Helmuth Rillings Abschiedskonzert als künstlerischer Leiter der Bachakademie

28.
Apr.
2013

Stille Feste, feine Hiebe

Das hätten ihm viele nicht zugetraut: Da wählt Helmuth Rilling als letztes Werk in seiner Funktion als künstlerischer Leiter der Bachakademie ausgerechnet Felix Mendelssohns „Die erste Walpurgisnacht“, ein selten aufgeführtes chorsinfonisches Stück nach einer Ballade von Goethe, in der die heidnischen Druiden bei ihrem nächtlichen Festritual das Christenvolk mittels Klapperstöcken und Feuerzauber in die Flucht schlagen. Auch der Chefdramaturg der Bachakademie, Michael Gassmann, vermutet in seinem Programmhefttext hinter dieser Wahl einen „tieferen Sinn“ – ohne freilich weiter auszuführen, worin der bestehen könnte. Wohl aus gutem Grund: denn selbst wenn Rilling die Programmauswahl bereits vor den Querelen um die Intendantenfrage festgelegt haben sollte (was eher unwahrscheinlich ist), so darf die Bachakademie Goethes Veräppelung der „Pfaffenchristen“ durchaus als kleinen Seitenhieb betrachten. Rilling war bekanntermaßen ein Unterstützer des geschassten Intendanten Christian Lorenz, dessen (im Übrigen sehr erfolgreiches) Konzept der programmatischen Öffnung des Musikfests damals auf hartnäckigen Widerstand seitens konservativer Kreise im Vorstand der Bachakademie stieß – zuviel Weltliches wollte man denn doch nicht haben. Dass der Bachakademie-Gründer Helmuth Rilling bei seinem letzten Konzert in offizieller Mission aber nicht bloß keine Kirchenmusik aufführt, sondern zudem ein Stück aussucht, in dem die Christen am Ende gar verscheucht werden – diese wunderbare Pointe konnten sie dann doch nicht verhindern. Und das stille, wissende Schmunzeln Rillings bei seinen Verbeugungen auch nicht.
Auch sonst war das Programm dieses Akademiekonzerts voller Anspielungen und Verweise – weniger politischer, dafür umso persönlicherer Art. In Schillers berühmter Nänie wird das Thema Kunst und Vergänglichkeit auf eine nachdenklich-melancholische Art verhandelt: Das Schöne vergeht, das Vollkommene stirbt, das gilt für die Kunst wie das Leben. Johannes Brahms hat das Gedicht in ein herbstlich-elegisches Klanggewand gekleidet, und nicht nur Rilling, sondern auch seine Ensembles, die Gächinger Kantorei und das Bach-Collegium, zeigen sich hier von ihrer besten Seite. Ruhig und entspannt fließt der Tonsatz dahin, Rilling lässt atmend phrasieren und vertraut ansonsten seinen langjährigen Weggefährten. Er muss hier nichts mehr beweisen.
Mit Wolfgang Rihm ist Rilling seit langem befreundet, und so war es naheliegend, dass der ihm auch ein Werk zu seinem Abschiedskonzert komponiert: „Stille Feste“ heißt es, nach einem umfänglichen Gedicht von Novalis, das ebenfalls Abschied und Tod thematisiert: wüssten die Lebenden, so heißt es da, wie „geschäftig“ es im Jenseits zugeht, sie würden „jauchzend verscheiden“. Rilling bleibt seiner Tradition treu und dirigiert auch dieses Stück auswendig, das ein bisschen so klingt, als habe es Rihm eigens für die Dramaturgie dieses Konzertprogramms geschrieben: mit dem gemächlichen Grundmetrum, einem wiegenden Dreiertakt, der nur gelegentlich aufgebrochen wird, nimmt es den brahmsschen Duktus auf, hier wie dort spielt die Solooboe eine wichtige Rolle. Dazu deutet Rihm den Text auf fast barocke Manier aus (auch das wohl nicht ohne Grund – Rilling gilt als Spezialist für musikalische Hermeneutik): wenn Alte und Junge sich „in einem Kreise“ versammeln, löst sich die Harmonik in ein Unisono auf, zur „zerfließenden Zeit“ hört man die  Trommel die Lebensuhr schlagen.  Mit „Stille Feste“ hat Rihm für seinen Freund Rilling ein versöhnliches, sich in vielfältiger Manier auf musikhistorische Vorbilder beziehendes Werk komponiert, das seine Zeitgenossenschaft weder verleugnet noch in den Vordergrund stellt. Am Ende, nach einem atmosphärischen Epilog, verklingt es in einem leisen Durakkord.
Viele Sänger hat Helmuth Rilling gefördert, manche haben durch ihn einen entscheidenden Karriereschub bekommen. Für Mendelssohns „Die erste Walpurgisnacht“ hat er mit Anke Vondung (Alt), Dominik Wortig (Tenor) und Michael Nagy (Bass) drei eingeladen, mit denen er seit langem verbunden ist. Vor allem Michael Nagy beweist dabei in seiner Rolle als Druidenpriester, dass er nicht nur über profunde Tiefe und kernige Höhe verfügt, sondern nachgerade vorbildlich artikuliert: „Diese dumpfen Pfaffenchristen, lasst uns keck sie überlisten!“ Einigen dürfte das noch lange in den Ohren klingen. (StZ)

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