Beiträge im Archiv September 2016

Roberto Prosseda spielt Mozarts Klaviersonaten

25.
Sep.
2016

Fülle an Abstufungen

roberto-prosseda-mozart-piano-sonatas-nos-1-6Ob eine Neueinspielung von Mozarts Klaviersonaten wirklich noch nötig sei, fragt der italienische Pianist Roberto Prosseda im Booklet seiner neuen CD, und ob es möglich sei, noch immer etwas Neues über diese Werke auszusagen und dabei Mozarts Partitur treu zu bleiben. Fragen, die zweifellos berechtigt sind: schließlich liegen bereits viele erstklassige Aufnahmen von Pires über Brendel bis Bezuidenhout vor, die – so könnte man meinen – das Spektrum der möglichen Interpretationen weit ausgelotet haben. Wer allerdings Prossedas CD mit den ersten sechs Mozartsonaten im Rahmen der geplanten Gesamtaufnahme gehört hat, kann dem Pianisten zugestehen, dass er triftige Gründe für sein Vorhaben hat. Mehr noch: diese Aufnahme ist ein Ereignis, denn feiner, differenzierter, sprechender hat man diese Sonaten kaum je gehört. Und das liegt vor allem an Prossedas Anschlagskultur. Wenn andere Pianisten mit einigen mehr oder weniger groben Abstufungen zwischen Legato und Staccato über die Runden zu kommen meinen, verfügt Prosseda, begünstigt durch die exquisite Mechanik des Fazioli-Flügels, über eine Fülle allein an non-legato-Abstufungen, die schlicht Staunen macht. Kein Lauf, kein Triller klingt da wie der andere, alles ist distinkt und klar ausformuliert unter genauer Beachtung von Mozarts Vortragsbezeichnungen. Man kann anhand dieser Aufnahme nachvollziehen, wie Ausdruck nicht auf „romantische“ Manier durch Rubati, sondern durch Differenzierung entsteht – was gerade Mozart bestens bekommt, der hier, von allem Gefühlsdusel befreit, in purer Reinheit zu uns spricht.

Frank Armbruster

Mozart. Klaviersonaten Nr. 1-6. Roberto Prosseda. Decca 48102632.

Das erste Abokonzert des Stuttgarter Kammerorchesters

25.
Sep.
2016

Erfrischend rückwärtsgewandt

Hörte man den Liederzyklus „Garden of devotion“ nach Liebesgedichten des bengalischen Dichters Rabindranath Tagore, ohne zu wissen, von wem er komponiert wurde – man würde am ehesten auf frühes 20. Jahrhundert tippen. Spätromantisches Melos, tonale Reizharmonik – Zemlinsky vielleicht? – wären da nicht diese kecken, fast musicalartigen Wendungen, die an Bernstein erinnern… Aber das Stück stammt von Rolf Martinsson, einem zeitgenössischen schwedischen Komponisten, der zwar beim Avantgardepapst Brian Ferneyhough studiert hat, aber Stücke schreibt die mit dem, was man gemeinhin mit neuer Musik verbindet, nichts zu tun haben – und wohl gerade deshalb beim Publikum so gut ankommen: Auch beim ersten Abokonzert des Stuttgarter Kammerorchesters, wo es herzlichen Applaus für das Orchester und die fabelhafte Sopranistin Lisa Larsson gab, der Martinsson die Lieder gewidmet hat.

Auf seine Art rückwärtsgewandt ist auch die Ballettmusik „Apollon Musagète“aus Igor Strawinskys neoklassizistischer Periode. Strawinsky beschwört darin den Geist des Klassizismus mit zeitgemäßen Mitteln herauf, eine fein gesponnene wie empfindliche Musik, die emotionalen Überschwang ebenso übel nimmt wie allzu große Distanziertheit – eine heikle Balance, die Matthias Foremny mit dem SKO stilsicher wahrte. Foremny formte dabei jeden Satz nicht nur artikulatorisch aufs Feinste aus, er nutzte auch die Möglichkeiten zu klanglicher Differenzierung, die das Kammerorchester mittlerweile bietet. Tatsächlich scheint das SKO, ermöglicht nicht zuletzt durch zahlreiche Neubesetzungen, auf dem besten Weg, auch international mit den Besten mitzuhalten zu können – eine Entwicklung, die vor einigen Jahren so noch nicht abzusehen war. Und auch wer Orchesterfassungen von Streichquartetten grundsätzlich kritisch gegenübersteht – perfekt sauber klingt das nie – viel mehr an Durcharbeitung kann man bei einem Stück wie Schuberts Quartett d-Moll D 810 „Der Tod und das Mädchen“ nicht erwarten. Chapeau! (StZ)

