Beiträge im Archiv Mai 2014

Igor Levit & Friends bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen

30.
Mai.
2014

Blitzend virtuos

In der klassischen Musik geht es in der Regel förmlich zu: eine (meist) hübsche Maid übergibt dem Künstler nach vollbrachtem Auftritt ein florales Gebinde, worauf sich dieser artig bedankt. Insofern ist schon bemerkenwert, dass der Intendant der Ludwigsburger Schlossfestspiele, Thomas Wördehoff, am Ende des Konzerts von Igor Levit und seinen musikalischen Freunden nicht nur höchstpersönlich auf die Bühne kam, sondern Levit sogar kräftig umarmte. Ja, Wördehoff hat den Pianisten nach seinem ersten Soloauftritt vor zwei Jahren wohl regelrecht in sein Herz geschlossen – was nicht nur diese Geste sondern auch der Umstand deutlich macht, dass Levit in dieser Saison zu zwei Auftritten im Rahmen der Schlossfestspiele eingeladen wurde.

Der erste fand nun im Ordenssaal mit einem recht ungewöhnlichen Programm statt, zu dem Levit neben dem Geiger Ning Feng und dem Cellisten Maximilian Hornung vier Schlagzeuger mitgebracht hatte – galt es doch, die Kammermusikfassung von Schostakowitschs 15. Sinfonie aufzuführen. Zunächst freilich standen Beethovens Variationen für Klaviertrio über „Ich bin der Schneider Kakadu“ an. Deren langsamer Einleitungssatz erscheint fast unangemessen gewichtig – so als hätte Beethoven hier versucht, das triviale Thema von Wenzel Müller quasi vorausnehmend in Anführungszeichen zu setzen. Das Trio jedenfalls widmete sich dem Stück mit der gebotenen Emphase: blitzend virtuos, geistreich, mit viel Sinn für Beethovens abgründigen Witz.

Weniger witzig als selbstbezogen wirkte dagegen Wolfgang Rihms Klavierstück Nr. 6 „Bagatellen“, in das der Komponist einige Zitate eigener Werke eingeflochten hat. Ein kontemplativ ansetzendes, dann in wilden Ausbrüchen kulminierendes und am Ende wieder in versöhnlich tonalen Bereichen verebbendes Werk, das Igor Levit geradezu aufopfernd zelebrierte, ohne dessen inhaltliche Dürftigkeit kaschieren zu können.
Nach der Pause dann die Kammermusikfassung von Schostakowitschs 15. Sinfonie, in gewissem Sinne eine Kuriosität: während die vier (!) Schlagzeuger weitgehend die originalen Parts spielen, ist der Rest der Partitur eingedampft auf Klavier, Cello und Violine. Das besitzt in manchen Passagen einen gewissen Reiz: am überzeugendsten klingt das auch im Original schon stark fragmentierte Scherzo, auch gegen Ende des ersten Satzes gibt es einige starke Passagen. Merkwürdig ausdrucksarm aber das Adagio. Schon dessen Beginn mit dem dräuenden, schweren Blech vermittelt als Klavierakkordik eine völlig andere, weit weniger eindringliche Wirkung, von den gewaltigen Tuttiausbrüchen im weiteren Verlauf dieses Satzes ganz zu schweigen. Am Ende fragt man sich, was wohl der Grundgedanke dieser Programmdramaturgie gewesen sein könnte. Zitate? Auch das Programmheft schweigt sich darüber aus.

