Das RSO mit Werken von Glanert und Ravel

11.
Dez.
2015

Filmmusik und Zaubergarten

Stéphane Denève macht keinen Hehl aus seiner Abneigung gegenüber jenen zeitgenössischen Tonsetzern, denen die Verständlichkeit ihrer Werke schnuppe ist. Demzufolge bevorzugt er Komponisten wie John Mc Millan oder John Adams, die sich nicht jenem Neue Musik-Mainstream zugehörig fühlen, der in Deutschland bestimmend ist. Allerdings gibt es auch hierzulande einige Komponisten, die sich der Ghettoisierung entziehen – einer der erfolgreichsten ist Detlev Glanert, der sich vor allem als Opernkomponist einen Namen gemacht hat. Für das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR hat Glanert „Megaris“ komponiert, das nun beim Abokonzert im Beethovensaal seine Uraufführung erlebte.
Der Titel bezieht sich auf die gleichnamige Insel, an der nach Homers „Odyssee“ einst der Körper der Sirene Parthenope angeschwemmt wurde. Sie wählte den Freitod, nachdem Odysseus erfolgreich ihren Sangeskünsten widerstanden und unfallfrei die Felsen passiert hatte. Nun ist der Bezug auf einen antiken Mythos bei zeitgenössischen Komponisten beliebt, bürgt er doch für einen gewissen Kunst-Ernst. Andererseits lässt er aber die Frage offen, ob es gar keine aktuellen Themen gibt, die sich kompositorisch verhandeln ließen – woran auch der Umstand nichts ändert, dass Glanert laut Programmheft die ertrinkenden Sirenen in eine Beziehung setzt zu den ertrinkenden Flüchtlingen im Mittelmeer. Das erscheint dann doch etwas weit hergeholt.
Musikalisch freilich geht es in dem Stück recht dramatisch zu. Nach dem Auftakt mit einem Solosopran (Wakako Nakaso) türmt sich der Orchesterklang zu mächtigen Kulminationen auf. Da toben die Elemente, tremolierende Streicher und Bläserglissandi evozieren das Bild einer aufgewühlten See. Dazu raunt unheilvoll der Chor (das SWR Vokalensemble), das Schlagzeug kracht, und beim Geknatter des Blechs kommt einem Rimsky-Korsakoffs „Scheharazade“ in den Sinn. Das RSO musiziert brillant und das Stück ist auch ohne Zweifel gut gemacht, das Publikum applaudiert nach Kräften. Und doch vermisst man so etwas wie einen distinkten, eigenen Ton, eine künstlerische Handschrift. Glanert zieht virtuos alle möglichen Schubladen, ästhetisch aber hinterlässt „Megaris“ den Eindruck von: Filmmusik.
Auch Maurice Ravel bezieht sich in seiner Lyrischen Fantasie „L´Enfant et les Sortilèges“ auf musikalische Vorbilder aller Art. Doch anders als bei Glanert sind diese Elemente – Jazz, Music Hall, Barockmusik – als Zitate jederzeit erkennbar und Teil einer Konzeption, in der musikalische Stile ebenso in neue Konstellationen gesetzt werden wie Menschen, Tiere und Gegenstände. Müsste man einen Gegenentwurf zu Wagners Musikdramen nennen, es wäre wohl diese Minioper, in der es für das Wunderbare keine Götter braucht, sondern bloß die Welt, wie sie ist – sofern man sie mit den Augen eines Kindes betrachten kann. Dass man sie praktisch nie im Opernhaus zu sehen bekommt, liegt nicht allein daran, dass man dafür 21 Rollen besetzen muss: Ravels geniale Musik evoziert in den kurzen Szenen die Bilder so plastisch, dass es gar kein Bühnenbild braucht. Das Stück ist wie ein sinnverwirrender, klingender Zaubergarten, in der Sessel und Stühle sprechen und Tassen tanzen können, eine Feier der Fantasie und ein Beleg für das romantische Versprechen, dass da ein Lied in allen Dingen schläft.
Stéphane Denève und das RSO jedenfalls trafen das Zauberwort, ebenso wie das SWR Vokalensemble, der Cantus Juvenum Chor Karlsruhe und die zehn handverlesenen Vokalsolisten, die in ihren Mehrfachrollen das ravelsche Rollenpersonal szenisch wie sängerisch beglaubigten. Ein Fest!

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