Sergej Rachmaninovs Oper „Francesca da Rimini“ an der Staatsoper Stuttgart

21.
Jul.
2013

Lasset alle Hoffnung fahren

Dass Premieren nicht ausverkauft sind, kommt am Stuttgarter Opernhaus selten vor. Doch für manche potentiellen Besucher waren es bei Sergej Rachmaninovs „Francesca da Rimini“ wohl ein paar abschreckende Faktoren zuviel: ein wenig bekanntes Werk, konzertant aufgeführt, dazu das schöne Wetter und das mit der anstehenden Ferienzeit zusammenhängende „fin de saison“- Gefühl – da zog mancher einen Platz an der Sonne dem in der Oper vor. Was schade war, verpasste man doch einen der beeindruckendsten Opernabende in dieser Spielzeit.
Konnte man sich bei der vorherigen Premiere, Andrea Moses´ Inszenierung von Rossinis „La Cenerentola“, an einem Feuerwerk aus Ironie und Witz erfreuen, so markierte diese Aufführung nun das andere Ende der Gefühlsskala: Finsterer, erschütternder als hier kann Oper nicht sein. Die Hölle, wie Dante sie in seiner „Göttlichen Komödie“ beschreibt, bildet dabei den Rahmen für die Dreieckstragödie um Malatesta, den Herrscher von Rimini, seine Frau Francesca und seinen Bruder Paolo.
Diese Hölle ist ein Ort des Jammers, ein Pandämonium der Verdammten, bewohnt von wimmernden, klagenden Seelen in Gestalt des Chores. Den lässt der Komponist, ähnlich wie Ravel in „Daphnis et Chloe“, quasi-instrumentale Vokalisen singen, teilweise mit geschlossenem Mund. Erst im Epilog findet er Worte: „Es gibt keinen größeren Schmerz, als sich im Elend an glückliche Zeiten zu erinnern.“ Bis dahin sind sowohl Francesca als auch Paolo schon tot, gemeuchelt von dem eifersüchtigen Malatesta, der seine Frau und seinen Bruder auf eine Treueprobe stellte, die sie nicht bestehen konnten. Alle wurden dabei irgendwie Opfer der Verhältnisse, mit dem Mord als Resultat einer schicksalhaften Konstellation: hoffnungslos die Welt, in der das geschehen kann.

Und erschütternd, wie Rachmaninov diese Welt musikalisch evoziert. Schon im ersten Satz, den Sylvain Cambreling am Pult des Staatsorchesters betont langsam ausspielen lässt, bekommt man keinen Boden unter die Füße: in chromatischen Bewegungen, ohne tonales Zentrum, mäandert die Musik hier durch die Register, mit klagenden Holzbläsern und sehrenden Streichern. Dass klingt ungemein modern und hat so gar nichts zu tun mit dem süffigen Melodiker, als den man Rachmaninov etwa aus den Klavierkonzerten kennt. Es gibt zwar auch versöhnliche, unverstellt tonale Passagen wie die As-Dur-Idylle im zweiten Bild, wenn sich Francesca und Paolo endlich ihre Liebe gestehen. Doch wirken diese wie Trugbilder, Zitate einer heilen Welt, die es nicht (mehr) gibt. Gesteigert wird die Drastik noch durch ein ästhetisches Experiment, das wie ein Katalysator des Schreckens wirkt: Zwischen die Bilder der Oper hat Cambreling Teile von Galina Ustwolskajas dritter Sinfonie eingefügt. Die Komponistin ist hierzulande kaum bekannt, was damit zusammenhängen könnte, dass diese radikale Musik mit ihren bohrenden Dissonanzen und klirrenden Clustern definitiv nicht abokonzerttauglich ist. Das Lebensgefühl, das sie ausdrückt, ist in Russland wohl eher beheimatet als hier: lasset alle Hoffnung fahren. Existenzielle Trostlosigkeit, die an Jean Pauls „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei“  erinnert. Dass das Stück mit der Anrufung des Messias beginnt – „Errette mich“ – erscheint in diesem Kontext wie blanker Hohn.

Angesichts der imaginativen Kraft der Musik und dem Umstand, dass dramaturgisch wenig passiert, erscheint es durchaus konsequent, das das Stück konzertant aufzugeführen, zumal Sylvain Cambreling das prächtig spielende Staatsorchester mit akribischer Genauigkeit durch die rhythmischen und klangfarblichen Finessen der Partitur steuerte. Neben dem großartigen Chor überzeugte auch die Sängerriege: die Hauptrollen (in den Nebenrollen sangen Shigeo Ishino und Stanley Jackson) hatte man mit russischen, dem Sprachidiom vertrauten Sängern besetzt. Darunter auch das einstige Stuttgarter Ensemblemitglied Dmytro Popov, der den Paolo sang: ein Powertenor, der seine hohen As mit fast trompetenhafter Wucht ins Auditorium schmetterte, aber im Liebesduett mit Francesca auch zu feineren Tönen fähig war. Olga Mykytenko sang sie mit leuchtender Tongebung, kantabel und auch in der Höhe bar jeder Schärfe. Die tragende Rolle des Malatesta schließlich hatte man Sergej Leiferkus anvertraut. Der 64-jährige Russe ist immer noch ein Heldenbariton von imposanter Statur und Kraftentfaltung, der es aber etwas an dynamischer Differenzierung fehlen ließ. Ein starker, am Ende heftig akklamierter Opernabend, der sich einbrennen wird.  (StZ)

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