Beiträge im Archiv Februar 2012

Herbert Schuch spielte in Stuttgart

09.
Feb.
2012

Mit großen Gesten

Nicht eben häufig, dass man in einem Klavierabend Stücke von Arnold Schönberg zu hören bekommt. Noch immer gilt das Werk des Wieners (der nun immerhin auch schon über 60 Jahre tot ist) als schwer verständlich, was vor allem daran liegen dürfte, dass Schönberg gerade in seinem späteren Oeuvre die Tonalität – und damit das Korsett, auf das sich die Hörerfahrung er meisten stützt – weitgehend hinter sich gelassen hat. Auch in den Klavierstücken op. 19, die der Pianist Herbert Schuch nun bei seinem Recital im Stuttgarter Beethovensaal gespielt hat. In diesen radikal verdichteten polyfonen Gebilden ist jeder Ton wichtig, noch die kleinste Geste mit Ausdruck aufgeladen. Ein Interpret muss da sofort auf den Punkt kommen, und das tat Herbert Schuch. Der 32-jährige liebt die großen Gesten: an seinem Mienenspiel lässt sich der gewünschte Ausdruck ablesen, und wenn er mit der Rechten eine Kantilene spielt, dann dirigiert die Linke gerne mal mit, ähnlich wie man es von Glenn Gould kennt. Das wirkt mitunter theatralisch, kann aber passen, wenn die Musik diesem Gestus entspricht – wie eben bei Schönberg oder auch bei Skrjabin, mit dessen Klavierstück op. 52/2 „Enigme“ Schuch sein Konzert begann. Solcherart expressive Musik kommt Schuchs ernster, konzentrierter Musizierhaltung entgegen, auch Mozarts Adagio h-Moll KV 540, in dessen harmonischen Farbwechsel schon die Klangsprache der Romantiker aufscheint. Schuch spielt das mit einem kristallinen, herben Klang, spürt dem Existenziellen dieser Musik nach und versenkt sich förmlich in dynamische Abtönungen und klangfarbliche Schattierungen.

Mozart erschien hier als Seelenverwandter Franz Schuberts, dessen A-Dur-Sonate D 664 und Wandererfantasie Schuch in der zweiten Programmhälfte spielte. Doch hier, wo die Musik rein und frei fließen, nicht „gemacht“, sondern erfühlt klingen sollte, wirkt Schuchs Spiel abgezirkelt. Das Ostentative, mit der Schuch jede Phrase zu einem Bekenntnis aufzuwerten trachtet, schlägt da leicht in Manieriertheit um. Die versonnene Freundlichkeit des ersten Themas der A-Dur-Sonate D 664 etwa, das ein Wilhelm Kempff so rein und lauter auszuspielen vermochte, bleibt bei Schuch trotz des spürbaren Ausdruckswillens indifferent, und bei manchen motorisch geprägten Passagen hat man den Eindruck, Schuch bewältige technische Übungen. Nicht nur hier vermisste man eine dramaturgische Bewältigung der großen Form, die Themen und Motive in Beziehung zueinander setzt – noch eklatanter in der Wandererfantasie, die bar jedes epischen Atems zu einer Abfolge mehr oder weniger ordentlich bewältigter Stellen zerfaserte. Ähnliches gilt für Franz Liszt: Manuell tadellos, blieben sowohl der Satz aus den „Années de pèlerinage“ wie die Variationen nach Bachs Kantate „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“ unbefriedigend: trotz bravourös hingedonnerter Oktavengewitter seltsam akademisch und spröde, unbrillant. (Stuttgarter Zeitung)

Stéphane Denève dirigiert das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR

