Der Klavierabend von Olga Scheps in Stuttgart

20.
Okt.
2016

Chopin mit Zuckerguss

Es gibt diese hübsche Geschichte über Alan Rusbridger, dem Chefredakteur der britischen Tageszeitung „Guardian“. Der Hobbypianist hatte sich zum Ziel gesetzt, innerhalb eines Jahres Chopins Ballade Nr. 1 g-Moll zu lernen – ein ziemlich berühmtes, aber auch ziemlich schwieriges Stück. Rusbridger jedenfalls übte und übte und bekam es schließlich, nicht zuletzt durch die Unterstützung von Pianisten wie Alfred Brendel oder Murray Perahia, hin. Es konnte das Stück spielen.
Aber was heißt das: Spielen können? Die richtigen Tasten zu treffen ist das eine. Doch ein Stück in seinem Gehalt zu erfassen und diesen pianistisch adäquat umzusetzen etwas anderes, und hier sind wir bei Olga Scheps, die mit jener g-Moll-Ballade ihren Klavierabend im Beethovensaal eröffnete. Natürlich verfügt die ECHO-Preisträgerin über unvergleichlich größere technische Möglichkeiten als ein Hobbypianist. Aber ob sie das Stück wirklich erfasst hat, ist die Frage, und in diesem Zusammenhang ist ein Zitat Murray Perahias interessant, der Rusbridger gegenüber geäußert haben soll, am Ende der Ballade würden sich „die Leichen aus ihren Gräbern erheben“ – eine treffende Metapher ist für die völlige Entfesselung, die sich hier ereignet. Davon nun war bei Olga Scheps kaum etwas zu spüren.
Zweifellos kann Olga Scheps wunderbar phrasieren, ihre Melodiebögen atmen und sind organisch gestaltet. Doch sie neigt dazu, es zu übertreiben, die schönen Stellen zu zelebrieren, von denen es in Chopins Musik viele gibt und sie mit einem als Poesie getarnten Zuckerguss zu überziehen. Das hat etwas Kalkuliertes, Manieriertes, vor allem aber überschreitet Olga Scheps damit nie die Grenzen jener emotionalen Wohlfühlzone, außerhalb derer es ungemütlich werden kann.
Auch Chopins Sonate Nr. 3 h-Moll zerfällt Olga Scheps in hübsch ausformulierte Einzelmomente, in ein eindimensionales Pasticcio aus „schönen“ und „virtuosen“ Stellen, das diese Musik weit unter Wert verkauft. Nun war Chopin immer in Gefahr, als Salonromantiker missverstanden zu werden, trotz Pianisten wie Pollini, Zimerman oder Trifonov, die ganz andere Facetten in seiner Musik offenlegen. Doch liegt Olga Scheps damit durchaus im Trend: auch Khatia Buniatishvili, ein anderes angesagtes Klaviergirlie, pflegt einen derart reduzierten Stil, der ja möglicherweise heutigen Hörgewohnheiten Rechnung trägt.
Auch nach der Pause ändert sich das Bild nicht groß: ein belangloser Rachmaninov („La Follia“-Variationen) und schließlich Prokofievs siebte Sonate, in dessen „Precipitato“-Finale sie immerhin ahnen lässt, dass sie auch zu Härte und kühler Präzision in der Lage sein kann. (STZN)

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