Beiträge der Kategorie ‘Glossen’

Über Geländewagen

20.
Mai.
2011

Statistisch gesehen werden Porsche Cayennes und Audi Q 7 so gut wie nie abseits der öffentlichen Straßen eingesetzt. Doch darum geht es ja auch nicht.

Es gibt ja Menschen, die behaupten, ein Automobil diene einzig dem Zweck, damit von A nach B zu kommen. Ich glaube das nicht. Stattdessen bin ich der Überzeugung, dass der Beförderungsaspekt für viele eher eine untergeordnete Rolle spielt, was sich daran ablesen lässt, dass sie das Auto auch dann benutzen, wenn andere Verkehrsmittel schneller, billiger und bequemer wären. Doch gegenüber Designerklamotten oder Uhren besitzt ein Porsche oder Mercedes einen unschlagbaren Vorteil: er kann nicht gefälscht werden. So dient das Automobil als authentischer Nachweis für persönlichen Status, der gegenüber einer Immobilie obendrein den unschätzbaren Vorteil hat, dass man ihn in der Innenstadt parken und sich beim Ein- und Aussteigen beobachten lassen kann.

Vor diesem Hintergrund wird auch eines der merkwürdigsten Phänomene der letzten Jahre verständlich: der Geländewagenboom. Denn auf der rationalen Ebene bleibt unerklärlich, weshalb sich Männer unförmige, ursprünglich für Wildhüter und Farmer konzipierte Gefährte kaufen, die weder besonders schnell sind oder viel Platz bieten, dafür aber Unmengen Sprit verbrauchen und mit Funktionen ausgestattet sind, die im normalen Straßenverkehr überhaupt nicht gebraucht werden. Dafür demonstrieren die hohe Sitzposition und der panzerartige Look wie bei keinem anderen Gefährt das Dominanzbestreben des Fahrers: ich bin ganz oben und mir kann keiner. Leid können einem nur die Ehefrauen der Alphatiere tun: mit der M-Klasse im Breuninger-Parkhaus zu rangieren, macht nun wirklich keinen Spaß.

(Stuttgarter Zeitung, Wochenendbeilage)

Ich brauche keine Millionen

25.
Apr.
2011

Lieber Dr. Pravna Sluzba,

lieber Dr. Jimmy Sanchez, lieber Mosola Leseti und all die anderen, die mich seit Wochen mit immer neuen Gewinnbenachrichtigungen via E-Mail bedenken: Ich kann das Geld nicht annehmen. Nicht die 935 400 Euro, die ich bei Interlotto Europe gewonnen habe, auch nicht die 950 000 Euro vom Euromillion Notification Award. Selbst die 19,7 Millionen, die mir ein bei einem Flugzeugabsturz verstorbener südafrikanischer Geschäftsmann namens George Brumley hinterlassen hat, muss ich leider ablehnen. Es tut mir wirklich leid.
Es ist nämlich einfach so: wenn man mal ein bestimmtes Alter erreicht hat, hat man auch einiges über das Leben gelernt. Und dazu gehört, dass zu viel Geld nicht glücklich macht. Man stelle sich doch nur das Leben als Multimillionär mal vor: Ich müsste, aus Angst vor Entführungen, Bodyguards einstellen. Meine Kinder könnten nur noch mit Personenschutz zur Schule gehen, und in meiner neuen Villa in Halbhöhenlage würde ich in ständiger Angst vor Einbrechern leben. Mich selbst würden keinerlei pekuniäre Anreize mehr dazu anregen, meine bescheidenen Fähigkeiten in nützliche Tätigkeiten umzusetzen. Kurz: Ich würde ein fauler, nichtsnutziger Spätaufsteher, ein verachtenswertes Subjekt.
Da wohne ich lieber weiterhin bescheiden und verfasse gegen Zeilenhonorar Artikel. Einen Vorschlag zur Verwendung meines gewonnenen Geldes hätte ich aber doch: Investieren Sie einen Teil davon doch in bessere Übersetzungsprogramme.
Anreden wie „Achtung, Sieger” und Formulierungen wie „Uffnen sich mit Irem Anspruch unverzuglch fur Ihre Preisfonds” sind angesichts der frohen Botschaften, die Sie verkünden, einfach nicht angemessen. Über die Kosten machen Sie sich mal keine Gedanken. Buchen Sie es einfach von meinem Gewinnkonto ab. Ist ja genug drauf.

Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Frank Armbruster
(Stuttgarter Zeitung)

Her mit dem Mittelinitial!

17.
Apr.
2011

Von Frank M. Armbruster

Seit Theodor zu Guttenbergs Plagiatspromotion ist der Doktortitel etwas in Verruf geraten. Halb so schlimm, gibt es doch auch für distinktionswillige Nichtakademiker eine elegante Alternative. Das Mittelinitial.

Was tun viele Leute nicht alles für einen eindruckschindenden Namen. Heiraten für ein schnödes „von“ oder „zu“ in degenerierte Adelsgeschlechter ein, stressen sich mit dem Verfassen überflüssiger wissenschaftlicher Arbeiten oder kaufen sich für Unsummen akademische Titel von dubiosen Konsuln. Dabei geht es doch viel einfacher. Denn vor allem jenen, die mit einem Zweitnamen gesegnet sind, liefert der die Basis für ein völlig risikoloses und kostenfreies Distinktionsmerkmal: das Mittelinitial. Harry S. Truman und George W. Bush haben ebenso erfolgreich eingesetzt wie William S. Burroughs oder Joanne K. Rowling, dabei muss man weder ein amerikanischer Präsident noch ein Schriftsteller sein, um mit dem eingefügten Großbuchstaben in der Namensmitte einen deutlichen Zugewinn an Status zu erzielen. Noch finden sich die meisten Beispiele der Binnenmajuskel bei Personen in öffentlichkeitsaffinen Positionen – man denke an Henryk M. Broder oder Pierre M. Krause. Aber zunehmend finden auch Durchschnittsbürger Gefallen daran, vor allem solche, die mit einem Allerweltsnamen gestraft sind: Klingt „Peter R. Schulze“ doch deutlich besser als „Peter Schulze“. Ja, und selbst wer über keinen zweiten Vornamen verfügt, kann sich mittels eines Namensupdates aus der Masse herausheben. Man sollte dann allerdings auf das Einfügen exotischer Majuskeln verzichten und sich mit einem schlichten M zufriedengeben. Auf die Frage, was das zu bedeuten hat, kann man dann wahrheitsgemäß antworten: Mittelinitial!

(Stuttgarter Zeitung)

Ich habe keine Paybackkarte!

27.
Feb.
2011

Nein, ich habe keine Paybackkarte. Auch keine ADAC-Karte oder Deutschlandcard, ich sammle weder Bonuspunkte noch Happy Digits, selbst die Karstadt Goldwochen sind mir egal. Ich möchte nur in Ruhe einkaufen, wenn ich was brauche.

Wenn das bloß so einfach wäre.

Warf ich vor einigen Jahren den Kassiererinnen meine „Nein, und ich will auch keine!“- Replik noch mit kampfeslustigem Optimismus entgegen, so ist mein Widerstandsgeist jetzt, gefühlte hunderttausend „Haben Sie eine Paybackkarte?“-Zumutungen später, blankem Hass gewichen. Schon beim Anstehen an der Kasse entwerfe ich Antworten wie „Sie müssen das doch nicht JEDESMAL fragen! Wenn ich so eine verdammte Karte hätte, dann würde ich sie schon rauslegen. Oder sehe ich aus, als hätte ich den Überblick über mein Portemonnaie verloren? “

Um dann doch nicht mehr rauszubringen als ein verquältes „Grzsneiiiiin“.

Vielleicht würde ja das Tragen einer Gehörlosen- Armbinde den Kassiererinnen Einhalt gebieten.  Gelb, zwei Punkte unten, einer oben. Dazu würde ich unverständliches Zeug brabbeln und in der Schlange vorgelassen. Freilich könnten die cleveren Marketingleute irgendwann auf die Idee kommen, ihre Verkaufsangestellten in Gebärdensprache zu schulen. Dann würde ich vermutlich ausrasten. Ich sehe die Schlagzeile schon vor mir: Falscher Gehörloser würgt Verkäuferin im Supermarkt. (StZ)

Deutsche Männer wählen die besten Autos

15.
Feb.
2011

Busenmodel und Klapper-Kombi

Jedes Jahr wählen deutsche Männer „Die besten Autos“

Es ist kein Zufall, dass in den Zeitschriftenläden Männer-und Busenmagazine in der Regel gleich neben den Automobilzeitschriften stehen. Schließlich geht es hier wie dort um Objekte der Begierde, und wer nicht versteht, was heiße Autos mit heißen Girls zu tun haben, der wird beim Betrachten des D&W-Autotuningkatalogs, in dem sich leichtbekleidete Mädchen an monströse Auspuffendrohre schmiegen, leicht Aufklärung finden.