03.
Feb.
2012

Düdeldü der Nachtigall

Einige Zuhörer schreckten da im Beethovensaal schon aus ihren Stühlen auf, aber nein – das Düdeldü war kein Handyklingelton. Es war die Nachtigall. Denn für den dritten Satz seiner „Pini di Roma“ verlangt der Komponist Ottorino Respighi den Einsatz einer Tonkonserve: der Schallplatte Nr. 6105 der Firma Concert Record Gramophone „Il canto dell‘ usignolo“. Für das Abokonzert des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR hatte man dafür eigens ein historisches Grammophon aufgestellt – beispielhaft für die Akribie, mit der das Orchester unter seinem neuen Chefdirigenten Stéphane Denève diese komplexe Partitur in Klang gesetzt hat.
Es sind Sehnsuchtsorte, die Respighi in den „Pini die Roma“ musikalisch beschwört: die Villa Borghese mit spielenden Kindern, eine alte Katakombe, die Mondnacht am Hügel Gianicolo und der Triumphmarsch auf der Via Appia. Das Stück, das übrigens auch der einstige Chefdirigent des RSO, Sergiu Celibidache, gern dirigiert hat, kann ein Fest für ein Orchester sein – sofern es über die Mittel verfügt, mit sich der diese farbig instrumentierten Szenen evozieren lassen. An diesem Abend war das so, und beispielhaft für den grandiosen Eindruck mag der dritte Satz mit jenem eingespielten Nachtigallengesang stehen, den der Soloklarinettist zuvor schon so überaus zart und einfühlsam vorweggenommen hatte und der von den Streichern mit nachgerade vogeldaunenweichen Harmonien beantwortet wurde: Da spürte man jenes „Zittern in der Luft“, das Respighi als programmatische Notiz dem Satz vorangestellt hat.
Stéphane Denève besitzt ein Gespür für musikalische Atmosphäre und  liebt einen farbigen Orchesterklang, was vor allem den Streichern zugutekommt, die unter Denèves Vorgänger Roger Norrington eher auf Kühle getrimmt wurden und nun aufzublühen beginnen. Dazu stärkt der neue Chef die Rolle der tiefen Instrumente: der Klang besitzt Fundament, gewinnt an Tiefe und Sonorität, ohne dabei jene sehnige Transparenz einzubüßen, die das Markenzeichen des Orchesters ist. Die war schon zu Beginn des Konzerts wichtig bei Rachmaninows Sinfonischen Tänzen, vor allem aber beim folgenden Klavierkonzert für die linke Hand von Maurice Ravel mit seinen stilistischen Maskeraden und Verwandlungen. Das viel zu selten gespielte Werk ist aber auch für den Solisten heikel, der hier mit einer Hand spielen muss, als wären es zwei – was dem jungen Bertrand Chamayou über weite Strecken imponierend gelang. Man hätte sich da zwar pianistisch manches noch distinkter ausgespielt und artikulatorisch differenzierter vorstellen können, doch im Verbund mit dem präzise und spannungsvoll spielenden Orchester war auch das – wie das ganze Konzert – ein großes Vergnügen.    (Stuttgarter Zeitung)

