Chick Corea und Bobby McFerrin im Stuttgarter Beethovensaal

21.
Jun.
2015

Die wollen nur spielen

Man kann darüber spekulieren, wie sich Chick Corea und Bobby McFerrin wohl auf ihre gemeinsamen Auftritte vorbereiten. Die wahrscheinlichste Antwort lautet: gar nicht. Möglich, dass sie vorher kurz überlegen, welche Standards sie aus der Kiste holen, ob „Blue Monk“ oder „Brasil“ oder beides, und wieviele Sänger und Pianisten aus dem Publikum sie zum Jammen aufs Podium bitten. Möglicherweise ist aber auch alles aus dem Moment geboren, und sie lassen es laufen, wie es eben kommt, und eigentlich ist es auch egal, denn die beiden sind schließlich Stars: Für Chick Corea, die 74-jährige Jazzpianolegende, und Bobby McFerrin, 65, den unbestrittenen König der gehobenen Vokalartistik, bezahlt wohl mancher allein deshalb an die hundert Euro, um sie überhaupt mal live erleben zu können. Selbstläufer, aus Veranstaltersicht. Und tatsächlich ist der Beethovensaal bis fast auf den letzten Platz gefüllt.
Dann kommen sie auf die Bühne, ganz locker, ganz relaxed. Casual gekleidet, mit Jeans und T-Shirt. McFerrin schnappt sich eine Tasse, an der er den ganzen Abend über immer wieder nippt, und das Ganze würde einem privaten Treffen nach Feierabend ähneln, wären da nicht die knapp zweitausend Menschen im Saal. Dann, nach ein bisschen Geplauder, geht es los. Corea präludiert auf dem Yamaha-Flügel, McFerrin pickt sich ein Motiv heraus, das er mittels Brustklopfen rhythmisiert und entwickelt daraus einen munteren Groove. Nach diesem Rezept werfen sie sich im Verlauf des Abends die Bälle zu und spielen damit herum, wobei auch das Publikum immer wieder zum Mitmachen animiert wird, Tonfolgen mitsummen oder Songtitel einwerfen darf.
Das ist fast genauso wie vor drei Jahren, als Corea und McFerrin schon einmal im Beethovensaal zu Gast waren. Wer damals dabei war, erinnert sich an einen musikalisch hochklassigen, ja beglückenden Abend, innerhalb dessen sich die beiden gegenseitig zu musikalischen Höhenflügen aufschaukelten. Was mit einem simplen Pattern begann, nahm da die verblüffendsten Wendungen, mündete in einen Bossa Nova oder einen Standard aus dem American Songbook, unvorhersehbar, aber einer inneren, aus der Inspiration geborenen Logik folgend.
Nun ist das mit der Sponteanität so eine Sache: ist die Gefahr doch groß, dass ein bewährtes Rezept auf die Dauer zur Routine wird. Tatsächlich versanden an diesem Abend viele Ansätze zu gemeinsamer Improvisaton im Nirvana der Beliebigkeit. Corea klimpert vor sich hin, McFerrin klopft sich auf die Brust und lässt seine Stimme in bekannter Manier vom Brust- ins Kopfregister umschlagen und zurück – das könnte, da von keinem Spannungsbogen strukturiert, noch Stunden so weiter gehen oder auch sofort enden. Es ist eine prekäre Gratwanderung zwischen Spaß am Musikmachen und Zeittotschlagen, und McFerrin scheint dabei zu spüren, dass Langeweile droht. Er gibt noch mehr den Kindskopf als sonst, albert herum, bearbeitet mit dem Mikrofon die Klaviertasten. Auffällig oft animiert er das Publikum zum Mitmachen, und einmal gelingt ihm ein ungemein intensiver Moment, als er ein beiläufiges „Oh-oh“ aus dem Publikum aufgreift und daraus, von Corea kongenial unterfüttert, eine Art Litanei entwickelt. Ansonsten spielen Corea und McFerrin auch mal vierhändig Klavier und wechseln, ohne dabei mit dem Spielen aufzuhören, die Plätze – was ebenso nachhaltig für Vergnügen sorgt wie die Talentproben zweier Hobbysängerinnen, die sich ziemlich erfolgreich an Nat King Coles „Smile“ versuchen. Einen großen, vielbeklatschten Auftritt hat auch ein Pianist aus dem Publikum, der den Mut besitzt, mit Chick Corea vierhändig zu spielen – der im übrigen mit einer längeren Soloimprovisation beweist, dass er nichts von seiner Klasse eingebüßt hat.
Bobby McFerrin allerdings muss mittlerweile seinem Alter Tribut zollen. Mag auch sein Stimmumfang noch beträchtlich sein, so trifft er vor allem die hohen Töne nicht mehr sicher, bei schnellen Tonfolgen und Arpeggien kommt er immer wieder ins Schleudern. Sängerschicksal.
Gegen Ende des Konzerts dann spielen sie noch Coreas wohl bekanntestes Stück, „Spain“. Das haben sie drauf, nehmen es auseinander und jonglieren mit den Motiven fast wie in einer klassischen Sonatendurchführung. Wirklich lässig. Der Beifall ist am Ende frenetisch, es gibt zwei Zugaben. Dann geht das Licht an im Saal. (StZ)

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