Die Stuttgarter Philharmoniker mit Bernd Glemser

03.
Mrz.
2016

Brahmssche Herzenswärme

„Dickflüssig“ und „unelastisch“ sei Brahms zweites Klavierkonzert, befand einst der Brahms Biograf Walter Niemann. Möglicherweise war für diese Einschätzung sein Höreindruck entscheidend, denn viele Aufführungen dieses Konzert vermitteln in der Tat etwas Monströses, Schwergewichtiges. Das hängt nicht zuletzt mit den Schwierigkeiten des Soloparts zusammen: von „pianistischen Perversionen“ sprach sogar der ansonsten eher zurückhaltend formulierende Alfred Brendel angesichts der mächtigen Tongebirge, die Brahms hier auftürmt.
Gut möglich, dass Niemann Urteil anders ausgefallen wäre, hätte er die Aufführung des Konzerts mit den Stuttgarter Philharmonikern und Bernd Glemser gehört. Nicht, dass Glemser die majestätische Größe dieses Werks nicht zur Geltung gebracht hätte. Doch die gelassene Leichtigkeit, mit der er pianistische Höchstschwierigkeiten wie Terztriller und Pianissimo-Oktavsprünge meisterte, hielt das Titanische im Zaum und gab dem Werk sozusagen eine menschliche Stimme zurück. Und das nicht nur im Andante mit den zauberhaften Dialogen von Klavier und Holzbläsern – auch manche Passagen in den Ecksätzen, ja sogar im Scherzo gewannen unter Glemsers Händen einen fast kammermusikalisch-lichten Charakter. Glemser vermittelte auf wunderbare Manier zwischen der Ambivalenz vieler brahmscher Gedanken – auf schroffe Wildheit folgt prompt innigste Herzenswärme – die er als zwei Seiten einer Medaille verständlich machte. Pianistisch war das auf höchstem Niveau, und wenn es überhaupt etwas kritisch anzumerken gibt, dann vielleicht, dass Glemser manche Passagen etwas sportiv anging, nicht immer von letztem Ausdruckswillen beseelt. Er muss dieses Konzert nicht bezwingen – was aber dann auch wieder etwas Bezwingendes hat. Großer Beifall, eine Zugabe: „Ich ruf zu Dir, Herr Jesu Christ“ von Bach/Busoni.
Nach einer etwas belanglosen Lortzing-Ouvertüre fiel schon im Brahms-Konzert die Konsequenz auf, mit der Constantin Trinks am Dirigentenpult das Orchester über das zerklüftete Massiv führte – da gab es keine Durchhänger oder unmotivierte Übergänge, alles entwickelte sich zwingend aus dem Vorhergehenden, und diese seltene Qualität war auch die Voraussetzung für eine einnehmend gute Darstellung von Schumanns zweiter Sinfonie C-Dur. Die Zweite ist wohl die „Klassischste“ unter allen Schumann-Sinfonien, das Jubelfinale erinnert an Mozart und Beethoven, und die soghafte Stringenz dessen fünfter Sinfonie hat sich offenbar auch Constantin Trinks als Vorbild genommen. Sofort mit Eintritt des Hauptthemas setzte er einen Spannungsbogen, der erst mit dem Schlussakkord endete. Das hatte Zug, ohne hastig zu wirken und erinnerte etwas an George Szells Kunst, den Puls der Musik wach zu halten. Dabei nahm Trinks in Kauf, dass die Philharmoniker gelegentlich an ihre technischen Grenzen gehen mussten: Der mendelssohnsche Elfenzauber im Scherzo kam aber nicht zuletzt durch das straffe Tempo umso belebter zum Ausdruck. Dass Trinks als Wagnerdirigent gefragt ist, bewies er im Adagio, dessen melodische Linien er geradezu sehrend-intensiv ausspielen ließ, und auch im Finale hielt er das eingang gesetzte Erregungniveau bis zur triumphalen Coda durch.
Chapeau! (StZ)

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