(StZ) Frank Armbruster

Die RTL-Serie „Team Wallraff – Reporter undercover“

22.
Mai.
2014

„Ganz unten“ heißt ein Buch aus den 80er Jahren, in dem Günter Wallraff, verkleidet als Türke Ali, die Arbeitsbedingungen in den Billiglohnzonen der deutschen Wirtschaft dokumentierte. Danach wurde einiges besser, seit einigen Jahren aber kehrt sich der Trend wieder um: Ein Viertel aller Beschäftigten arbeitet heute im sogenannten Niedriglohnsektor. Dazu zählen auch jene in der sogenannten Sicherheitsbranche, in der Wallraff und sein Team in der vierten (und vorerst letzten) Folge der RTL-Reihe recherchiert haben. 250 000 Menschen arbeiten in Deutschland bei privaten Sicherheitsdiensten, die unter anderem auch Behörden wie das Job-Center in Frankfurt bewachen. Und auch hier verdienen die Wachleute so wenig, dass sie ihr Gehalt durch HartzIV aufstocken lassen müssen – das Job-Center produziert also seine eigene Kundschaft! Gar selber zum Sicherheitsrisiko wird die Sicherheitsbranche bei den Geldtransporten. Wie in der Sendung mit versteckter Kamera gezeigt wurde, erhalten die Fahrer nach Absolvierung eines Schnellkurses scharfe Waffen, mit denen die meisten im Ernstfall überhaupt nicht umgehen können. Für ihre gefährliche Tätigkeit verdienen sie dann knapp acht Euro in der Stunde, transportieren müssen sie die wertvolle Fracht in zum Teil schrottreifen Fahrzeigen, weil die Werttransportunternehmen Investitonen scheuen.
Auch in den Sendungen davor hat Günter Wallraff den Finger in jene Wunden gelegt, die unsere auf Kosteneffizienz getrimmte Marktwirtschaft bei jenen hinterlässt, die das Pech haben, in der Arbeitshierarchie unten zu stehen. Wie die Angestellten in der Schnellrestaurantkette Burger King. Zwei eingeschleuste Mitarbeiter legten dort nicht nur katastrophale Arbeitsbedingungen offen, sondern auch reihenweise Verstöße gegen Hygienevorschriften. So wurden Salat und Gemüse nach Ablauf der vorgeschriebenen maximalen Lagerzeit nicht entsorgt, sondern einfach umetikettiert, das gleiche passierte mit Buletten in der Warmhaltebox. Ein Fall für die Lebensmittelaufsicht – wer aber ehrlich mit sich ist, dem dürfte eigentlich klar sein, dass in einem Billigrestaurant, in dem man für einen „Rodeo Burger“ 1,49 Euro bezahlt, weder Mitarbeiter anständig entlohnt werden können noch vermutlich mit Vorschriften penibel umgegangen wird. Etwas irritierend war auch der reißerische Erzählstil mit der spannungsheischenden Musik im Hintergrund, während Wallraff selber mit strengem Ermittlerblick via Laptop im Hintergrund die Fäden zog. Die „spontanen“ Anweisungen, die er dabei seinem Team gab, erinnerten mitunter an schlechte Krimidrehbücher. „Da solltet ihr mal Proben nehmen!“ instruierte er seinen Undercover-Assistenten angesichts der bei Burger King ans Licht gekommenen Zustände in der Küche. Na, darauf muss man erst mal kommen, ebenso darauf, diese dann zur Untersuchung an ein Hygiene-Institut zu schicken!
Sehr nachdenklich konnte man in der nächsten Sendung werden, für die Wallraff eine Mitarbeiterin mit versteckter Kamera als Praktikantin in zwei gut beleumundeten deutschen Pflegeheimen anheuern ließ. Wie geht unsere Gesellschaft mit Bürgern um, die keinen Mehrwert versprechen, sondern nur noch Kosten verursachen? Hamburger muss keiner essen, aber alt wird (fast) jeder – und was einem dann blühen kann, deckte diese Sendung in erschütternder Weise auf. Man kann darüber diskutieren, inwieweit die Würde jener verletzt wird, die mit versteckter Kamera gefilmt wurden. Mit der Würde alter Menschen in Pflegeheimen, die dort von überforderten Pflegekräften fast wie Vieh behandelt werden, ist es jedenfalls nicht weit her. In einem Münchner Stift hatten sich in der Frühschicht drei Pfleger um 37 Bewohner zu kümmern, genau siebeneinhalb Minuten durfte bei jedem der Senioren Wecken, Waschen und Füttern dauern. Manche lagen stundenlang in einem durchnässten Bett, und außer einer Grundversorgung hatte man dort als Insasse nichts mehr zu erwarten als den Tod. Sie wolle sterben, sagt eine alte Frau, dann werde es endlich still. In einem Berliner Heim brach das Novovirus aus, doch die Stationsleitung untersagte es den Mitarbeitern, das Gesundheitsamt zu informieren. Es hätte den Betrieb durcheinandergebracht.
Die Betrugsmasche, in die sich der als gebrechlicher Russenopa Waldemar verkleidete Wallraff zum Schein von einem Berliner Pflegedienst einspinnen ließ, hatte in ihrer gut gelaunten Dreistigkeit dagegen fast etwas Tröstliches.
Tatsächlich hatten die Sendungen bereits Konsequenzen. „Burger King unterstützt die Neustrukturierung personell“ übertitel die Fast-Food-Kette auf Ihrer Homepage die Mitteilung, dass der bisherige Geschäftsführer Ergün Yildiz nach Wallraffs Recherchen zurückgetreten sei. Außerdem bedauere man „zutiefst, das Vertrauen unserer Gäste enttäuscht zu haben“. Für den Sender RTL, der sich bislang im Bereich investigativen Journalismus nicht eben profiliert hat, war die Serie nicht nur ein Imagegewinn, sondern auch ein Quotenrenner. 16,3 Prozent schalteten die Folge über die Pflegeheime ein, mehr als den Dauerbrenner „Wer wird Millionär“. A propos Millionär: Seit letztem Jahr leben in Deutschland erstmals mehr als eine Million Millionäre, Tendenz steigend. Es gibt auch die andere Seite: Ganz oben. (StZ)

