Das Radiosinfonie-Orchester Stuttgart des SWR unter Antoni Wit

22.
Feb.
2013

Politische Musik

Es ist fast unmöglich, das Cellokonzert des polnischen Komponisten Witold Lutoslawskis nicht politisch zu hören. Zu offensichtlich wird hier das Verhältnis von Individuum und Masse, bzw. Staat musikalisch verhandelt, als dass man das Stück als autonome Musik auffassen könnte.

Der Solist Johannes Moser beginnt beim sechsten Abokonzert des RSO im Beethovensaal quasi frei präludierend: als experimentiere er ein bisschen mit seinem Instrument, spielt er mit Motiven, probiert ein paar Figurationen aus und lässt, quasi scherzando, seine Finger über das Griffbrett rutschen. Ein spielender, demnach freier Mensch, wie Schiller ihn definiert hat. Doch dann fährt, als Symbol der Ordnungsmacht, ein scharfer Trompeteneinwurf herein, der dem Treiben jäh ein Ende macht. Geradezu schulbuchhaft hat Lutoslawski im weiteren Verlauf des Stückes die Kommunikation zwischen dem Einzelnen und dem Kollektiv in allen Erscheinungsformen zwischen Unterdrückung, Protest und Resignation durchdekliniert: mal jault das Cello, gepeinigt von Schlagzeugsalven, schmerzvoll auf, mal singt es unisono mit dem Orchester die Melodie mit. Einandermal äfft es ein Orchestermotiv keck nach, um sich am Ende, nachdem es sich nach Kräften verausgabt hat, zu einer letzten Geste der Auflehnung aufzuschwingen. Die Hölle, das sind die anderen. Verständlicher war moderne Musik selten als in dieser Aufführung, was auch an der plastischen Wiedergabe durch den formidablen Solisten Johannes Moser und die von Antoni Wit geleiteten Radiosinfoniker lag.

Der polnischen Herkunft des Gastdirigenten war möglicherweise auch die Wahl des Anfangsstücks geschuldet: Zygmunt Noskowskis sinfonische Dichtung „Die Steppe“. Keine Schande, das nicht zu kennen, und auch keine, es nach dem Hören schnell wieder zu vergessen: ein auf Effekt angelegter Schinken bar jeder kompositorischen Originalität, bei dem sogar das RSO seine übliche Akkuratesse im Zusammenspiel etwas vermissen ließ. Sei´s drum.

Ohne dieses Stück freilich wäre es ein anspruchsvolles wie stringentes Programm gewesen, denn auch Prokofjews fünfte Sinfonie erschließt sich ohne die politischen Umstände ihrer Entstehung nicht ganz. 1945, gegen Ende des Krieges wurde sie in Moskau uraufgeführt, und es gibt Stellen darin, die man kaum anders hören denn als Artilleriefeuer, einschlagende Bomben und splitternde Granaten. Das ist freilich nicht alles. Denn neben der Gewalt, die hier in Form martialischen Schlagwerks erscheint, gibt es Passagen von geradezu tänzerischer Eleganz, mit subtilsten Holzbläsersätzen und duftenden Streichern. Ein vielschichtiges Werk mit extremen Kontrasten, die Antoni Wit deutlich herausarbeitete, den Fokus dabei mehr auf präzise Rhythmik denn auf klangfarbliche Feinabstimmung legend. Beiindruckend war es allemal. (StZ)

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