John Malkovich mit „The Infernal Comedy“ in Stuttgart

25.
Jun.
2012

Being Jack Unterweger

Schnellfickerschuhe: so nennt der Volksmund weiße Slipper wie diese. Wenn sie dann noch zusammen mit einer extragroßen Sonnenbrille und einem weißen Dandyanzug getragen werden, dazu ein schrill gemustertes Hemd, ist der Aufreißertyp perfekt. Aber sieht so auch ein Frauenmörder aus?
John Malkovich jedenfalls spielt in „ The Infernal Comedy“ in diesem Outfit den österreichischen Frauenmörder Jack Unterweger. Unterweger hatte 1974 eine 18-jährige Deutsche ermordet, wurde dafür zu lebenslanger Haft verurteilt und begann im Gefängnis zu schreiben, unter anderem seine Biografie „Fegefeuer oder die Reise ins Zuchthaus“. Nachdem er so als „Knastpoet“ zu Ruhm gekommen war, setzten sich führende Intellektuelle (u.a. Erich Fried und Elfriede Jelinek) für seine vorzeitige Freilassung ein. 1990 wurde Unterweger vorzeitig entlassen und bald in Österreich zu einer öffentlichen Figur, war Gast in Talkshows und schrieb für Zeitungen. Doch vier Jahre später war er wieder im Knast: wegen neunfachen Mordes an Prostituierten in Prag, Wien, Graz, Bregenz und Los Angeles. Alle wurden mit ihren Büstenhaltern erdrosselt. Nach der Urteilsverkündigung erhängte sich Unterweger in seiner Zelle.
Anfang 2008 hatte der Regisseur Michael Sturminger zusammen mit dem Dirigenten Martin Haselböck ein Musiktheaterprojekt konzipiert, in dem Unterweger quasi post mortem als Autor seiner eigenen Lebensgeschichte auftritt. Die Uraufführung mit John Malkovich als Hauptdarsteller war im Mai 2008 in Santa Monica, seitdem tourt die Produktion um die Welt und war nun im luftig besetzten Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle zu sehen.
Auf dessen Bühne stehen zunächst nur ein Tisch und ein Drehstuhl, auf dem Tisch ein Wasserglas und ein Stapel Bücher. Das Orchester Wiener Akademie sitzt dahinter und beginnt gleich temperamentvoll mit „L´enfer“ aus Christoph Willibald Glucks „Don Juan“, womit man auch musikalisch gleich beim Thema ist. Der Klang ist dumpf – was wohl an den Vorhängen liegt, mit denen das Orchester von drei Seiten zugehängt ist. Aber da kommt auch schon Malkovich herein, begrüßt das Publikum und entschuldigt sich für seinen Akzent mit einem Verweis auf den kalifornischen Gouverneur selbiger Provenienz: man werde als Österreicher den Zungenschlag halt einfach nicht los. Dann beginnt er mit seiner Lebensbeichte. Erzählt von seiner Mutter (seinen Vater, einen US-Soldaten, hat er nie kennengelernt) und ist damit auch gleich bei den Frauen, seinem Lebensthema: Sie bedeuteten ihm Himmel und Hölle. Dann steigt Malkovich von der Bühne und fängt, sardonisch grinsend, an, intime Fragen ans Publikum zu richten: wann sie denn das letzte Mal Spaß am Sex gehabt hätten? Vereinzeltes Kichern.
Nicht wenige Frauen, so erzählt er, hätten mit ihm schlafen wollen, nachdem er aus dem Gefängnis gekommen sei. „Sie wollten einfach einen Mörder ficken“. Wie sich Malkovich dabei in einer unwiderstehlichen Mischung aus Anmaßung und provokantem Charme in verborgene Sphären menschlicher Begierden vorantastet, zählt zu den stärksten Momenten des Abends. Hier wird aber auch deutlich, dass der Text sich weniger um Unterweger dreht, sondern Malkovich, dem virtuosen Darsteller ambivalenter Typen, auf den Leib geschrieben wurde. Aber so grandios der seine Rolle auch spielt: literarisch ist der Text zweifelhaft. Die Melange aus biografischer Schilderung und Reflexion wirkt auch auf Englisch über weite Strecken sprachlich unbeholfen, die aktuellen Anspielungen wirken aufgesetzt.
Auch von gelungenem Musiktheater kann nur ansatzweise die Rede sein. Die eingefügten Arien von Vivaldi, Mozart & Co. stehen in eher oberflächlichem Zusammenhang mit dem Thema, genauso wie die kleinen Szenen, in denen Malkovich die beiden Sopranistinnen (sehr gut: Bernarda Bobro, schwach: Martene Grimson) betatscht oder mit Büstenhaltern stranguliert. So bleibt der Abend eine One-Man-Show. Man war bei dem großen John Malkovich. Immerhin. (Mannheimer Morgen)

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