Das Eastern Ensemble will türkische Kunstmusik näherbringen

28.
Feb.
2013

Im interkulturellen Austausch

Es gibt Sätze, die bereut man sofort, nachdem man sie ausgesprochen hat. Für mich klängen die eben gespielten Stücke alle irgendwie ähnlich, bekenne ich gegenüber Ahmet Gül, dem Gründer und Sänger des Eastern Ensembles nach dessen Konzert in der Bachakademie. Worauf mich dieser ungläubig anschaut: „Ach wirklich??“ Der an der Stuttgarter Musikhochschule ausgebildete blinde Sänger, der das Eastern Ensemble im letzten Jahr nach einer bundesweiten Ausschreibung zusammengestellt hat, muss sich merklich zusammenreißen. Vermutlich ist das, als würde man einem Pianisten eröffnen, die Klaviermusik von Bach, Mozart und Schubert klänge gleich.
Nun kann sich, wer in der westlichen Musikkultur aufgewachsen ist, schon etwas schwer tun mit türkischer Musik. Mögen auch die Türken hierzulande in vielen Bereichen weitgehend integriert sein – mit ihrer Musik bleiben sie in der Regel unter sich. Das möchte Ahmet Gül ändern. Sein Ziel ist nicht nur, mit dem Eastern Ensemble in deutschen Konzertreihen aufzutreten. Er möchte auch mit deutschen Musikern zusammenarbeiten, einen interkulturellen Dialog führen: mit der Cellistin Gabriele Starke und der Pianistin Elisabeth Föll wirken auch zwei Deutsche mit beim Eastern Ensemble.
Auch wer wenig davon versteht, kann türkische Musik sofort als solche erkennen, was nicht zuletzt an den Instrumenten liegt. Dazu zählen die Langhalslaute „Tanbur“, „Ud“, die türkische Laute oder die „Kanun“ genannte Zither: Letztere wird mit zwei über die Zeigefinger gestülpten Plektren angeschlagen und hat in der Regel 72 Saiten, wovon drei nebeneinander liegende Saiten auf einen Ton gestimmt sind. Unter jedem dieser Saitenchöre befinden sich mehrere „Mandal“ – Stege, die auf- oder niedergeklappt werden können und somit durch Verkürzen oder Verlängern der Saiten den Ton erhöhen oder erniedrigen. Seinen spezifischen Klangcharakter erhält das Kanun aber durch Pergament: darauf liegt der Steg, über den die Saiten geführt werden.
Sükran Topuz heißt die Virtuosin, die beim Eastern Ensemble das Kanun spielt. Damit fällt ihr eine wichtige Rolle zu. Denn fast immer beginnen die Stücke von Komponisten wie Ebubekir Aga, Kemani Serkiz efendi oder Refik Fersan mit ausgedehten Zithereinleitungen. Auch im Verlauf der Stücke spielt die Zither meist die Melodielinien der Sänger mit oder umspielt sie mit melodischen Arabesken.
Die zehn Sänger für sein Eastern Ensembles hat sich Ahmet Gül aus ganz Deutschland zusammengesucht. Darunter seien, so Gül, die besten Sänger aus den vielen türkischen Amateurchören, die es in Deutschland gebe. Alle 4-8 Wochen trifft man sich zu einer intensiven Probe, die Ensembleleiterin und Vokalsolistin Çiğdem Yarkın, die in der Türkei sehr bekannt ist, reist gar extra zu den Proben aus Instanbul an. Wenn sie singt, begreift man, stärker noch als bei den Chorstücken, was das charakteristischste Merkmal türkischer Musik ist: die Differenziertheit der Melodik.
Denn im Gegensatz zur europäischen Musik, bei der die Oktave in zwölf Halbtöne aufgeteilt ist, gibt es in der türkischen Kunstmusik eine Vielzahl von mikrotonalen Differenzierungen. Jeder einzelne Ganzton kann in sage und schreibe neun Teiltöne (koma) zerlegt werden, aus denen die sogenannten „Makamlar“ gebildet werden, die man mit „Tonart“ übersetzen könnte. Insgesamt gibt es über 500 makamlar in der türkischen Kunstmusik. Darunter solche, die unserem Dur und Moll ähneln, andere die wie Kirchentonarten klingen. Und viele, die für uns irgendwie orientalisch tönen. Im Vergleich zu unserem temperierten Tonsystem ist das eine schier unglaubliche Komplexität – für die man man freilich einen hohen Preis bezahlt. Denn die mikrotonale Vielfalt macht Polyphonie und ein  harmonisches System unmöglich. „Türkische Kunstmusik ist einstimmig“, sagt Ahmet Gül.
Doch zur melodischen Vielfalt kommt die rhythmische. Sieht einfach aus, könnte man denken, wenn man dem Perkussionisten zusieht, der die Rahmentrommel „Bendir“ spielt, aber da täuscht man sich: Das Schlaginstrumentenspiel ist eine hohe Kunst. Die „Usul“ genannten rhythmischen Muster stehen manchmal in Takten wie 14/8, 5/8 oder 9/8, dazu kommen komplizierte Unterscheidungen in Haupt- und Nebenschläge. Gut jedenfalls, dass mir Ahmet Gül eine CD mit den Stücken des Konzerts mitgegeben hat. Und nach ein paar Mal Hören dämmert auch mir, dass hier alle Stück tatsächlich völlig unterschiedlich klingen. Hört man doch eigentlich gleich! (StZ)

3 Kommentare vorhanden

  • Benek Bazarkaya
    8. März 2013 16:19

    Guten Tag!
    Sehr interessanter Artikel!
    Gibt es den einen Veranstaltungshinweis? Tritt das Eastern Ensamble mit der türkischen Kammermusik in Stuttgart oder Umgebung auf?
    Vielen Dank!
    Mit freundlichen Grüßen
    Benek Bazarkaya

  • Frank Armbruster
    8. März 2013 16:50

    Das weiß ich leider auch nicht, das Eastern Ensemble hat zwar eine Homepage (www.easternensemble.com), auf der steht aber noch nichts….

  • K. Arpad
    12. März 2013 22:02

    Ein sehr guter, emotional gespickter und sachlich erleuchtender Beitrag! Danke!
    Für den Herbst ist ein größeres Konzert in Stuttgart geplant; Infos in Bälde unter http://www.dtf-stuttgart.de/

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