Vor diesem Hintergrund erscheint die jährliche Leserwahl „Die besten Autos“, die vom Magazin „Auto, Motor & Sport“ nun wieder durchgeführt wurde, in einem milderen Licht. Denn eigentlich kann man sich nur darüber wundern, wie zigtausende Männer (Frauen dürften bei der Leserwahl nur eine untergeordnete Rolle spielen) sich befugt fühlen, über die Qualität von Autos zu urteilen, die sie nur aus Magazinen kennen. Der Audi A1 etwa ist erst ganz kurz auf dem Markt, wurde aber mit 43,1% der Stimmen Sieger in der Klasse „Kleinwagen“. Bei den „Sportwagen“ gewann der neue Mercedes SLS AMG:  ein schicker Flügeltürer, ohne Extras erhältlich ab € 183.260, der viel zu schön ist für die Schlaglochparcours bundesdeutscher Straßen und sich im Fuhrpark saudischer Scheichs, unter Bugattis und Lamborghinis, deutlich wohler fühlen dürfte.

Das alles zeigt uns: Autos sind nur solange ohne Einschränkung gut, solange wir sie nicht besitzen, sie fahren, waschen und reparieren lassen müssen. Am allerbesten sind die, die wir nur von Fotos kennen, denn sobald sie physische Realität annehmen, entdecken wir schon erste Fehler. Das verbindet sie wiederum mit den Frauen, denn, mal ehrlich: wer wollte schon mit einem Busenmodel verheiratet sein? Da bleiben wir lieber brav bei unseren mängelbehafteten Liebsten, ärgern uns beim TÜV über unsere Popel-Polos und Klapper-Kombis und freuen uns dafür schon auf die nächste Leserwahl  „Die besten Autos“.

Der Text erschien rüde gekürzt in der StZ, hier die Originalversion mit Schluss.

Über Männermagazine

03.
Feb.
2011

Männermagazine. Zeitschriften für Frauen sind schlimm: bloß Mode, Promis und Diäten. Aber noch schlimmer sind solche für Männer

Ich besitze ein Buch für Männer. Darin finden sich allerlei Tipps für den modernen, erfolgsorientierten Herrn. Unter anderem wird beschrieben, wie man, falls die Piloten aufgrund von Unpässlichkeiten dazu nicht mehr in der Lage sind, eine Boeing 747 landen kann – eine Situation, in die man ja wirklich jederzeit geraten kann. Und es ist, zugegeben, nicht das schlechteste Gefühl, wenn man, nachdem man den Vogel sauber runtergeholt hat, unter den bewundernden Blicken der Stewardessen seine ermes-Tasche schnappt, sich mit mit einem „War mir ein Vergnügen, man hilft ja gerne, wenn man kann!“ in die VIP-Lounge verabschiedet,  dort eine Cohiba anzündet und sich von der hinreißenden blonden Hostess einen Malt Whisky einschenken lässt. Man hat es sich schließlich verdient.

Mir persönlich wäre einstweilen schon damit geholfen, wenn ich in einer  Männerzeitschrift mal eine Anleitung finden könnte, wie sich die Schultergurte eines Autokindersitzes ohne Zuhilfenahme von schwerem Werkzeug verstellen lassen. Oder wie man Fliesen dübelt. Stattdessen Stylingratschläge, Aufreißtipps, Diäten und, immer und überall  – Bauchübungen! Ja, man könnte den Eindruck gewinnen, dass es sich beim Mann um eine abstoßend eitle, triebgesteuerte Spezies handeln muss, die sich der Ausbildung des Musculus rectus abdominis verschrieben hat, um damit jene scharfen Weiber ins Bett zu bekommen, die im Heftinneren abgebildet sind. Liebe Männer, das nützt aber leider nix:  Frauen stehen auf Piloten.  (Stuttgarter Zeitung)

Das neue deutsche Erlebnispinkeln

31.
Jan.
2011

Zu deutschen Autobahnraststätten pflege ich ein ähnliches Verhältnis wie zu Dorfärzten in Wintersportgebieten. Im Grunde finde ich es gut, dass es sie gibt, aber wenn es sich vermeiden lässt, gehe ich nicht hin. Neulich war ich mit meiner Kleinfamilie in einer neu gebauten, vom ADAC empfohlenen Raststätte. Zum ADAC pflege ich ein ähnliches Verhältnis wie zu antroposophischen Kieferchirurgen, die ohne Betäubung arbeiten.