Anna Netrebko und Erwin Schrott in Stuttgart

01.
Feb.
2012

Das gibt es eher selten in Stuttgart, dass Leute mit einem „Suche Karte“-Schild im Foyer des Beethovensaals herumstehen. Man ist ja nicht in Bayreuth oder Salzburg. Aber an diesem Abend war der Glamourfaktor ziemlich hoch, hatte sich mit Anna Netrebko und Erwin Schrott doch das neue „Traumpaar der Oper“ angekündigt. Dabei ist das mit dem alten Traumpaar noch gar nicht so lange her, doch seit Rolando Villazon Stimmbandprobleme hat, blieb die männliche Rolle einige Zeit vakant oder wurde übergangsweise mit wechselnden Partnern besetzt, Tenören natürlich. Genau das ist nun ein bisschen das Problem mit Erwin Schrott, selbst wenn der im richtigen Leben Netrebkos Traumparter ist: er ist halt ein Bassbariton, und Liebesduette mit Sopranistinnen sind für die in der Opernliteratur kaum vorgesehen.
So gibt es an diesem Abend insgesamt nur drei Duette: neben „Lippen schweigen“ aus Lehárs „Lustiger Witwe“ eines aus Donizettis „Liebestrank“ und als Schlussstück „Bess, You is my woman“ aus George Gershwins „Porgy and Bess“, an dessen Ende Schrott seiner Flamme einen sanften Kuss auf die rosigen Wangen drückt, was allgemeines Entzücken im restlos ausverkauften Saal zur Folge hat. Nun sind die beiden aber auch ein hinreißendes Paar: Der in offenem Hemd und Samtjacke auftretende Schrott ist ein Charmeur von nachgerade entwaffnender Virilität, der real zudem wesentlich netter aussieht als auf den Plakaten; die etwas fülliger gewordene Netrebko bezirzt nach wie vor nicht nur mit schönen Kleidern – an diesem Abend trägt sie zwei schulterfreie Roben in violett und schwarz – sondern auch mit Anmut und Bühnenpräsenz. Und natürlich mit ihrer Stimme. Im Vergleich zu früher ist die deutlich voluminöser geworden, besitzt aber immer noch dieses goldene Timbre, das sie, wenn nötig, mit einer leichten Schärfe aufhellen kann. Wie in der Juwelenarie aus Gounods „Faust“, bei der ihre Vokalisen ebenso luxuriös schimmern wie das Armband, über das sie sich versonnen streicht. Oder im „Lied an den Mond“ aus Dvoráks „Rusalka“, bei dem sie mit einer verschatteten Mittellage punkten, aber auch die Melodiebögen weit ausschwingen lassen kann.
Trotzdem kann man natürlich fragen, was sie für die Rolle als „Superstar der Klassik“ nun eigentlich qualifiziert. Ist sie wirklich die beste Opernsängerin der Gegenwart? Oder passt die schöne Russin einfach ins Anforderungsraster von Agenturen und Konzertveranstaltern, die sie geschickt vermarkten? Dass Anna Netrebko eine ernstzunehmende Künstlerin ist, die in Opernproduktionen zu überzeugen weiß, dürfte außer Frage stehen. Aber sicher gibt es wenige Operndiven, die sich derart bereitwillig auch für fragwürdige Events zur Verfügung stellen wie etwa das Open-Air-Konzert, das sie im letzten Jahr auf der Berliner Waldbühne gegeben hat. Auf alle Fälle aber ist Anna Netrebko ein Premium-Produkt: rar, hochpreisig und imageträchtig: Die besten Plätze im Beethovensaal kosten an diesem Abend deutlich über 400 Euro. Wer sich das leisten kann, legt auch sonst Wert auf Qualität. Und so kann es auch kaum verwundern, dass im Liederhallenfoyer gleichzeitig die neue Siebenerlimousine von BMW präsentiert wird.
Und wie passt da Erwin Schrott dazu? Der Uruguayer würde wohl nicht an Netrebkos Seite singen, wäre er nicht mit ihr liiert – nicht nur, weil er kein Tenor ist. Ein sehr guter Sänger ist er gleichwohl. Sein kernig-maskuliner Bariton ist von nachgerade imponierender Kraftentfaltung, in der Mephistoarie aus Gounods „Faust“ übertönt er fast provozierend lässig die von Claudio Vandelli geleitete Prager Philharmonie samt dem Männerchor der Stuttgarter Choristen.  Die Registerarie des Leporello aus „Don Giovanni“ gestaltet er als keckes Parlando, die Aufzählung der Frauengeschichten seines Herrn entnimmt er dabei nicht wie üblich einem handgeschriebenen Verzeichnis, sondern einer Ausgabe der „Vogue“. Dass der Diener dabei erotischer rüberkommt, als es sein Herr Don Giovanni je sein könnte – sei´s drum. In der Auftrittsarie des Quacksalbers Dulcamara aus Donizettis „L’elisir d’amore“ luchst Schrott einem Herrn aus dem Publikum gar die Brieftasche im Tausch gegen eine Flasche Hochprozentiges ab. Das Publikum nahm solcherlei Späße mit Vergnügen, und das passte auch gut zur Dramaturgie dieses Abends, der nicht mehr sein wollte als eine abwechslungsreiche Aneinanderreihung beliebter Arien, aufgelockert durch drei routiniert und schwungvoll gespielte Orchesterintermezzi. Am Ende, nach einem von Anna Netrebko herzzerreissend schön gesungenen puccinischen „O mio babbino caro“  darf Schrott dann gar noch den bandoneonbegleiteten Tangosänger geben. Das kann er auch. Wenngleich sein Tango eher nach Konzertsaal denn nach Spelunke  klingt.      (Stuttgarter Zeitung)