Beiträge im Archiv Februar 2016

Khatia Buniatishvili spielte in Stuttgart

28.
Feb.
2016

Formlos zerfließend

Vor knapp fünf Jahren kam Khatia Buniatishvilis Debüt-CD mit Werken von Franz Liszt auf den Markt: eine in ihrem Feuer und ihrer kompromisslosen Hingabe beeindruckende Talentprobe der jungen Georgierin, die manche schon mit Martha Argerich verglichen. Auch die nächste CD mit Chopin kletterte in den Klassikcharts weit nach oben und versprach auch künstlerisch einiges. Damit einher ging eine von ihrer Plattenfirma gesteuerte, an den Vermarktungsstrategien der Popmusik orientierte Kampagne, die Khatia Buniatishvili konsequent als Glamourgirl und Vamp in Szene setzte. Schwarze Mähne, knallroter Mund und spektakuläre Konzertkleider wurden zum Markenzeichen der ECHO-Preisträgerin: Würde man allein das Foto auf dem Programmheft ihres Klavierabends im Stuttgarter Mozartsaal sehen – schulterfrei mit halb geöffnetem Mund und laszivem Augenaufschlag – man dächte an alles Mögliche, aber nicht an eine klassische Pianistin.
Nun könnte man dies als Äußerlichkeiten abtun: letzendlich zählt nur die Kunst. Doch wenn der Eindruck nicht täuscht, dann hat Khatia Buniatishvili mittlerweile auch ihr Klavierspiel ihrem Image und den Hörerwartungen des avisierten Publikums angepasst. Vereinfacht auf den Punkt gebracht, bedient sie nur zwei Kategorien des Ausdrucks: ein überzuckertes, rubatogesättigtes Espressivo und ein entfesseltes Wüten. Exemplarisch können dafür ihre drei Zugaben stehen. Debussys „Clair de lune“ aus der Suite bergamasque zerfließt formlos in Einzelklänge, bar jeder rhythmischen Kontur. Ebenso Händels Menuett g-Moll. Das Precipitato-Finale aus Prokofieffs siebter Sonate ist dagegen eine Fortissimoorgie vom ersten Ton an, höllisch schnell, aber weitgehend undifferenziert und ohne dramaturgische Entwicklung. Wieviel spannungsvoller und soghafter hat das die junge Martha Argerich gespielt!
Auch der Musik von Modest Mussorgsky bekommt zuviel Subjektivität nicht gut, das gilt gerade auch für die „Bilder einer Ausstellung“, die Khatia Buniatishvili in der ersten Programmhälfte spielt. Die verbindenden Promenaden zelebriert sie wie romantische Rührstücke, und schon hier fällt ihre Neigung auf, Pianissimopassagen über Gebühr mit dem linken Pedal zu spielen. „Bydlo“ mit dem übers Feld rumpelnden Ochsenkarren erinnert an einen chopinschen Trauermarsch, das stolze, männliche Thema des großen Tors von Kiew zerbröckelt in ausgedehnten Rubati.
Das wird nach der Pause bei fünf Stücken von Franz Liszt und drei aus Strawinskys Petrouchka nicht grundsätzlich anders, wobei Khatia Buniatishvil nicht nur in der f-Moll Etüde „La Leggierezza“ ihr enormes pianistisches Potential zeigt: derart flüssig laufen die Finger bei wenig anderen. Es wäre dieser eminent Begabten zu wünschen, sie würde sich weniger um ihr Image und mehr um ihre künstlerische Entwicklung kümmern. (StZ)

Daniil Trifonov in Stuttgart

03.
Feb.
2016

Hut ab

Man sollte vorsichtig sein mit Superlativen, zumal wenn es um klassische Musiker geht: von manch gehyptem Wettbewerbsgewinner ist nach ein, zwei CD-Veröffentlichungen nicht mehr viel zu hören. Im Falle von Daniil Trifonov freilich erscheint die Einschätzung nicht vermessen, frei nach Robert Schumanns (auf Chopin gemünztem) Verdikt sagen zu dürfen: Hut ab, meine Herren, ein Genie!
Nun ist man gerade in der Meisterpianistenreihe der SKS Russ ja einiges gewohnt: erst kürzlich spielte Marc-André Hamelin ein großartiges Konzert, für den nächsten Klavierabend hat sich kein Geringerer als Maurizio Pollini angesagt. Dennoch: was der 24-jährige Russe am Dienstagabend im sehr gut besuchten Beethovensaal gezeigt hat, war schlichtweg eine Sensation.
Trifonov begann mit einem Solitär: Brahms´ Bearbeitung von Bachs Chaconne d-Moll ist kaum einmal im Konzert zu hören; zu undankbar ist die Bearbeitung für die linke Hand allein, zumal Busonis spätere Einrichtung pianistisch weitaus mehr Effekt macht. Gleichwohl entspricht diese Version in ihrer Beschränkung auf eine Hand mehr dem Geist des bachschen Originals für Violine, als darin ebenfalls Widerstände zu überwinden sind – viele Akkorde etwa lassen sich nur gebrochen ausführen. Daniil Trifonov spielte diese Chaconne mit ungeheurem Ernst und Ausdruckswillen, dabei sehr frei im Tempo und mit stupendem Klangbewusstsein. Schon hier wurde deutlich, wie schlüssig Trifonov Entwicklungen darstellen kann, eine Eigenschaft, die dann in Schuberts Sonate 18 G-Dur D894 Triumphe feierte. Wie leicht kann diese Musik in ihrem motivischen Kreisen, ihren immer neuen Beleuchtungen eines Motivs eintönig, ja langweilig wirken! Doch Trifonov gestaltete sie mit einer Einfühlungskraft, die sich pianistisch in feinsten Differenzierungen niederschlug. Jede Note erschien hier gleichsam auf die Goldwaage gelegt, nichts einfach so dahingespielt. Der Beginn des Menuettos war ein Wunder an rhythmischer Vielfalt, das Trio beglückte mit schier unfassbaren Pianissimonuancen. Eine Studie in Aufmerksamkeit und Sensibilität, die en passant ein Zeitempfinden evozierte, das den meisten wohl im Alltag längst abhanden gekommen ist.
In Brahms Paganini-Variationen op.35 dann kehrte Trifonov seine Virtuosenseite heraus, ohne jemals die Poesie außen vor zu lassen. Dabei kroch er manchmal fast in die Klaviatur hinein, spielte Klavier mit dem ganzen Körper, wurde quasi eins mit dem Instrument. Selbst die irrwitzigsten Klavierhexereien wirkten völlig mühe- und schwerelos, dazu gab es Momente zum Atemanhalten: wie Sternschnuppen verglühten die Arpeggientöne in der 12. Variation.
Nach der Pause dann Rachmaninovs 1. Sonate, ebenfalls horrend schwer und kaum einmal live zu hören. Trifonov spielte das von Goethes „Faust“ inspirierte Stück wie einen pianistischen Fiebertraum, als dunkel dräuendes Drama, rhapsodisch strömend, ein einziger großer Sog. Am Ende Ovationen wie lange nicht mehr bei einem Klavierabend, der sichtlich erschöpfte Trifonov legte noch drei Zugaben hin: eine Pletnev-Bearbeitung aus Tschaikowskys „Dornröschen“, Skrjabins Etüde für die linke Hand op.9/1 und Liszts Paganini-Etüde Nr.6.  (StZ)