Rafal Blechacz´ Klavierabend in Stuttgart

29.
Apr.
2012

Rafal Blechacz Foto: Felix Broede

Tiefer Blick in die Musik

30 Jahre lang hatte nach Krystian Zimerman kein Pole mehr den Chopinwettbewerb gewonnen – bis Rafal Blechacz kam und 2005 nicht nur den ersten Preis, sondern auch alle vier Spezialpreise der Jury einheimste. Auch wenn es wohl Zufall ist: dass nun Blechacz das letzte Konzert der Meisterpianistenreihe gespielt hat und Zimerman im September die neue Saison eröffnen wird, ist eine beziehungsreiche Konstellation, verbindet die beiden doch mehr als der Wettbewerbserfolg. Nicht nur, dass beide am liebsten im eigenen Auto zu den Konzerten anreisen, sie gelten auch als eigensinnig. Bei Zimerman hatte das zeitweise sogar zu einem völligen Rückzug aus dem Konzertleben geführt, Blechacz besteht darauf, nicht mehr als 40 Konzerte im Jahr zu spielen. Er will genügend Zeit zur Vorbereitung zu haben.

Dass sich das auszahlt, war nun bei seinem umjubelten Klavierabend im Beethovensaal zu hören. Blechacz beginnt mit Bachs 3. Partita a-Moll. Hoch komplexe Musik, die von den überlieferten Tanzformen nur noch den Gestus und die Grundmetrik bewahrt hat und deren kontrapunktische Strukturen Blechacz mit einer Plastizität offenlegt, wie man sie nur von großen Bachinterpreten wie Perahia oder Schiff gewohnt ist. Jede Stimme erscheint konsequent durchartikuliert, wobei Blechacz immer wieder einzelne Stimmen hervortreten lässt. Wiederholungen tönt er neu ab, spielt mit Verzierungen. Der weich intonierte Steinway funkelt wie ein Juwel.

In Beethovens Sonate Nr.7 D-Dur op. 10/3 ist es vor allem das Largo e mesto, in dem Blechacz singuläre Begabung offensichtlich wird. Die metaphysische Dimension dieses Satzes bringt er dadurch zu ergreifendem Ausdruck, indem er auf die herkömmlichen Espressivowerkzeuge verzichtet, mit denen langsame Sätze gewöhnlich aufgeladen werden. Blechacz vertraut allein der Expression des Notentexts.

Nicht nur hier spürt man, dass da ein junger Pianist tiefer in die Musik hineinblickt als die meisten seiner Kollegen. In Debussys Suite bergamasque wandelt Blechacz auf den Spuren großer Klaviermagier wie Benedetti Michelangeli, indem er den poetischen Gehalt dieser Skizzen, ihre Gerüche, Bilder und Farben mittels einer stupenden Imaginationsfähigkeit zu Klang werden lässt. Das „Menuet“ erlebt man als zärtlich verklärte Apotheose des Tanzes, und in der Spieldosenmechanik des „Passepied“ lugt gar Debussys Kollege Ravel um die Ecke. Und dann Szymanowskis erste Sonate: Blechacz definiert sich als Anwalt für die immer noch unterschätzte Musik seines Landsmanns, die er mit pianistischer Bravour und jenem grenzsprengenden Impetus spielt, die den Komponisten als Seelenverwandten Skrjabins und Liszts ausweist. Als Zugaben spielt er noch zwei chopinsche Mazurken – in welcher Vollendung, lässt sich kaum beschreiben. Das muss man gehört haben. (Stuttgarter Zeitung)

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