Der Klavierabend von Grigory Sokolov im Beethovensaal

15.
Mrz.
2017

Alles kreist um C

Mit dem aufsteigenden C-Dur-Dreiklang in Mozarts Sonate KV 545 beginnt der Klavierabend von Grigory Sokolov, mit dem c-Moll-Schlussakkord von Chopins Prélude No. 20, der letzten von insgesamt sechs Zugaben, endet er. Das gesamte „offizielle“ Programm hatte zuvor um den Ton C gekreist. Mozarts Fantasie und Sonate c-Moll KV 475, die Sokolov als zweites Werk spielte, und auch Beethoven letzte Sonate Nr. 32 c-Moll, die mit einem C-Dur-Akkord schließt. Sokolov hatte sie attacca, ohne Pause, an Beethovens Sonate e-Moll Nr. 27 angeschlossen, deren Schlusston wiederum ein E ist, das mit dem Beginn der c-Moll-Sonate quasi zum Es erniedrigt wird – E/Es, Dur- und Mollterz von C. Selbstredend, dass auch die erste Zugabe, Schuberts Moment musical op. 94/1 in C-Dur steht…
Man kann die Analyse solcher Tonartenkonstellation als spitzfindig abtun, und doch verweisen diese Zusammenhänge auf eine höchst stringente Programmdramaturgie, die Sokolov an diesem denkwürdigen Abend im voll besetzten Beethovensaal musikalisch mit größter Nachdringlichkeit beglaubigen konnte. Die möglichen Deutungsebenen erscheinen dabei durchaus vielfältig – eine Möglichkeit ist, das Programm als Reifungsprozess des Individuums zu begreifen. Von der Naivität in der mozartschen C-Dur-Sonate, der berühmten „facile“, die Sokolov, bei aller pianistischen Erlesenheit, fast „kindlich“ spielt, gleichermaßen ohne Willen zu Brillanz oder Tiefsinn, über die Seelenwirrungen in der Fantasie und Sonate c-Moll bis zur völligen, Raum und Zeit auflösenden Vergeistigung im Finale der letzten Beethovensonate, wo die Trillerketten in der letzten Ariettavariation wie Glöckchen aus dem Jenseits erscheinen.
Dass Sokolov das Saallicht auf Dämmerstufe herunter dimmen ließ, war konsequent – sollte doch kein optischer Reiz die Konzentration auf die Musik bei diesem Klavierabend stören, mit dem Sokolov, der unter den Pianisten unserer Zeit ohne Vergleich ist, Musik als geistige, das gesamte Dasein betreffende Kunst reklamierte.

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