Der Klavierabend von Jan Lisiecki in Stuttgart

23.
Jan.
2015

Eindimensionaler Bach

Es passiert nicht alle Tage, dass die Deutsche Grammophon einem 15-Jährigen einen Exklusivvertrag anbietet. Ob sich das renommierte Gelb-Label dabei im Falle des kanadischen Pianisten Jan Lisiecki von der Aussage des Geigers Pinchas Zukerman beeinflussen ließ, der urteilte, ein solches Talent gebe es nur zweimal in hundert Jahren? Und auch wenn offen bleibt, wen Zukerman mit dem anderen Jahrhunderttalent wohl gemeint haben mag (vielleicht sich selber?): Zwei von der Kritik durchaus gelobte CDs mit Mozart-Klavierkonzerten und Chopins Etüden hat Lisiecki schon eingespielt und gibt Konzerte auf der ganzen Welt. Nun war der 19-Jährige innerhalb der Meisterpianistenreihe auch erstmals im Stuttgarter Beethovensaal zu Gast.
Ein Begriff, der im Zusammenhang mit Lisieckis Spiel immer wieder genannt wird, ist „Frische“. Und tatsächlich klangen unter seinen Händen die beiden Choralbearbeitungen „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ und „Ich ruf zu Dir, Herr Jesu Christ“ von Bach/Busoni fast schon extrovertiert – jedenfalls weit weniger tiefsinnig-verklärt als bei anderen Pianisten. Positiv fiel die plastisch herausgearbeitete Stimmführung auf, wobei sich schon eine Tendenz zu einem recht flachen, wenig tragenden Klavierton zeigte. Dazu kommt Lisieckis Neigung, als Kompensation mangelnder klanglicher Differenzierung Themeneinsätze überdeutlich herauszumeißeln. Bei der folgenden Partita Nr. 2 c-Moll BWV 826 von Bach wurde das noch deutlicher, und man muss gar nicht Piotr Anderszewskis überirdisches Bachspiel vom letzten Meisterpianistenkonzert zum Vergleich heranziehen, um Lisieckis gehämmertes Non-legato eindimensional zu finden. Am besten, weil spannungsvollsten, gelang ihm noch das finale Capriccio, während vor allem die Courante auch jeglichen rhetorischen Gestus vermissen ließ.
Klar ist, dass Lisiecki technisch ein enormes Potential besitzt. Die schnellen Sätze aus Chopins Etüden op. 10 legt er bravourös hin, das Presto aus Mendelssohn-Bartholdys Rondo capriccioso huscht in Rekordtempo vorbei. Aber wo bleibt der mendelssohnsche Elfenspuk in diesem Stück, sein irrlichternder Zauber? Poesie, Kantabilität, Expression nicht nur durch Akzentuierung, sondern mittels Klang und Artikulation – das scheint Lisiecki (noch) kaum zu Gebote zu stehen. So kann er mit Chopins Etüde E-Dur wenig anfangen, die Melodie singt nicht, der Ton ist verhangen und stumpf. Mehr liegt ihm der knurrige Furor des cis-Moll Presto, auch die Revolutionsetude c-Moll rast er donnernd herunter. Imposant – aber auch ein wenig langweilig. Blass blieb auch Lisieckis Plädoyer für das Werk von Ignacy Jan Paderewski, einem einst weltberühmten Chopin-Interpreten: Weder die „Humoresques de concert“ als auch das „Nocturne B-Dur“ erreichen auch nur annähernd die Qualität seines Vorbilds Chopin. (StZ)

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