Auf dem Weg ins musikalische Prekariat

09.
Okt.
2013

Die Zukunft der Musikschullehrer sieht düster aus

Nur wenige schaffen es an eine Musikhochschule. Eine Chance hat nur, wer schon in früher Kindheit mit dem Instrumentalspiel begonnen hat, von guten Lehrern unterrichtet wurde und nicht nur über das nötige Talent verfügt, sondern auch die Disziplin fürs tägliche Üben mitbringt. Dennoch übersteigt die Anzahl der Bewerber die der verfügbaren Studienplätze je nach Studienfach und Hochschule in der Regel um mindestens den Faktor zehn. Eine Aufnahmeprüfung ist ein Wettbewerb, bei dem man starke Nerven braucht und wo jene im Vorteil sind, die schon Erfahrung bei Musikwettbewerben wie „Jugend Musiziert“ gesammelt haben. Wer dann endlich einen Studienplatz an einer deutschen Musikhochschule bekommen hat, kann sich mit Recht als Gewinner fühlen. Zumindest für die Dauer des Studiums.

Wer sich dagegen die Berufsrealität anschaut, kommt zu einem anderen Schluss: Musiker sind zunehmend die Verlierer. Im Durchschnitt 11.500 Euro verdienen Musiker nach einer Erhebung des Deutschen Kulturrats im Jahr. Nach einer Umfrage der Gewerkschaft ver.di sind die durchschnittlichen Einkünfte von Musiklehrern sogar seit Jahren rückläufig. Ausreichende Rentenansprüche können die meisten nicht erwerben, viele werden im Alter auf staatliche Alimentierung angewiesen sein. Schon ist die Rede von einem musikalischen Prekariat.

Nun war es schon immer so, dass die Wahl eines künstlerischen Berufs mit einer gewissen Unsicherheit einherging, was den finanziellen Ertrag betrifft, vor allem, wenn man ausschließlich vom Musizieren leben möchte. Egal, ob man ein Streichquartett oder eine Rockband gründet: der Erfolg ist nicht garantiert und hängt von vielen Faktoren ab, nicht zuletzt vom Zufall.

Was ist aber mit jenen, die sich für eine Tätigkeit als Musikpädagogen entscheiden? Oder denen nur der Weg an eine Musikschule bleibt, wenn es mit einer Orchesterstelle nicht geklappt hat? Haben wir nicht bundesweit ein dichtes Netz von öffentlichen Musikschulen, die diesen hochqualifizierten Hochschulabsolventen wenigstens ein auskömmliches Leben garantieren können?

Formal ist das auch so. Die Bezahlung der Musikschullehrer ist im TVöD geregelt. Danach wird ein Musikschullehrer nach Entgeltgruppe E09 bezahlt, das ist zwei Stufen unter angestellten Grund-und Hauptschullehrern – und das nach mindestens acht Semestern Studium und einem Bachelor-, bzw. Diplomabschluss. Aber wenigstens könnte man davon leben. Könnte – denn hauptamtliche, nach TVöD bezahlte Musikschullehrer gibt es immer weniger. Von 33% im Jahr 2008 hat sich die Zahl der freien Mitarbeiter an Musikschulen in den alten Bundesländern auf heute über 50% erhöht, Tendenz steigend. In den neuen Ländern sieht es noch düsterer aus, negativer Spitzenreiter ist Berlin, wo nur noch gut 5% aller Musikschullehrer fest angestellt sind. Frei werdende Stellen sind selten, auf eine TVöD-Stelle an einer Musikschule bewerben sich nicht selten über hundert Musiklehrer.

Wenn eine Kommune nicht Mitglied im Verband der kommunalen Arbeitgeber (VKA) ist, muss sie die Musikschullehrer nicht nach dem TVöD bezahlen, sondern kann je nach Haushaltslage individuelle Tarife anbieten. Dasselbe gilt für Musikschulen, die als eingetragene Vereine aus der kommunalen Verwaltung ausgelagert sind. Diese sogenannten Haustarife garantieren zwar soziale Mindeststandards, doch liegen die Sätze mitunter weit unter den tariflichen Vereinbarungen des TVöD. Doch auch die Haustarife erscheinen nachgerade üppig im Vergleich zu den Honorarverträgen, mit denen zunehmendem Maße Musikschullehrer auch von Kommunen beschäftigt werden, die VKA-Mitglieder sind. Honorarlehrer sind quasi Selbstständige, die für eine Dienstleistung stundenweise bezahlt werden, aber dieselbe Arbeit machen wie festangestellte Lehrer. Wenn ein Schüler erkrankt und absagt, hat der Lehrer Pech gehabt. Ebenso wenn er selbst krank wird. Ansprüche auf Sozialleistungen werden in solchen Werkverträgen explizit ausgeschlossen, da diese ein abhängiges Arbeitsverhältnis nahelegen und der betroffene Lehrer in diesem Fall auf Festanstellung klagen könnte. Ein klarer Fall von Scheinselbstständigkeit also, wie er in vielen Branchen vorkommt und dort– siehe aktuell Daimler – auch zurecht kritisch diskutiert wird. Mit dem Unterschied, dass es hier nicht um profitorientierte Unternehmen geht, sondern um öffentliche Einrichtungen.

Die Kommunen fühlen sich freilich unter Druck. Das Betreiben von Musikschulen ist keine Pflichtaufgabe, sondern eine sogenannte freiwillige Leistung, manche Kommune (in Baden-Württemberg war es zuletzt Wolfschlugen) hat deshalb ihre Musikschule einfach dichtgemacht. Zwar gibt es nach dem Jugendbildungsgesetz für pädagogische Arbeit Zuschüsse vom Land, doch wurden die etwa in Baden-Württemberg von früher 20% mittlerweile auf das gesetzliche Minimum von 10% gesenkt. Im Gegenzug werden die Unterrichtsgebühren immer weiter erhöht, vom einst angedachten Finanzierungsschlüssel – je ein Drittel durch Land, Kommune und Gebühren – hat man sich klammheimlich verabschiedet. Weiteren Gegenwind bekommen die öffentlichen Musikschulen durch die private Konkurrenz. Da die Berufsbezeichnung Musiklehrer nicht geschützt ist, kann jeder, der sich dazu befähigt fühlt, Unterricht anbieten, nicht selten zu Dumpingpreisen.

Im Kontext der aktuellen Diskussion um die Musikhochschulen kann man sich fragen, welche Konsequenzen dies für die Ausbildung von Musiklehrern hat. Zwar ist die Nachfrage nach Musikunterricht gerade in städtischen Gebieten immer noch hoch, für viele Instrumente gibt es an Musikschulen Wartelisten. Doch dürfte auf Grund der demografischen Entwicklung die Zahl an Musikschülern längerfristig zurückgehen. Bleiben die Absolventenzahlen der Musikhochschulen auf dem aktuellen Niveau, dürfte das die Konkurrenzsituation weiter verschärfen. Dazu stellt der Ausbau der Ganztagesschulen das bisherige Musikschulmodell mit Nachmittagsunterricht zunehmend in Frage. Schon heute beklagen über 70% der Musikschullehrer Organisationsprobleme durch die Ganztagesschule. Das Einrichten von Instrumentalklassen an Schulen kann da keine ernsthafte Alternative sein: Cellounterricht in 20er Gruppen? Quo vadis, Musikschule? (StZ)

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