Das erste Konzert des SWR Symphonieorchesters

24.
Sep.
2016

Wortloser Einstand

Seit Wochen schon prangt der neue Name in Stuttgart großlettrig auf städtischen Plakatwänden, an Bushaltestellen und Litfasssäulen: „SWR Symphonieorchester“- so heißt der neue Klangkörper des Südwestrundfunks, gebildet aus den beiden zwangsfusionierten Funkorchestern aus Baden-Baden/Freiburg und Stuttgart. Und da die umständlichen Ortsbezeichnungen nun wegfallen, so mag man sich beim SWR gedacht haben, kann man dem neuen Orchesternamen durch die altmodische Schreibweise auch einen zusätzlichen Buchstaben gönnen.

Wobei es eine vergleichweise leichte Aufgabe gewesen sein dürfte, aus einer Sinfonie eine Symphonie gemacht zu haben. Denn die Widerstände waren bekanntlich riesig, als der SWR-Intendant Peter Boudgoust vor fünf Jahren verkündete, dass er aus Spargründen die beiden Rundfunkorchester zusammenlegen wollte. Eine Welle der Empörung ging durch die Republik, von kukturellem Kahlschlag war die Rede, es gab Demonstrationen und Unterschriftenaktionen. 148 Komponisten richteten einen offenen Brief an Boudgoust, und als es schließlich nur noch darum ging, wo der zukünftige Sitz des neuen Orchesters sein sollte, flogen Giftpfeile von Stuttgart nach Freiburg und zurück. Dabei wurde leicht vergessen, dass Boudgoust durchaus gute Gründe für sein Vorhaben hatte: 166 Millionen muss der SWR bis 2020 einsparen, speziell beim Kultursender SWR2 wurde und wird massiv gestrichen. Angesichts dessen war es auch innerhalb des SWR schwer vermittelbar, dass ausgerechnet die gut bestallten Orchester ungeschoren davon kommen sollten – zumal der ureigene Auftrag eines Rundfunksenders darin besteht, Programm zu machen und nicht Orchester zu unterhalten.

Trotz aller Anfeindungen, denen Boudgoust ausgesetzt war – er wankte nicht, verteidigte sein Vorhaben und zog es bis zuletzt eisern durch. Mit Johannes Bultmann installierte er 2013 einen Manager, der die Fusion intern abwickelte. Da der SWR vertraglich zusicherte, dass es keine Kündigungen geben würde, sind beim neuen Orchester nun viele Positionen über das übliche Maß hinaus mehrfach besetzt. Statt wie bisher zwei, hat das neue Orchester vier alternierende Konzertmeister, ähnlich sieht es bei den Bläsern aus. Mit 175 Mitgliedern ist das neue SWR Symphonieorchester derzeit gar das größte Orchester Deutschlands, bis zum Ende der Fusionsphase soll es auf 119 Stellen abgeschmolzen sein.

Bei einer solch üppigen Personalausstattung darf auch bei den Programmen geklotzt werden – und so war es nicht verwunderlich, dass man für das erste Konzert des neuen Orchesters im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle Gewichtiges aufs Programm setzte. Opernadaptionen der finnischen Komponistin Kaaija Saariaho und das Adagio aus Mahlers zehnter Sinfonie bildeten die erste Hälfte, danach gab es das Violinkonzert DoReMi von Peter Eötvös, der auch das Konzert dirigierte, am Ende noch Belá Bartóks „Der Wunderbare Mandarin“. Ein so ambitioniertes wie anstrengendes Programm, mit dem wohl das Leistungsvermögen des neuen Orchesters bewiesen werden sollte. Dazu wurde der Beethovensaal lichttechnisch mächtig aufgerüstet. Die Hallendecke war gesprenkelt mit Scheinwerfern, die die Bühne in ein grünrot changierendes Licht tauchten, offenbar wollte man auch jenen was bieten, die das Konzert zuhause im Fernsehen oder gestreamt im Internet verfolgten – und was vermittelt sich schon rein akustisch über PC-oder Fernsehlautsprecher von dem, was im Saal zu hören ist? Der Aufwand war insgesamt also beträchtlich, und umso merkwürdiger erschien der Umstand, dass sich offenbar kein SWR-Verantwortlicher berufen fühlte, zu Beginn des Abends wenigstens ein kleines Begrüßungswort ans Publikum zu richten. Auch das Programmheft ging mit keiner Silbe darauf ein, man schien fest entschlossen so zu tun, als sei dies irgendein Abokonzert und nicht die Feuertaufe eines neuen Klangkörpers.

