Beiträge im Archiv Oktober 2014

Maria Bill singt Lieder von Edith Piaf

19.
Okt.
2014

Große Kunst

piaf_4Das von Schickalsschlägen durchzogene Leben von Edith Piaf könnte als Beleg für die These gelten, dass große Kunst und großes Leid zusammengehören. Von der Cousine Ihrer Mutter, einer Bordellbesitzerin, in der Normandie aufgezogen, wird sie mit 17 schwanger, ihr (einziges) Kind stirbt zwei Jahre später. Mit 20 wird sie des Mordes an ihrem Vater verdächtigt, kommt in Untersuchungshaft, ihre Karriere scheint beendet. Doch sie rappelt sich wieder auf, wird zu einem gefeierten Weltstar. Yves Montand, Charles Aznavour und Jean Cocteau zählen zu ihren Liebhabern, doch die Liebe ihres Lebens, der Boxer Marcel Cerdan, kommt bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Mit 47 stirbt sie, ausgebrannt und alkoholabhängig, in Paris. In Edith Piafs Aufnahmen, im Timbre ihrer Stimme klingt dieses Leben, das auf uns in seiner verzehrenden Intensität gleichermaßen abschreckend wie anziehend wirkt, heute noch nach. Wer kann das singen?
Maria Bill. Zum Auftakt des 13. Stuttgarter Chansongfests im Renitenz-Theater gelingt der gebürtigen Schweizerin, unterstützt von dem großartigen Akkordeonisten Krzysztof Dobrek und Michael Hornek am Klavier das Kunststück, gleichzeitig in die Figur der Edith Piaf zu schlüpfen und deren Lieder doch neu zu interpretieren. In ihrem schwarzen Kleid wirkt die aparte 65-jährige ähnlich zart und fragil wie die Piaf. Doch anders als die auf der Bühne eher verschlossen wirkende Französin ist Maria Bill ein Energiebündel, eine vor Lebenslust vibrierende Frau, die mit ihrer Aura sofort das Publikum im gut gefüllten Theater in ihren Bann zieht. Im Stil großer Diseusen, mit ungemein wandlungsfähiger Stimme und körperlicher Präsenz lässt sie mit berühmten Chansons wie „La vie en rose“, „Sous le ciel de Paris“ und natürlich „Je ne regrette rien“ die Aufbruchstimmung der Nachkriegszeit in Montmartre noch einmal aufleben. Zwei faszinierende, kostbare Stunden, die am Ende ein merkwürdiges Gefühl hinterlassen. Sehnsucht? (StZ)

