Das Eröffnungskonzert der Ludwigsburger Schlossfestspiele

01.
Mai.
2016

Dass, wer eine Reise tut, hernach was zu erzählen hat, wusste schon Matthias Claudius. Eine Erkenntnis, die dem Motto der Ludwigsburger Schlossfestspiele „Passagen-Erzählungen“ zugrundeliegt und auch für die Grimmschen Märchen gilt, die der Direktor des Deutschen Literaturarchivs Marbach, Ulrich Raulff, als Ausgangspunkt für seine brillante Rede zur Eröffnung der Festspiele im Ludwigsburger Forum wählte. Wobei der Stoff der Erzählung stark davon abhängt, ob die Reise freiwillig angetreten wurde: „Etwas Besseres als den Tod findet du überall“ heißt es im Märchen von den Bremer Stadtmusikanten – und wie Raulff deren Flucht, stellvertretend für die Vertriebenen unserer Zeit, in die europäische Geistesgeschichte von Xenophon über Cervantes bis zu Benjamins Passagenwerk einbettete, war in seiner Schlüssigkeit bestechend. Der Zusammenhang zur aktuellen Flüchtlingsproblematik war so offensichtlich, dass Raulff ihn gar nicht näher ausführen musste, und auch seine These, das Gebrüll der Bremer Stadtmusikanten tauge zur Eröffnung des Festivals, war am Ende der Rede beglaubigt: sie stehen für die Schreie der Vertriebenen, die uns wachrütteln sollen.

Zuvor war man im abgedunkelten Saal von dem Oud-Spieler Yurdal Tokcan in eine eher somnambule Stimmung versetzt worden. Die zarten Klänge der arabischen Laute sollten die Pforten öffnen in das Zauberreich aus 1001 Nacht, das Rimski-Korsakow mit seiner sinfonischen Dichtung „Scheherazade“ imaginierte. Allerdings wurde die erst nach der Pause gespielt, als die orientalische Atmosphäre längst wieder verflogen war – eine Dramaturgie, die sich nicht recht erschließen wollte. Das von Pietari Inkinen geleitete Festspielorchester nahm den Faden gleichwohl schnell wieder auf: sehr atmosphärisch entwarf Inkinen Rimski-Korsakows Musikmärchen und bewies dabei sein untrügliches Gespür für Spannungsbögen – unterstützt vom Konzertmeister Gustavo Surgik, der die Stimme der schönen Erzählerin rhapsodisch und frei deklamierte. Technisch spielte das Orchester auf gutem Niveau: sogar die gefürchteten Bläserrepetitionen in der Schiffbruchsszene gelangen präzise, und nur nach der anschließenden Kulmination hatte Inkinen einen kurzen Moment Mühe, das Orchester wieder auf Kurs zu bringen. Klanglich hat das Orchester sicher noch Potential: die inhomogene, kühle Saalakustik macht es dem Dirigenten aber auch nicht leicht.

Die war kein Problem für den Pianisten Simon Trpceski, der vor der Pause Prokofjews drittes Klavierkonzert mit geradezu nonchalanter Überlegenheit hingeworfen hatte. Der Mazedonier zählt zur überschaubaren Garde der Supervirtuosen, die auch bei Höchstschwierigkeiten noch locker bleiben: leichter, freier, poetischer hat man dieses Konzert selten gehört. Ein starker Auftakt!

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