Christopher Rüping inszeniert „Lolita“ am Stuttgarter Schauspielhaus

06.
Nov.
2016

Viel Wind um Nichts

„Lolita, Licht meines Lebens, Feuer meiner Lenden. Meine Sünde, meine Seele“ – so schwärmt der 36-jährige Literaturprofessor Humbert Humbert in Vladimir Nabokovs Roman von seiner Angebeteten, der 12-jährigen Dolores Haze. Das Buch löste nach seinem Erscheinen 1957 einen Skandal aus. Man warf dem Autor Pornografie vor, der Bürgermeister des Städtchens Lolita in Texas stellte den Antrag, den Ortsnamen zu ändern. In Frankreich wurde „Lolita“ dreimal verboten, und das, obwohl in dem Buch gar keine explizit sexuellen Passagen vorkommen. Das Wort Lolita jedenfalls wurde fürderhin zum Synonym für den Typus der frühreifen Kindfrau – „Nymphchen“ nennt sie Humbert Humbert. Nabokovs Buch ist vor allem große Literatur, seine Qualität liegt in seiner Konstruktion, der Brillanz der Sprache und in der Ambivalenz, mit der man als Leser gleichzeitig Abscheu wie Sympathie für den kultivierten Kinderschänder Humbert Humbert empfinden kann.
Wer Lolita auf die Theaterbühne bringen möchte, täte gut daran, eine Konzeption zu haben, eine Idee davon, welchen Aspekt des Romans er beleuchten und vertiefen möchte. Da hapert er freilich bei Christopher Rüping, der als Ausgangspunkt für seine Inszenierung von Lolita am Schauspiel Stuttgart das Drehbuch genommen hat, das Vladimir Nabokov einst für Stanley Kubrick verfasste – der es für seinen Film „Lolita“ dann aber nicht verwendet hat, sondern sein eigenes Drehbuch schrieb. Konsequenterweise hat Rüping die Bühne gleich als Filmkulisse ausgestattet, man ist in Stuttgart sozusagen „am Set“. „Schnitt!“ heißt es da immer wieder, Regieanweisungen werden verlesen, schwarz gekleidetet Männchen mit Mikrofonen wuseln umher. Für Humberts Autofahrt mit Lolita durch die USA wird in Stuttgart ein oller Daimler fremdgeschüttelt, während Humbert am Lenkrad wackelt und auf einer Leinwand Landschaften vorüberziehen. Das ist alles so bemüht wie sinnfrei, denn tiefere Einblicke in Nabokovs Werk erschließen sich damit nicht – schlimmer noch: hier wird ein Klassiker der Weltliteratur heruntergebrochen auf unausgegorenes Experimentaltheater. Auch dass Rüping die Protagonisten von mehreren Schauspielern verkörpern lässt – wohl, um damit verschiedene Aspekte ihrer Persönlichkeit darzustellen – trägt eher zur Verwirrung bei, zumal er den Plot nach der Pause bewusst entgleisen lässt. Dann geht es auf der Bühne drunter und drüber, es wird geschrien und gemordet, auf Teufel komm raus will Rüping ans Licht zerren werden, was er in „Lolita“ an triebgesteuerten Obsessionen vermutet, ohne dass er den Charakteren dadurch näher kommen würde.
Das Gebläse der Windmaschinen kann symbolhaft für diese Produktion stehen, mit der der ohnehin ramponierte Ruf des Stuttgarter Schauspiels weiter leiden düfte: Viel Wind um nichts.

(Südkurier)

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