Der Saisonauftakt des Freiburger Barockorchesters in Stuttgart

14.
Okt.
2014

Schwacher Start, starkes Finale

Am Ende wurde alles gut. Beim letzten Stück des Abends, Händels Concerto F-Dur HWV 333 trat das Freiburger Barockorchester im Mozartsaal so auf, wie man es von ihm erwartet (und wie es wohl auch seinem eigenen Anspruch entspricht): rhythmisch aus einem Guss, schlüssig phrasierend, auch technisch weitgehend sauber. Als ein echtes Ensemble, bei dem jeder Musiker mit dem Herzen bei der Sache war. Nun hatte Händel für dieses Werk nichts neu komponiert, sondern einige Preziosen aus seinen Oratorien herausgesucht und sehr geschickt für Orchester eingerichtet – zu spielen dürfte das mehr Spaß gemacht haben als die mitunter sehr formelhaft-konventionellen Sätze der anderen beiden der ingesamt drei „due cori“-Konzerte, bei denen Händel das Orchester, in Anspielung an die venezianische Mehrchörigkeit, in zwei korresponierende Sektionen aufgeteilt hat. Das allein aber erklärt nicht, warum das FBO bei seinem Konzert zum Saisonauftakt in der ersten Programmhälfte über weite Strecken einen derart unkonzentrierten, uninspirierten Eindruck gemacht hat – auch bei dem zwischen die Händelkonzerte geschobenen Concerto-F-Dur RV 569 Vivaldis. Anne Katharina Schreiber spielte dessen Violinsolopart eloquent und mit Verve, aber auch mit einigen intonatorischen Unschärfen. Dazu schien sie sich mit den Bläsersolisten im dritten Satz nicht einig darüber zu sein, welches Tempo nun das passende sei: während die Geige immer wieder davonzog, bremsten die Bläser regelmäßig wieder ab.
Nun bringen historische Blasinstrumente dem Spieler mehr technische Widerstände entgegen als moderne Instrumente – das gilt speziell für Naturhörner, aber auch für Holzblasinstrumente. Trotzdem zeichnet ein erstklassiges Alte-Musik-Ensemble aus, dass diese Widerstände aufgefangen und eingebunden werden in einen konzisen, von einem gemeinsamen rhythmischen Puls getragenen Gesamtklang. Zwar spielten gerade die Oboistinnen des FBO ihre mitunter sehr exponierten Soli mit bewundernswerter Akkuratesse und musikalischer Gestaltungskraft (die Bedeutung von concertare: wettstreiten, war hier durchaus wörtlich zu verstehen), darüber hinaus wirkte aber vieles merkwürdig unorganisch und spannungslos.
Nach der Pause nahm Petra Müllejans, die andere Konzertmeisterin des FBO neben Gottfried von der Goltz, dessen Platz am ersten Pult ein. Und man konnte förmlich zusehen, wie das Orchester nach und nach aus seiner Lethargie erwachte. Schon bei Johann Christoph Schmidts Partie à deux choeurs B-Dur agierte das FBO deutlich homogener, begann sich das bis dahin zerfaserte Spiel zu ordnen. In Vivaldis Concerto F-Dur RV 574 ließen sich dann auch die Solisten von Müllejans´ Impulsen einfangen – wunderbar ausgesungen das Oboensolo im Grave, und geradezu entfesselt das des Solocellisten im abschließenden Allegro. Gottfried von der Goltz setzte als Solist einige geigerische Akzente, wenngleich auch ihm die letzte intonatorische Sicherheit in hohen Lagen fehlte. Im letzten Händelkonzert passte dann – siehe oben – schließlich alles zusammen. Sie können es also doch noch, die Freiburger. „Liebesduell“ ist der Titel ihres nächsten Konzerts am 20. Dezember. (StZ)

Susanne Lang spielt Klavierwerke von Evgenij Gunst

04.
Okt.
2014

Lohnende Entdeckung

GunstEs ist keine Schande, den Namen Evgenij Gunst noch nie gehört zu haben. 1877 in Moskau geboren, wo er sich als Komponist und Musikschriftsteller in den Kreisen der Skrjabinisten bewegte, emigrierte Gunst nach der russischen Revolution nach Paris, wo er 1950 verarmt starb. Erst 2010 begann die Sichtung seiner hinterlassenen Manuskripte, darunter auch eine große Anzahl Klavierwerke. Die junge, aus Speyer stammende und in Basel lebende Pianistin Susanne Lang legt mit ihrer CD „Wanderer zwischen den Welten“ nun ein beeindruckendes Porträt des fast vergessenen Komponisten Gunst vor, dessen Biografie durchaus typisch ist für viele in die Emigration gezwungene russische Künstler. Eine Biografie, die in der Entwicklung von Gunsts kompositorischem Stils gespiegelt ist. Frühe Werke wie die beiden Sonaten op. 8 und op. 10 erinnern in ihrer vollgriffig-virtuosen Faktur an russische Zeitgenossen wie Rachmaninov und Skrjabin, in der „Romance sans paroles“ op. 2 scheint sogar etwas chopineske Melancholie durch. Die späteren, in Paris geschriebenen Werke wie die „Douze Miniatures“ op. 28 zeigen in ihrem luziden Satz und ihrer bildhaften Pointierung dagegen deutlich Einflüsse von Debussy und Ravel. Auch wenn pianistisch mit dieser Einspielung das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, so gestaltet Susanne Lang die technisch mitunter äußerst anspruchsvolle Musik Gunsts bravourös und mit großer Sensibilität. Ihr Klavierspiel ist weniger titanisch als differenziert, alles ist im Fluss und klanglich fein ausgehört. Eine lohnende Entdeckung.

Evgenij Gunst. Wanderer zwischen den Welten. Susanne Lang, Klavier. Oehms Classics 899.