Der Countertenor Philippe Jaroussky sang in der Reihe „Faszination Klassik“

15.
Okt.
2013

Balsamische Spitzentöne

Kastraten waren einst umjubelte Stars, Kunstfiguren, die dementsprechend auch gerne Künstlernamen trugen: wie Farinelli, der eigentlich Carlo Broschi hieß, oder Gaetano Majorano, der sich Caffarelli nannte. Antonio Uberti ließ sich gar „Porporino“ nennen, als Hommage an seinen Gesangslehrer Nicola Antonio Porpora, der damals als bester Gesangslehrer Italiens galt: wer etwas werden wollte auf der Opernbühne, versuchte, dessen Schüler zu werden. Eine Zeitlang war Porpora einer der populärsten Opernkomponisten Italiens, bevor er nach London ging, um dort Georg Friedrich Händel Konkurrenz zu machen. Virtuoseres als Porpora in Opern wie  „Ifigenia in Aulide“ oder „Polifemo“ hatte zuvor keiner der menschlichen Stimme abverlangt. Nach dem Ende des Kastratenzeitalters konnte (und wollte) das lange Zeit keiner singen, und auch die meisten Countertenöre unserer Zeit waren den Anforderungen von Porporas Bravourarien nicht gewachsen.
Philippe Jaroussky, dem französischen Wundersänger, haben wir es nun zu verdanken, dass wir den barocken Kastratenhype etwas besser nachvollziehen können. Zwar wissen wir nicht genau, wie die Kastraten wirklich klangen: Es gibt nur Beschreibungen über ihr engelhaftes Timbre, über die stratosphärischen Tonhöhen, die sie erreichen konnten, ihr enormes Lungenvolumen. Aber so ähnlich wie bei Philippe Jaroussky, der nun innerhalb der Reihe Faszination Klassik im Beethovensaal der Liederhalle gastierte, könnte es gewesen sein.
Insgesamt acht Arien aus sieben Opern Porporas sang Jaroussky im voll besetzten Saal, begleitet vom Venice Baroque Orchestra unter der Leitung von Andrea Marcon, der stehend am Cembalo dirigierte. Das fabelhafte Orchester begann mit der Ouvertüre zu Porporas Oper „Il Germanico“: federnd, transparent, mit sehnigem, leicht geschärften Klang, der gut passt zu Porporas selten tiefschürfender, aber meist fantasievoller Musik. Jaroussky begann mit der Arie „Mira in cielo“ aus „Arianna e Teseo“. Lag hier noch ein leichter Schatten auf seiner Stimme, wurde sie bei den folgenden Arien immer freier. Jaroussky gelingt das Kunststück, das Artifizielle dieser Arien als puren Ausdruck erscheinen zu lassen. Man hält fast den Atem an, wenn Jaroussky seine Stimme in immer neuen Windungen, Sprüngen und halsbrecherischen Arpeggien durch die Register jagt – und ist gleichzeitig berührt von der affektiven Kraft von Porporas Musik. Am nachhaltigsten vermittelt sich die in den langsamen Arien, wo Jaroussky in schier unerschöpflich scheinenden Pianonuancierungen und mit balsamischen Spitzentönen auf die pure Schönheit seines Timbres setzen kann. In „Le limpid´onde“ aus „Ifigenia in Aulide“ schließlich verblüfft er das Publikum mit der „messa di voce“, dem langsamen, vibratolosen An-und Abschwellen eines Tones, quasi aus dem Nichts. Für solche Effekte waren einst die Kastraten berühmt. (StZ)

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