Das Abschlusskonzert der Ludwigsburger Schlossfestspiele

26.
Jul.
2015

Weltumspannende Humanität

Manchen Besucher des Abschlusskonzerts der Ludwigsburger Schlossfestspiele dürfte vermutlich beschäftigt haben, was wohl in den Päckchen ist, die Festspielintendant Thomas Wördehoff an Solisten und Dirigenten verteilte. Eintrittskarten fürs Blühende Barock? Oder Schokoladentaler mit dem Stadtwappen? Doch wenn man mit dieser Ungewissheit wohl wird leben müssen,  so gab doch der Auftritt von Pinchas Zukerman an diesem Abend eine Antwort auf die Frage, was eigentlich große Geiger auszeichnet.
Das Violinkonzert von Beethovens spielt insofern eine bedeutende Rolle in Zukermans Karriere, als ihn sein Lehrer Isaac Stern, bei dem er an der Juilliard School in New York studierte, einst vor ein Ultimatum gestellt haben soll: Zukerman, dem es offenbar an der Fähigkeit zur Selbstkritik mangelte, sollte innerhalb von vier Tagen den Anfang des Beethoven-Konzerts nicht bloß spielen können, sondern auch verstanden haben. Sonst, so drohte Stern, schicke er ihn nach Israel zurück. Zukerman übte, verstand – und durfte bleiben. Das Beethoven-Konzert jedenfalls ist seitdem eines seiner Paradestücke. Und auch wenn man es oft gehört hat, so wird diese Ludwigsburger Aufführung im Gedächtnis bleiben.
Das liegt nicht zuletzt an den Tönen, die Zukerman seiner „Dushkin“ genannten Guarneri del Gesù entlocken kann. Die sind in tiefen Lagen sonor und kraftvoll, in der Höhe von einer unbeschreiblichen Süße und gleißenden Strahlkraft, wie man sie kaum je gehört hat. Aber vor allem spielt sie Zukerman mit einer Haltung, die deutlich macht, was solistisches Spiel eigentlich bedeutet: dazu gehört auch, ein Orchester noch im Pianissimo überstrahlen zu können.
Nun gilt Zukerman eher ein Vertreter der alten Schule, und man konnte sich durchaus die Frage stellen, wie er sich mit einem jungen Dirigenten wie Pietari Inkinen verstehen würde, dem historische Aufführungspraxis nicht fremd sind. Doch auch wenn man nicht weiß, wie die Proben verliefen: das Konzert ließ Fragen nach Metronomangaben, Vibrato oder Non-Vibrato als irrelevant erscheinen. Die einleitenden Paukenschläge etablierten den sanft drängenden Impetus, der den ersten Satz belebte, und es entspann sich ein Dialogisieren zwischen Solist und Orchester, wie es in dieser Qualität selten zu erleben ist. Inkinen dirigierte mit Atem und Gespür für die Innenspannung von Phrasen, stets die Klangbalance wahrend, das Festspielorchester agierte hellwach und rhythmisch beweglich (großartig: die Paukerin Babette Haag), ausgezeichnet auch die agilen Solobläser. Zukerman spielte in der Orchestereinleitung die Tuttistimmen mit und exponierte seinen Solopart mit einer selbstsicheren Gelassenheit, der alles vordergründig Expressive fremd ist. Keine aufgesetzten Rubati, die „Ausdruck“ evozieren sollen – stattdessen entfaltete sich Beethovens Musik in ihrer ganzen weltumspannenden Humanität. Der zweite Satz war ein großer, gleichermaßen trauriger wie verzückter Gesang, mit Kantilenen, die Zukerman auf der E-Saite wie mit dem Silberstift geradewegs in den Himmel schrieb. Beim Übergang zum Rondo klang das festliche Beethoven-Pathos der Eroica an. Rückenschauererregend.
Nach der Pause dann Schostakowitschs fünfte Sinfonie, jenes Meisterwerk musikalischer Camouflage, mit dem der Komponist die harsche Kritik Stalins zu unterlaufen suchte, indem er hinter der Maske von Pomp und Pathos Bitternis und Anklage versteckte. Nur ein Trottel, so soll Schostakowitsch später geäußert haben, könne das Finale als Apotheose hören. Für ein Projektorchester wie das der Festspiele ist diese Sinfonie technisch wie interpretatorisch ein harter Brocken. Doch Inkinen verstand es, die Ambivalenz dieser Musik, ihr Changieren zwischen tiefster Depression, Auflehnung und Utopie zum Ausdruck zu bringen. Schonungslos ausgespielt das Ungeschlachte der Marschrhythmen im ersten Satz, berührend die verlorenen Gesänge der Holzbläser im dritten, und imponierend die Unerbittlichkeit, mit der Inkinen das Finale zur Kulmination trieb.
Kein Zweifel: Dieser Pietari Inkinen ist ein Glücksgriff- und fall für die Festspiele. Was der Finne aus Jorma Panulas Dirigentenschmiede aus dem Festspielorchester an Qualität kitzelt, dürfte die Diskussion über das Für und Wider eines Festspielorchesters zumindest vorerst zum Verstummen bringen. Nach den kargen Jahren unter Michael Hofstetter ist das doch eine richtig gute Nachricht. (StZ)

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