Die freilich hat das neue Orchester weitgehend bestanden. Technisch war das Konzert auf dem erwartbar hohen Niveau, dass es klanglich noch ebenso Entwicklungspotential gibt wie was die Flexibilität des Zusammenspiels betrifft, liegt auf der Hand. Da muss noch zusammenwachsen, was (zumindest ab jetzt) zusammengehört. Was Agogik anbelangt, riskierte deshalb Peter Eötvös klugerweise nicht allzuviel und hielt das Orchester lieber an der kurzen Leine, was nur beim etwas belanglos dahingespielten Mahler negativ ins Gewicht fiel. Es war dann die moldawische Geigerin Patricia Kopatchinskaja, die mit ihrem mitreißenden Auftritt bei Eötvös´ Violinkonzert nicht nur das bei Mahler schon teilweise leicht eingenickte Publikum von den Sitzen riss, sondern auch schlagartig deutlich machte, was noch fehlt beim neuen SWR Symphonieorchester: Herzblut und Leidenschaft über bloße Dienstausfüllung hinaus. Es wäre am neuen Chefdirigenten, so er irgendwann gefunden sein wird, hier das Feuer zu entfachen. (Südkurier)

Sophie Hunger spielte mit ihrer Band im Ludwigsburger Scala

15.
Sep.
2016

Sie bringt den Mond zum Sprechen

Diese Frau ist ein Mirakel. „Wir waren hier“, sagt Sophie Hunger zu Beginn Ihres Konzerts im Ludwigsburger Scala, „als noch keiner uns wollte. Und darum ist es wichtig, dass wir jetzt sehr gut spielen“, und sie trägt das mit jener irritierenden Mischung aus Naivität und Ironie vor, die schon abgebrühte Showprofis wie Harald Schmidt fast aus der Fassung brachte. Aber abgesehen davon, dass sie schon 2009, bei ihrem ersten Scala-Auftritt, viele gewollt haben – immerhin hatte sie bereits 2007 ihren ersten Auftritt beim Jazzfestival von Montreux – wahr ist, dass Sophie Hunger mittlerweile eine bemerkenswerte Karriere gemacht und im letzten Jahr mit „Supermoon“ ein Album vorgelegt hat, das den Vergleich mit großen Singer/Songwriterinnen nicht zu scheuen braucht. Das liegt auch an den Texten, die von ungewöhnlicher lyrischer Qualität sind – etwa in „Supermoon“, dem Titeltrack, den sie zu Beginn ihres Konzerts singt, sich dazu selbst auf der Gitarre begleitend. Hier bringt sie den Mond zum Sprechen. „I was cut out of your stone/I am empty but I am never alone“, heißt es da, „Sometimes I´m cold, sometimes I burn“. Die meisten Stücke an diesem Abend sind von „Supermoon“, dazu kommen ältere Lieder wie „Spiegelbild“ oder „Das Neue“. Sophie Hunger singt auf Englisch, Französisch, Deutsch und Schwyzerdütsch, immer mit dieser reinen Stimme, in der sich Melancholie mit Hingabe, Selbstbewusstsein mit Verletzlichkeit paart. So vielschichtig wie die Persönlichkeit der Diplomatentochter, die u.a. in Zürich, London und Paris lebte, ist ihre Musik. Die bringt verschiedenste Einflüsse zusammen – Pop, Folk, Jazz, Punk, Chanson – besitzt aber einen distinkten Sound, der in seiner fragilen Aufgekratztheit etwas an den der kanadischen Sängerin Leslie Feist erinnert, mit der sie die Eigenschaft teilt, dass man sie auf verschiedenen Ebenen hören kann. Denn hinter der Popfassade mancher Songs verstecken sich harmonische und instrumentatorische Finessen, die man vielleicht erst beim zweiten oder dritten Hörern erfasst – eine Art experimenteller Subtext, der diese Musik auch für Mainstreamverächter interessant macht. Klar, dass man dafür exzellente Musiker braucht, gleichwohl erstaunt die Nonchalance, mit der allen voran der Keyboarder Alexis Anerilles und der Gitarrist Geoffrey Burton Elemente aus Pop und Jazz einflechten: Art-Rock à la King Crimson oder Rockjazz im Stil von Herbie Hancock klingt da mal eben so an. Das ist alles so kurzweilig wie grandios, und nach achtzig prall gefüllten Minuten ist erst mal Schluss im gut gefüllten Scala. Doch Sophie Hunger schiebt noch drei Zugabenblöcke nach – nicht ohne vorher zu betonen, wie eintönig ihr Leben als Sängerin doch sei: Lieder schreiben, produzieren, auf Tour gehen, immer dasselbe. Wer glaubt`s? (STZN)