„Tango trifft Barock“ beim Kammerkonzert des Staatsorchesters Stuttgart

10.
Okt.
2013

Doppelt grüßt der Lenz

Werke südamerikanischer Komponisten erfreuen sich hierzulande zunehmender Beliebtheit, was auch damit zusammenhängen könnte, dass sie es den Hörern in der Regel leichter machen als jene ihrer europäischen Kollegen: Während Anton Webern schon um 1909 die Tonalität hinter sich ließ, klingt Heitor Villa-Lobos´ 30 Jahre später entstandene Bachiana Brasileira No. 5 mit ihren süffigen Harmonien und der eingängigen Melodik wie Filmmusik. Besonders heimelig wirkt das Stück in der Bearbeitung für Streicher und Gitarre, die beim Kammerkonzert des Staatsorchesters Stuttgart im Mozartsaal zu Beginn gespielt wurde. Der Gitarrist zupft versonnen ein paar Töne zu der weit gespannten Melodie, und beim Schlussakkord in reinem a-Moll scheinen die Zumutungen der Moderne ganz weit weg.
Das allerdings täuscht, denn Villa-Lobos konnte auch anders. Sein stilistisches Spektrum ist weit – in seinem riesigen Werk (er hinterließ über 1000 Kompositionen) findet man die verschiedensten Einflüsse. Bei seinem ersten, 1915 entstandenen Streichquartett ist es ein distinker französischer Ton, der von den Mitgliedern des Staatsorchesters so einfühlsam wie präzise herausgearbeitet wurde.
„Acht Jahreszeiten – Tango trifft Barock“ lautete der Titel des Konzerts, der sich allerdings auf den zweiten Programmteil bezog. Schon vor einigen Jahren hatte der Geiger Gidon Kremer Vivaldis „Die vier Jahreszeiten“ mit dem gleichnamigen Zyklus von Astor Piazzolla verschränkt und mit seinem Orchester Kremerata Baltica auf CD eingespielt. Davor aber musste Piazzollas Werk für die Kammerorchesterbesetzung domestiziert werden. Das kann man durchaus kritisch sehen – besitzt doch kein Streichorchester den rhythmischen Biss der originalen Quintettbesetzung aus Violine, Gitarre, Bass, Klavier und jenem Bandoneon, das diesen Stücken erst die tangospezifische Farbe verleiht. Eine Bereicherung des Repertoires für Kammerorchester sind diese Einrichtungen aber allemal.
Und wenn sie mit soviel Können und Leidenschaft gespielt wie an diesem Abend ist es eine große Freude, sie zu hören! Vier junge Geiger des Staatsorchesters – Veronika Khilchenko, Cristina Stanciu, Thomas Bilowitzki und Evgeny Popov – teilten sich die solistischen Aufgaben, und man darf deren Auftritte als Beleg werten für das enorme technische und musikalische Niveau, das heutige Orchestermusiker mitbringen (müssen). Khilchenko legte mit Vivaldis „Der Frühling“ los, dann folgten Stanciu, Popov und Bilowski mit je einer Jahreszeit aus den beiden Zyklen. Den Abschluss machte dann wieder Veronika Khilchenko mit Piazzollas „Frühling“. Und selbst wenn es in den langsamen Vivaldisätzen gelegentlich Durchhänger gab – insgesamt brauchten sich weder die Solisten noch das von Stefan Schreiber geleitete Orchester vor Kremers Vorbild zu verstecken. Große Begeisterung im Saal und eine Zugabe – ein Tango, was sonst: „Libertango“ von Astor Piazzolla.   (StZ)

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