Rudolf Buchbinders dritter Abend im Stuttgarter Beethoven-Zyklus

07.
Mai.
2014

Pauschales Dahinrauschen

Was für Bergsteiger Achttausender sind, das sind für Pianisten Bachs Wohltemperiertes Klavier, Chopins Etüden und Beethovens 32 Klaviersonaten: Herausforderungen, die man nur nach langer Vorbereitung und in bester Verfassung bewältigen kann. Rudolf Buchbinder hat die Gipfelexpedition der Gesamteinspielung aller Beethovensonaten bereits zweimal absolviert: seine erste Aufnahme entstand in den siebziger Jahren, die zweite hat er im Jahr 2011 abgeschlossen. Zwischendurch hat Buchbinder noch sämtliche Klavierwerke Joseph Haydns und alle Klavierkonzerte Mozarts eingespielt. Trotz (oder wegen?) dieser Emsigkeit genießt der Österreicher, der bereits mit fünf Jahren als jüngster Student aller Zeiten an der Wiener Musikhochschule eingeschrieben war, keinen Ruf wie etwa Martha Argerich oder Grigory Sokolov: Buchbinder gilt weniger als genialischer, sondern mehr als zuverlässiger, technisch höchstbegabter Pianist, dessen Brillanz aber mitunter etwas Unverbindliches hat.

Der dritte Abend seines Beethoven-Zyklus bot nun die Gelegenheit, sich ein aktuelles Bild zu machen. Auf dem Programm im gut besuchten Beethovensaal standen die fünf Sonaten op. 2/3, op. 10/3, op. 49/1, op. 81A („Les Adieux“) und op. 101. Die dritte Sonate op. 2/3 ist Beethovens erste große Konzertsonate und trotz ihrer Beliebtheit technisch überaus anspruchsvoll. Das gilt vor allem für das Finale mit seinen rasenden Sextakkordstaccati, die Buchbinder mit einer staunenswerten Lockerheit und Akkuratesse aus dem Handgelenk schüttelte. Nein, technische Probleme scheint dieser Pianist nicht zu kennen, das merkte man auch an den souverän ausgebreiteten Akkordketten im Trio des dritten Satzes. Doch auch wenn ihm manches überragend gut gelang, so gab es doch auch viele spannungsarme Passagen, in denen die Musik pauschal dahinrauschte. Musikalisch ließ sich dieser Eindruck am Fehlen von rhythmischer Innenspannung sowie an einer nivellierten Dynamik festmachen: über viele beethovensche Dynamikangaben spielte Buchbinder einfach hinweg. In der Sonate facile op. 49/1 wirkte Buchbinders Spiel an diesem Abend gar bestürzend ausdruckslos: wenn, wie hier, die virtuose Dimension weitgehend fehlt, fällt mangelnde Klanggestaltung noch weitaus stärker ins Gewicht.

Vor der Pause dann „Les Adieux“, eine der wenigen programmatisch gefärbten Beethovensonaten, deren drei Sätze jeweils Abschied, Abwesenheit und Wiedersehen charakterisieren, ohne freilich bloße Stimmungsbilder zu sein. Hier geht es um Imagination, um Einfühlung, und auch hier blieb Buchbinder zu unverbindlich. Wenig war zu spüren von der Mischung aus Erregung und Abschiedsschmerz im ersten Satz, der fahlen Trauer im zweiten. Und die rasenden Sechzehntel des Vivacissimamente-Finales drückten keine jubelnde Wiedersehensfreude aus, sondern klangen eher wie – nun ja, eine Czerny-Etüde.
Schwer zu sagen, woran es lag – Überspieltheit? Müdigkeit? – dass Rudolf Buchbinder an diesem Abend so wenig Inspiration vermittelte. Nach der Pause blitzte einzig im Kopfsatz von op. 101 für kurze Zeit emotionale Beteiligtheit auf, zeigte Buchbinder, dass er es besser kann. In der finalen Fuge ging es dafür drunter und drüber – das Pedal verdeckte manches gnädig. (StZ)

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