Alexander Krichel spielte in Stuttgart

12.
Nov.
2015

Virtuose mit Fragezeichen

Es muss schon einiges zusammenkommen, damit heutzutage eine internationale Karriere als Pianist gelingt. Wettbewerbserfolge allein reichen da nicht aus – ohne einen Vertrag bei einer Plattenfirma, am besten bei einem der großen Labels, und einer gut vernetzten Agentur wird es schwerlich gelingen. Insofern hat Alexander Krichel einen Traumstart hingelegt. Denn nicht nur ist er Exklusivkünstler bei Sony Classical, auch hat er 2013 Jahr einen Echo Klassik und damit auch entsprechendes Medienecho bekommen – was dann auch die Konzertveranstalter gefreut hat. Dennoch war der Beethovensaal bei seinem Konzert in der Meisterpianistenreihe nur schwach besucht, ein Schicksal, das er freilich mit berühmteren Kollegen teilt.
Krichel spielte in der ersten Hälfte Mozarts Sonate D-Dur KV 284 und Chopins Variationen über „Lá ci darem la mano“ aus Mozarts Oper Don Giovanni – in der Theorie eine Konstellation mit interessanten Querbezügen, die Krichel aber interpretatorisch nicht einlösen konnte. Sein Mozart war seltsam unentschieden: in den Laufpassagen rhythmisch etwas unstet und insgesamt mit wenig Anschlagsdifferenzierung, in den langsamen Variationen des Schlusssatzes die Vorhalte etwas über Gebühr ausspielend, merklich nach Ausdruck suchend, ohne den Mozartton genau zu treffen. In Chopins Variationensatz dann merkte man schnell, was Krichels Qualität ausmacht: er ist ein Virtuose, der technisch kaum Grenzen kennt. Blitzsauber gelingen ihm die rasenden Lagenwechsel in der vierten Variation, das Laufwerk in den ersten beiden Variationen absolviert er mit jener Bravour, die Chopin dabei im Sinn hatte. Gleichwohl fragte man sich, warum Krichel dieses Stück, das für Klavier mit Orchester komponiert wurde, gewählt hat. Denn musikalisch gibt es weitaus interessantere Chopinwerke, außerdem hinterlässt das fehlende Orchester einige merkwürdige Leerstellen.
Nach der Pause folgten dann Rachmaninows Moments musicaux op. 16, die Krichel auch auf seiner dritten CD eingespielt hat. Und dass er sich in dieser Welt wohl fühlt, spürte man sofort. Der Steinway atmete förmlich auf, entwickelte ein Spektrum an Farben, das man bis dahin vermisst hatte. Frei entfaltete sich die Kantilene im b-Moll Andantino über einer samtweich abgetönten Akkordbegleitung, rauschhaft strömten die raschen e-Moll und es-Moll Sätze dahin, von keinen technischen Widerständen gebremst. Ob Krichel die große Klavierhoffnung ist, als die er vermarktet wird, ist aber die Frage – ein Daniil Trifonov etwa spielt noch weitaus packender, und gegenüber Igor Levits schneidend intelligentem Spiel wirkt bei ihm manches noch recht unausgegoren. Ganz abgesehen von Krichels peinlicher erster Zugabe, einer Eigenkompositon im Yann Tiersen-Stil. Was hat er sich dabei bloß gedacht? (StZ)

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