Rudolf Buchbinder spielte Beethoven

29.
Okt.
2015

Grenzerfahrung

Wenn der Eindruck nicht täuscht, dann sind die Sonaten Beethovens ein bisschen aus der Mode gekommen. Das dürfte auch daran liegen, dass Werke von Chopin, Schubert oder Rachmaninov einfach leichter verständlich sind als die oft schwer fass- wie spielbaren Beethovensonaten – welcher Pianist nimmt die Torturen der Hammerklaviersonate auf sich, wenn er mit einer Chopin-Ballade weitaus leichter Wirkung erzielen kann?
Galt früher eine zyklische Aufführung aller 32 Beethovensonaten quasi als Ritterschlag zur Aufnahme in die Garde der Großpianisten, so wagen sich heute nur noch wenige an ein solches Unternehmen. Der Ungar András Schiff zählt dazu, der junge Österreicher Till Fellner – und natürlich Rudolf Buchbinder. Mit vier Sonaten fügte der 68-Jährige nun in der Liederhalle seinem groß angelegten Beethovenzklus weitere Mosaiksteine dazu. Buchbinder stellte dabei die eher selten gespielten Sonaten Nr. 6 F-Dur und Nr. 24 Fis-Dur der bekannteren Sonate Nr. 16 G-Dur op. 31/1 und dem Gipfel des beethovenschen Sonatenschaffens, der Hammerklaviersonate B-Dur op. 106 gegenüber. Nun dürfte Buchbinder wohl einer der wenigen lebenden Pianisten sein, die die manuellen Schwierigkeiten dieser Sonate auch unter Konzertbedingungen bewältigen – am eindrücklichsten in der finalen Fuge, die er in einem großen, gewaltigen Anlauf soghaft durchmaß, als atemberaubende tour de force. Dass er dabei nicht immer klar artikulierte, ganze Passagen in Pedalnebel hüllte, sei ihm angesichts des fesselnd scharfen Tempo und der Zielgerichtetheit seines Spiels verziehen.
Auch die anderen Sätze dieser spielte Sonate Buchbinder als motorische wie psychische Grenzerfahrung. Mit klirrender Wucht setzte er die einleitende Akkordfanfare des ersten Satzes, trieb die Entwicklung stringent voran, ließ aber auch Raum für die rätselhaften harmonischen Pufferzonen, die ins Leere laufenden Ritardandi, die dann wieder Platz schufen für neue Anläufe. Das Adagio spielte er als große, bewegte, aber nicht resignative Klage, die beethovensche „appassionato“-Anweisung ernst nehmend und deutlich schneller als andere Pianisten – was dem Satz gut bekam.
Auch wenn der Eindruck dieser Sonate am Ende des Abends am stärksten nachklang, so sollte man die anderen drei Sonaten nicht vergessen, die Buchbinder mit gleicher technischer Brillanz und einfallsreicher Stilsicherheit spielte – am geistreichsten, humorvollsten in der Sonate op. 31/1, deren Opera buffa-Anspielungen er im Adagio grazioso-Mittelsatz mit wienerischer Nonchalance servierte. Schade bloß, dass der Beethoven(!)saal nur halb gefüllt war. Beethoven ist wohl aus der Mode gekommen.

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