Rudolf Buchbinders dritter Abend im Stuttgarter Beethoven-Zyklus

07.
Mai.
2014

Pauschales Dahinrauschen

Was für Bergsteiger Achttausender sind, das sind für Pianisten Bachs Wohltemperiertes Klavier, Chopins Etüden und Beethovens 32 Klaviersonaten: Herausforderungen, die man nur nach langer Vorbereitung und in bester Verfassung bewältigen kann. Rudolf Buchbinder hat die Gipfelexpedition der Gesamteinspielung aller Beethovensonaten bereits zweimal absolviert: seine erste Aufnahme entstand in den siebziger Jahren, die zweite hat er im Jahr 2011 abgeschlossen. Zwischendurch hat Buchbinder noch sämtliche Klavierwerke Joseph Haydns und alle Klavierkonzerte Mozarts eingespielt. Trotz (oder wegen?) dieser Emsigkeit genießt der Österreicher, der bereits mit fünf Jahren als jüngster Student aller Zeiten an der Wiener Musikhochschule eingeschrieben war, keinen Ruf wie etwa Martha Argerich oder Grigory Sokolov: Buchbinder gilt weniger als genialischer, sondern mehr als zuverlässiger, technisch höchstbegabter Pianist, dessen Brillanz aber mitunter etwas Unverbindliches hat.

Der dritte Abend seines Beethoven-Zyklus bot nun die Gelegenheit, sich ein aktuelles Bild zu machen. Auf dem Programm im gut besuchten Beethovensaal standen die fünf Sonaten op. 2/3, op. 10/3, op. 49/1, op. 81A („Les Adieux“) und op. 101. Die dritte Sonate op. 2/3 ist Beethovens erste große Konzertsonate und trotz ihrer Beliebtheit technisch überaus anspruchsvoll. Das gilt vor allem für das Finale mit seinen rasenden Sextakkordstaccati, die Buchbinder mit einer staunenswerten Lockerheit und Akkuratesse aus dem Handgelenk schüttelte. Nein, technische Probleme scheint dieser Pianist nicht zu kennen, das merkte man auch an den souverän ausgebreiteten Akkordketten im Trio des dritten Satzes. Doch auch wenn ihm manches überragend gut gelang, so gab es doch auch viele spannungsarme Passagen, in denen die Musik pauschal dahinrauschte. Musikalisch ließ sich dieser Eindruck am Fehlen von rhythmischer Innenspannung sowie an einer nivellierten Dynamik festmachen: über viele beethovensche Dynamikangaben spielte Buchbinder einfach hinweg. In der Sonate facile op. 49/1 wirkte Buchbinders Spiel an diesem Abend gar bestürzend ausdruckslos: wenn, wie hier, die virtuose Dimension weitgehend fehlt, fällt mangelnde Klanggestaltung noch weitaus stärker ins Gewicht.

Vor der Pause dann „Les Adieux“, eine der wenigen programmatisch gefärbten Beethovensonaten, deren drei Sätze jeweils Abschied, Abwesenheit und Wiedersehen charakterisieren, ohne freilich bloße Stimmungsbilder zu sein. Hier geht es um Imagination, um Einfühlung, und auch hier blieb Buchbinder zu unverbindlich. Wenig war zu spüren von der Mischung aus Erregung und Abschiedsschmerz im ersten Satz, der fahlen Trauer im zweiten. Und die rasenden Sechzehntel des Vivacissimamente-Finales drückten keine jubelnde Wiedersehensfreude aus, sondern klangen eher wie – nun ja, eine Czerny-Etüde.
Schwer zu sagen, woran es lag – Überspieltheit? Müdigkeit? – dass Rudolf Buchbinder an diesem Abend so wenig Inspiration vermittelte. Nach der Pause blitzte einzig im Kopfsatz von op. 101 für kurze Zeit emotionale Beteiligtheit auf, zeigte Buchbinder, dass er es besser kann. In der finalen Fuge ging es dafür drunter und drüber – das Pedal verdeckte manches gnädig. (StZ)