Restaurantkritik Cantinetta

06.
Jan.
2013

Abseits vom Italo-Standard

Wer einmal auf eigene Faust durch Italien gereist ist, der kennt die kleinen Osterias und Trattorias mit ihrer bodenständigen, von regionalen Produkten dominierten Küche. Zurück in der Heimat, erinnert man sich spätestens dann sehnsüchtig an deren geschmackliche Vielfalt, wenn man beim örtlichen Italiener wieder vor die Wahl zwischen Pizza, Pasta und Grilldorade gestellt wird.

Dass die italienische Küche mehr zu bieten hat als die üblichen Standardgerichte, das wollen der Gastronom Martin Bauer und der Koch Daniele Brillo beweisen, die im April das Restaurant Cantinetta unweit des Mailänder Platzes neu eröffnet haben: zum Konzept ihres kleinen Lokals gehört es, alle 4-5 Wochen eine andere Region Italiens mit deren typischen Gerichten vorzustellen.

Bei unserem Besuch heißt das Thema „Veneto“, die nordöstliche Provinz zwischen den Dolomiten und dem adriatischen Meer. Kulinarisch ein weites Feld. Wir probieren als Vorspeisen die Bohnensuppe mit Nudeln (6,50), ein deftig-delikater Magenwärmer, von der Stammkarte ordern wir „Burrida“ (9,50), in Weißweinessig marinierten, mit einer Panade aus gehackten Walnüssen überzogenen Schwertfisch: Eine Delikatesse, die man so schwerlich woanders finden dürfte. Typisch venezianisch ist der leicht-aromatische Risotto mit Radicchio (13,50), bei dem die Küche, passend für ein Zwischengericht, mit Käse mehr gegeizt hat als mit Rotwein. Die gebackene Kalbsleber (15,50) wurde nicht von der typischen Polenta, sondern von einem herzhaften Kartoffelpüree begleitet, dessen naturgemäß pastose Textur sich der Koch offenbar zum Vorbild für die zentimeterdick mit Zwiebeln belegte, dazu nur zaghaft gewürzte Leberscheibe genommen hat – das erinnerte arg an Schonkost. Hocharomatisch schmeckten dafür die Tagliolini in Limonensauce mit Steinbutt (9,50), bei denen die frische Säure der Sauce gut mit dem perfekt gegarten Fisch harmonierte. Ein typisches Beispiel für die im Cantinetta gebotene Landküche ist auch das aufgeschnittene Rindfleisch mit Rucola, Parmesan und Steinpilzen (19,50) – zusammen mit dem gereichten Brot und dem toskanischen Rotwein ein schlichter, ehrlicher Genuss.

Potential gibt es noch bei den Nachtischen. Denn das auf Nachfrage angebotene Tiramisu und die Panna Cotta zählen genau zu dem Italo-Standard, von dem sich die Speisekarte ansonsten abheben will. Gut ausgewählt sind die offen angebotenen Weine aus Italien und von den Fellbacher Weingärtnern, die mit 5 bis 8 Euro für 0,2l obendrein freundlich kalkuliert sind.

Chichi findet man im Cantinetta weder auf den Tellern noch beim Ambiente. Die ehemals deutsche Gaststätte – der rustikale Fliesenboden und einige Bleiglasfenster zeugen noch davon – ist dezent und geschmackvoll renoviert worden, die schlichten kleinen Tische sind weiß eingedeckt.

Bleibt noch, den überaus aufmerksamen wie freundlichen Service zu loben und darauf hinzuweisen, dass das Cantinetta bis zum 06. Januar geschlossen hat. Danach widmet man sich gastronomisch dem Piemont.

Restaurant Cantinetta. Tunzhofer Str. 3, 70191 Stuttgart, Telefon 0711/12 85 95 71.

Geöffnet Montag bis Samstag von 18:00 Uhr bis 23:30 Uhr, Mittagstisch Montag bis Donnerstag, 11:30 Uhr bis 14:30 Uhr. www.cantinetta-stuttgart.de

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