Wer in so einer neuen Raststätte aufs Klo will, muss fünfzig Cent einwerfen und sich durch ein Drehkreuz quetschen. Dafür gleitet einem ein Wertbon entgegen, den man sich in dem nach fernöstlichen Prinzipien eingerichteten Raststättenrestaurant mit dem Preis seines Verzehrs verrechnen lassen kann. Der Gang zur Toilette erfährt mittels des Wertbons sozusagen eine symbolische Verknüpfung mit der Aufnahme von Nahrungsmitteln. Wer trinkt, muss danach pinkeln. Wer pinkelt, darf dafür wieder trinken. In der Sprache der Technik nennt man sowas einen geschlossenen Wasserkreislauf.

Das ist aber nicht das einzige Neuerung. Was früher Klo hieß, nennt sich jetzt Sanifair-Servicebetrieb und funktioniert weitgehend berührungslos. Vielleicht kommt mal jemand auf die Idee, die seltsamen Handbewegungen zu filmen, die Waschwillige vor dem Wasserkran vollführen, um die Sensoren für die Auslösung des Wasserstrahls zu erwischen. Der Streifen könnte glatt als Doku-Film aus einer Spezialklinik für Zwangshandlungen durchgehen. Auch das Pinkeln selber ist nicht mehr ganz wie früher. Nicht nur, dass es keine stinkenden WC-Steine mehr gibt. Während ich das ressourcenschonende, wasserfreie Urinale benetze, flötet aus den Lautsprechern an der Decke eine junge Frauenstimme, die mir einen „rundum angenehmen Aufenthalt“ wünscht. Ich rücke näher an die Wand, bis ich mit der Nase fast auf die Kaminwerbung stoße.

Ich mag es nämlich nicht, beim Pinkeln beobachtet zu werden, auch nicht als Gefühl.

Früher gab es in deutschen Raststätten warmgehaltenen sauren Kaffee und staubtrockene Brathähnchen. Vor den Toiletten saßen dicke Frauen mit Schürze, neben sich ein Tellerchen mit aufgeklebten Münzen. Dazu muss ich sagen, dass ich aus einem grundsätzlichen Mitgefühl mit benachteiligten gesellschaftlichen Randgruppen bei meinen seltenen Besuchen immer mindestens eine Münze im Wert der aufgeklebten auf den Teller gelegt habe.

Irgendwann habe ich dann gelesen, dass die Klofrauen das Geld gar nicht kriegen, das man im Glauben, eine benachteiligte Randgruppe zu unterstützen, auf das Tellerchen schmiss, sondern dass es in die Taschen mafiös organisierter Raststättenklobetreiber fließt, die sich dafür schwere Geländewagen mit getönten Scheiben kaufen.

Man kann ja vom Fortschritt halten, was man will, aber da finde ich das neue Erlebnisklo doch besser. Von mir aus können so ruhig alle deutschen Raststätten umgerüstet werden. In nicht ferner Zukunft wird dann in der Wand neben dem Urinal ein Kaffeespender installiert sein, der dem Gast eine aus seinem Entleerungsvolumen millilitergenau errechnete Menge an Latte macchiato bereitstellt. Die Klofrauen werden Sanitärservicehostessen heißen und regelmäßig zu Feng-Shui-Fortbildungsseminaren geschickt, wo man sie in der Kunst der berührungslosen Klobrillenreinigung unterweist. Dann trete ich vielleicht auch wieder in den ADAC ein.
(Stuttgarter Zeitung)

Schöner Gruß aus Syrakus

01.
Aug.
2010

 

Schreiben Sie noch Urlaubskarten? Solche mit malerischen Sonnenuntergängen, drallen Popos und pittoresken Stadtansichten mit Rotstich? Dann gehören sie zu einer aussterbenden Spezies. Wer modern ist, der hat nämlich schon längst vom analogen Beschriften, umständlichen Markenaufkleben und Im-Kasten-Versenken auf digitale Medien umgestellt. Man setzt sich halt kurz ins Internetcafé (die Dinger findet man zwischen Nordkap und Marrakesch mittlerweile in fast jeder Fußgängerzone) und schreibt ein paar Mails. Oder, noch einfacher, verschickt von seinem Handy SMS. Das geht schnell und man kann sicher sein, dass die Botschaften ankommen, bevor man wieder zu Hause ist. Man kennt ja schließlich die Post in südlichen Ländern.

