Das neue Programm „Rosevue“ des Friedrichsbau Varietés

08.
Nov.
2015

Olé, Stöckchen!

Auf dem Rücken liegend erst einen Sonnenschirm, und dann einen Esstisch auf den Füßen tanzen zu lassen, erst von links nach rechts und dann im Kreis, und gleichzeitig noch zwei Schirmchen mit den Händen zu jonglieren: wie kommt man bloß auf so eine Idee? Und braucht man sowas?
Unbedingt! Denn bei Auftritten wie diesem der Neuseeländerin Emma Phillips (sie nennt sich Antipodistin) steht die perfekte Körperbeherrschung im Dienste einer Art Verzauberung der Welt: einer poetischen Umdeutung von Alltagsdingen, die nicht nur schön anzusehen ist, sondern auch en passant deutlich macht, dass der Reiz des Lebens nicht in der Zweckmäßigkeit liegt. Klar, ein bisschen abgefahren sind solche Fertigkeiten schon – das gilt auch für Marcos Furtnero, der seine „Devilsticks“ mittels Antippen in der Luft halten und herumwirbeln lassen kann, als sei die Schwerkraft vorübergehend aufgehoben. Dass er sich dabei wie ein Torero aus Sevilla in Pose wirft, ist einerseits natürlich albern – rückt aber seine manuellen Kunstfertigkeiten in einen kulturellen Kontext, der dann im Kontrast wiederum sehr lustig ist: „Olé“-Rufe nicht angesichts des möglichen Aufgespießtwerdens durch wilde Stiere, sondern des Runterfallens eines Stöckchens!
Solche Auftritte, bei denen erstklassige Artistik mit Fantasie zusammengeht, machen die Qualität eines Varietéprogramms aus. Und davon gibt es im neuen Programm „Rosevue“ des Friedrichsbau Varietés Stuttgart einige. Dazu gehört auch die Handstandkünstlerin Margo Darbois, die sich, durch die Lichtregie apart in Szene gesetzt, quasi in Zeitlupe ein- und zweiarmig in die Luft schrauben und dabei ihre Wirbelsäule in orthopädisch bedenklichste Verwinkelungen biegen kann. Oder Tosca Rivola, die als lebende Radspeiche derart herumwirbelt, dass einem schon beim Zuschauen schwindlig werden kann.
Natürlich kann sich, wer will, solches auch im Internet anschauen. Doch es macht eben den Reiz und die Spannung einer Liveveranstaltung aus, dass hier auch mal was schiefgehen könnte. Weniger bei spektakulären Kraftnummern wie etwa der muskelstrotzenden Tatyana Lytvynova an der Vertikalstange oder von Sara Sparrow am Reck, wo ein Fehler Lebensgefahr bedeuten kann. Aber wenn Bertan Canbeldek bei seiner rasenden Balljonglage mal kurz nachfassen muss dann zeigt dies auch, in welchen Grenzbereichen der Körperbeherrschung sich die Artisten hier bewegen – eine kleine Unaufmerksamkeit, und die Sache wird zumindest peinlich. Passiert ist an dem Abend aber nichts.
Moderiert wird das Programm von der schwäbischen Komödiantin Rosemie. Nun kann man darüber streiten, ob der Archetypus der dümmlich-verklemmten schwäbischen Hausfrau im Faltenrock nicht schon zur Genüge, um im Idiom zu bleiben: ausgetappt worden ist. Auch Kehrwochenwitze hat man schon reichlich gehört, doch Rosemie bricht das Muster immerhin durch beachtliche Fertigkeiten auf. Dazu gehört das Alphornblasen wie das Tanzen auf Spitzenschuhen im Tutu, und wenn
sie im zweiten Teil in Lederdessous und Löwenpuschen „I feel good“ auf der Tuba bläst, dann ist das in seiner offensiven Peinlichkeit schon wieder ziemlich lustig. Und wer wissen will, wie man mit Bonbons im Mund Steptanzgeräusche machen kann, muss sich das Programm schon selber anschauen. (StZ)

www.friedrichsbau.de

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