Musik von Bruckner und Palestrina in der Großen Reihe der Stuttgarter Philharmoniker

30.
Jan.
2013

Zwischen Himmel und Erde

Die Musik von Palestrina (und anderer Renaissancemeister) wird, wenn überhaupt, in der Regel nur in Kirchen aufgeführt. Und das mit gutem Grund, vermittelt sich die Faszination der Vokalpolyfonie doch am Nachdrücklichsten, wenn die Stimmen vom Raum getragen, reflektiert und gebündelt werden. Im Idealfall füllt das Geflecht der vokalen Linien dann den ganzen Raum derart mit Klang, dass man als Hörer das Gefühl bekommt, in der Musik quasi aufzugehen, ja, mit ihr abzuheben: für die einen ist das Transzendenz. Für andere Religion.

Auch die sinfonischen Weltentwürfe des streng gläubigen Anton Bruckner streben grundsätzlich gen Himmel – und da Bruckners Tonsatz sich dazu an alten Vorbildern orientiert, hat die Idee, in einem Konzert Bruckner mit Palestrina kurzzuschließen, durchaus etwas Bestechendes.

So die Theorie.

Jedenfalls hatten die Verantwortlichen der Stuttgarter Philharmoniker für das jüngste Konzert ihrer „Großen Reihe“ vor Bruckners siebte Sinfonie Palestrinas „Missa Papae Marcelli“ gesetzt – jenes Werk, mit dem der Komponist einst die Entscheidung des Tridentinischen Konzils beeinflusste, letztlich doch kein Verbot mehrstimmiger Kirchenmusik in der Liturgie auszusprechen. Dem Dufay Ensemble Freiburg, das auf die Musik solch alter Meister spezialisiert ist, hatte man dabei die undankbare Aufgabe übertragen, dieses Hauptwerk der alten Kirchenmusik im riesigen Beethovensaal zu singen. Doch das war nicht das einzige Handicap. Denn das Dufay Ensemble besteht zwar aus ausgebildeten Sängern, ist aber vom Niveau etablierter Spitzenvokalensembles weit entfernt. Vor allem erscheint der Ensembleklang wenig homogen: den Bässen mangelte es an Grundierung, während die dominante Sopranistin nicht in den Gesamtklang integriert war und dazu noch eklatante Intonationsprobleme hatte – womit sie freilich nicht allein stand. Von schwerelosem Strömen, Transzendenz gar, war das alles weit entfernt, und angesichts der merklichen Konditionsprobleme der Sänger konnte man froh sein, als das Agnus Dei mit Anstand über die Zeit gebracht war.

Und doch war das alles rasch vergessen, durfte man nach der Pause mit der siebten Sinfonie doch eine Bruckner-Sternstunde erleben. Zu verdanken hatte man das Stefan Vladar, dem jungen Wiener Dirigenten, der die Philharmoniker zu einer Meisterleistung inspirierte. Vladar ist kein Taktschläger, sondern ein Musiker, der, ähnlich wie Thomas Hengelbrock, in Phrasen und Bögen denkt und den Klang quasi mit den Händen modelliert. Ähnlich schlüssig dosiert hat man die mächtigen brucknerschen Steigerungswellen jedenfalls kaum je gehört, und die Ausbrüche im Adagio (hier mit dem Beckenschlag!) waren von einer rückenschauererregenden Klangpracht, wie man sie den formidablen Philharmonikern vor wenigen Jahren noch nicht zugetraut hätte. Da tat sich dann doch noch ein wenig der Himmel auf. (StZ)

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