Aber, mal ganz ehrlich: Kann das ein Ersatz sein? Es ist mit Urlaubskarten wie mit vielen Dingen: man merkt erst dann, dass sie einem wichtig sind, wenn sie plötzlich ausbleiben. Auch bei mir herrscht dieses Jahr Ebbe im Briefkasten. Die bislang einzige Ausbeute des Sommers stammt von zwei daheimgebliebenen Freunden. Sie schickten mir ein Foto ihres heimischen Gartens: aus „Jardinien“, wo es, wie sie versichern, mindestens so schön sei wie im Süden, halt ohne Meer. Das fand ich nett. Aber wahrscheinlich war bloß ihr Internetanschluss kaputt.

Noch schöner sind aber handgeschriebene Urlaubskarten, wenn sie aus fernen Ländern kommen. Mit netten Sprüchen wie “Strand ist schön, Wetter ebenso, und Susi ist schon so braun, dass man sie vom Bettlaken unterscheiden kann.“ Oder mit Hotelansichten und angekreuzten Fenstern („Hier wohnen wir!“) oder auch bloß hübsch gereimt: „Ein schöner Gruß aus Syrakus.“ Die kann man man anfassen (Sandreste?), daran riechen (Strand? Sonnenöl?), und wer weiß, vielleicht sind ja auch noch ein paar Rotweinflecken aus der Taverne drauf.

Mal ehrlich: Was sind dagegen E-mails?

Nun muß ich ja eines zugeben: Auch meine Kartenschreibfrequenz hat in den letzten Jahren deutlich nachgelassen. Doch nächstes Jahr wird alles anders. Ich werde nicht mehr mit Verachtung an den Andenkenläden mit ihren vollgepackten Ständern vorbeigehen, sondern dort die schönsten und originellsten Motive für meine Lieben daheim auswählen. Mir hübsche Formulierungen ausdenken, unter Mühen herausfinden, wo man in diesem Land Briefmarken kaufen kann und die Stapel im zuständigen Postkasten versenken. Dafür bleibt das Handy kalt. Und dann kann ich nur noch hoffen, dass mir im nächsten Sommer Selbiges widerfährt und mir die bunten Kärtchen wieder Tag für Tag aus dem Briefkasten entgegenlachen. So wie früher. Das wäre schön. (Stuttgarter Zeitung)

40 Jahre Walt Disneys Lustige Taschenbücher

27.
Mrz.
2010

Guido Gans

Heute erscheint der 400. Band von Walt Disneys „Lustigen Taschenbüchern“

 

Es gibt wohl kaum eine Frage, die die Mitglieder der Deutschen Organisation nichtkommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus (D.O.N.A.L.D) nicht schon wissenschaftlich erörtert hätten.

Liegt Entenhausen in einem eigenen Universum? Wie funktioniert Fortpflanzung durch Veronkelung? Und warum tragen nur weibliche Enten Schuhe? Und so sollte es nicht wundern, wenn auf der nächsten Donaldistentagung die Frage diskutiert wird, ob auch Donald Duck von Transferleistungen lebt. Offensichtlich ist jedenfalls, dass die bekannteste Ente der Welt keiner geregelten Arbeit nachgeht. Stattdessen versucht sie sich (schwarzarbeitend?) in wechselnden Kurzzeitjobs als Museumswärter, Reporter, Wüstenfarmer oder Kammerjäger, lebt dafür aber in durchaus geordneten Wohnverhältnissen in zentraler Lage von Entenhause mit Vorgarten. Spätrömische Dekadenz kann bei Donald allerdings schon allein deshalb kaum aufkommen, da ihn sein schwerreicher Onkel Dagobert regelmäßig aus seinen Tagesschläfchen herauszureißen pflegt, um ihn zur Unterstützung bei irgendwelchen geldmehrenden Unternehmungen zu verpflichten.

