Herbstfestspiele. Die Bamberger Symphoniker spielen Mahler in Baden-Baden.

04.
Okt.
2012

Ergreifender Abgesang auf das Leben

Die Aufführung einer Mahler-Sinfonie ist immer noch schwer vereinbar mit dem üblichen Konzertbetrieb: das liegt weniger an ihren technischen Schwierigkeiten als daran, dass es bei Gustav Mahler um alles geht – jede Sinfonie ist ein eigener Weltentwurf, und so ist der Anspruch an den Dirigenten gewaltig, das Ausdrucksspektrum dieser Musik in Klang zu setzen. Dem Engländer Jonathan Nott ist das in den letzten Jahren in bemerkenswerter Weise gelungen. Seit 2000 ist er Chefdirigent der Bamberger Symphoniker, mit ihnen hat er einige herausragende Aufnahmen von Mahlersinfonien vorgelegt. Die Erwartungen an seine Auftritte im Baden-Badener Festspielhaus waren dementsprechend groß: Am Mittwoch war Nott mit dem Adagio aus der zehnten Sinfonie und dem ‚Lied von der Erde‘ zu Gast.
Und vom ersten Takt an ist man von der Musik existenziell gepackt: das lang gezogene Streicherthema des Adagio-Fragments besitzt jene Qualität des Suchenden, Tastenden, die einen sofort hineinzieht in den Verlauf dieser brüchigen, im Forte des Neuntonakkords kulminierenden Musik, den man derart schneidend kaum je gehört hat. Nott verbindet quasi Boulez mit Bernstein: Akribische Partiturdurchleuchtung geht zusammen mit Emphase. Dazu besitzt er das Empfinden für den spezifischen Tonfall von Mahlers Musik.
Auch im ‚Lied von der Erde‘, wo ihm das Kunststück gelingt, die ständigen Tempomodifikationen als völlig kohärent, aus dem Tonfall der Musik entwickelt erscheinen zu lassen. ‚Das Trinklied vom Jammer der Erde‘ nimmt Nott so, wie es der Komponist vorschreibt: ‚Pesante‘, also schwer, drückend – und nicht mit dem drängenden Furor, wie man ihn von vielen Dirigenten hören kann. Jede Phrase, jedes Motiv ist mit Ausdruck aufgeladen. Die Oboenkantilenen über den sordinierten Violinen im Lied ‚Der Einsame im Herbst‘ evozieren prägnant die Stimmung der Vergänglichkeit, die Ermattung des Lebensmüden. Die Flötengirlanden in ‚Von der Jugend‘ bereiten den Boden für die Feier des Lebens, und mit den einleitenden Schlägen im ‚Abschied‘ wird der Tonfall für den wohl ergreifendsten Abgesang auf das Leben angestimmt, den Mahler komponiert hat.
Die Bamberger spielten fabelhaft und es hätte ein großer Abend werden können, hätte man dazu noch entsprechende Sänger gehabt. Doch Klaus Florian Vogt mag ein fabelhafter Lohengrin sein, die Zerrissenheit des von Weltschmerz gepeinigten Trinkers scheint ihm ebenso fremd wie ein wirkliches Legato. Die Stimme der großen Doris Soffel dagegen hat ihren Zenit einfach überschritten: an stimmlicher Kontrolle blieb sie, trotz Bühnenpräsenz und Ausdruckswillen, einiges schuldig. (StZ)

 

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