schicksalston angeschlagen, der die Abenteuer des Helden bis zu seinem Tod grundiert, Petrenko und das bis in die Haarspitzen motivierte Orchester aus Liverpool führten dabei die Hörer im Verlauf der vier Sätze durch alle denkbaren seelischen Zustände: Hoffnung und Schmerz, bohrende Verzweiflung und harfenbekränzte Glücksfantasien vermittelten ein eindringliches Psychogramm von Byrons Helden, der am Ende nach der rückenschauererregenden Orgelapotheose sein Leben aushaucht. Sekundenlang Stille nach dem Schlussakkord, dann begeisterter Applaus. (Stuttgarter Zeitung)

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