Daniil Trifonov in Stuttgart

03.
Feb.
2016

Hut ab

Man sollte vorsichtig sein mit Superlativen, zumal wenn es um klassische Musiker geht: von manch gehyptem Wettbewerbsgewinner ist nach ein, zwei CD-Veröffentlichungen nicht mehr viel zu hören. Im Falle von Daniil Trifonov freilich erscheint die Einschätzung nicht vermessen, frei nach Robert Schumanns (auf Chopin gemünztem) Verdikt sagen zu dürfen: Hut ab, meine Herren, ein Genie!
Nun ist man gerade in der Meisterpianistenreihe der SKS Russ ja einiges gewohnt: erst kürzlich spielte Marc-André Hamelin ein großartiges Konzert, für den nächsten Klavierabend hat sich kein Geringerer als Maurizio Pollini angesagt. Dennoch: was der 24-jährige Russe am Dienstagabend im sehr gut besuchten Beethovensaal gezeigt hat, war schlichtweg eine Sensation.
Trifonov begann mit einem Solitär: Brahms´ Bearbeitung von Bachs Chaconne d-Moll ist kaum einmal im Konzert zu hören; zu undankbar ist die Bearbeitung für die linke Hand allein, zumal Busonis spätere Einrichtung pianistisch weitaus mehr Effekt macht. Gleichwohl entspricht diese Version in ihrer Beschränkung auf eine Hand mehr dem Geist des bachschen Originals für Violine, als darin ebenfalls Widerstände zu überwinden sind – viele Akkorde etwa lassen sich nur gebrochen ausführen. Daniil Trifonov spielte diese Chaconne mit ungeheurem Ernst und Ausdruckswillen, dabei sehr frei im Tempo und mit stupendem Klangbewusstsein. Schon hier wurde deutlich, wie schlüssig Trifonov Entwicklungen darstellen kann, eine Eigenschaft, die dann in Schuberts Sonate 18 G-Dur D894 Triumphe feierte. Wie leicht kann diese Musik in ihrem motivischen Kreisen, ihren immer neuen Beleuchtungen eines Motivs eintönig, ja langweilig wirken! Doch Trifonov gestaltete sie mit einer Einfühlungskraft, die sich pianistisch in feinsten Differenzierungen niederschlug. Jede Note erschien hier gleichsam auf die Goldwaage gelegt, nichts einfach so dahingespielt. Der Beginn des Menuettos war ein Wunder an rhythmischer Vielfalt, das Trio beglückte mit schier unfassbaren Pianissimonuancen. Eine Studie in Aufmerksamkeit und Sensibilität, die en passant ein Zeitempfinden evozierte, das den meisten wohl im Alltag längst abhanden gekommen ist.
In Brahms Paganini-Variationen op.35 dann kehrte Trifonov seine Virtuosenseite heraus, ohne jemals die Poesie außen vor zu lassen. Dabei kroch er manchmal fast in die Klaviatur hinein, spielte Klavier mit dem ganzen Körper, wurde quasi eins mit dem Instrument. Selbst die irrwitzigsten Klavierhexereien wirkten völlig mühe- und schwerelos, dazu gab es Momente zum Atemanhalten: wie Sternschnuppen verglühten die Arpeggientöne in der 12. Variation.
Nach der Pause dann Rachmaninovs 1. Sonate, ebenfalls horrend schwer und kaum einmal live zu hören. Trifonov spielte das von Goethes „Faust“ inspirierte Stück wie einen pianistischen Fiebertraum, als dunkel dräuendes Drama, rhapsodisch strömend, ein einziger großer Sog. Am Ende Ovationen wie lange nicht mehr bei einem Klavierabend, der sichtlich erschöpfte Trifonov legte noch drei Zugaben hin: eine Pletnev-Bearbeitung aus Tschaikowskys „Dornröschen“, Skrjabins Etüde für die linke Hand op.9/1 und Liszts Paganini-Etüde Nr.6.  (StZ)

Ein Kommentar vorhanden

  • Dr. Angelika Marquardt
    3. Februar 2016 17:38

    Ich hatte Daniil Trifonov wenige Tage zuvor mit dem selben Programm in München gehört und kann der Kritik nur zu 100 Prozent zustimmen!

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