Seit über 75 Jahren gibt es Donald Duck – sein genauer Geburtstag wird mit dem 9. Juni 1934 angegeben, als der Erpel in einem Film namens „The Wise Little Hen“ zum ersten Mal zu sehen war. Der amerikanische Zeichner Carl Barks gab Donald in den vierziger Jahren das bis heute gültige Profil, und dass seine Abenteuer seit den fünfziger Jahren auch in Deutschland eine wachsende Zahl von Anhängern gewonnen haben, lag nicht zuletzt an den kongenialen Übersetzungen von Erika Fuchs, die dadurch ein eigenes, Erikativ genanntes Idiom entwickelte, indem sie Verben auf den Wortstamm reduzierte: „Ächz, stöhn!“ klagen noch heute Schüler angesichts kniffliger Matheaufgaben, die Donaldisten pflegen gelungenen Beiträge mit „klatsch, klatsch“ zu applaudieren.

Da in Kulturnationen wie Deutschland Bücher traditionell ein besseres Image besitzen als Hefte, lag es für den Ehapa-Verlag nahe, Disneygeschichten auch als Taschenbuch herauszubringen. Vorbild war das italienische „Il Topolino“, so etwas wie das Zentralorgan der europäischen Disneyaner. 1967 erschien die erste Ausgabe der „Lustigen Taschenbücher“ mit dem Titel „Der Kolumbusfalter“. Weitere folgten in unregelmäßigen Abständen, jeweils abwechselnd mit Geschichten von Donald Duck und Micky Maus, die bis heute zum großen Teil aus Italien stammen, wo Zeichner wie der legendäre Romano Scarpa arbeiten. Auch Donalds alter ego Phantomias wurde dort kreiert. Die Trennung von Donald- und Mickygeschichten wurde später ebenso aufgehoben wie der Wechsel zwischen farbigen und schwarzweißen Seiten – nicht zum Entzücken aller Donaldfans, die Micky Maus oft langweilig finden. Trotzdem etablierten sich die Lustigen Taschenbücher dauerhaft: seit dem Band 119 erscheinen sie monatlich, heute bringt der Ehapaverlag zusammen mit der 400. Ausgabe auch einen vierbändigen Schuber mit den aus seiner Sicht besten Geschichten aus 43 Jahren auf den Markt. Von der Originalität und dem Sprachwitz der älteren Bände ist bei den jüngeren leider nicht viel geblieben. Waren die Geschichten früher immer von leiser Ironie grundiert, so besteht der aktuelle Band überwiegend aus kruden Storys, selbst das Niveau der Zeichnungen erreicht nur selten das früherer Zeiten.

Da wünscht man sich doch lieber wieder jenes gute alte Entenhausen zurück, bei dem sich trotz (oder wegen) seiner festgefügten Strukturen manche Analogien zur Jetztzeit aufdrängen: nicht nur die, dass der schnöselige Gustav Gans als Sprachorgan der Bessergestellten auftritt wie Guido Westerwelle: In Band 69 lässt Dagobert zur Kontrolle seiner Buchführung ein riesiges „Elektronengehirn“ installieren, dessen Gehäuse die Panzerknacker nutzen, um seinen Geldspeicher anzuzapfen. Für die Entstehungszeit 1980 erscheint diese Metapher auf Computerkriminalität geradezu prophetisch.Und wenn alle Vermögenden ihr Geld nicht den Banken anvertraut, sondern wie Dagobert einfach eingelagert hätten, gäbe es auch die Bankenkrise nicht. Überhaupt: Angesichts der Fantastilliarden, die in seinem Geldspeicher lagern, liegt doch die Lösung unserer Wirtschaftskrise auf der Hand: Entenhausen muss in die EU. Stellt sich bloß die Frage: wie berechnet sich der Wechselkurs von Taler und Euro?

Erschienen in der Stuttgarter Zeitung

Dienstleistungsterror

27.
Feb.
2010

Dienstleistungsterror

Wie schön war das doch früher. Da schlappte man als nicht therapierwilliger chronischer Morgenmuffel einfach kurz zum Bäcker, legte formlos etwas Kleingeld auf den Tresen und erhielt dafür das gewünschte Backwerk ohne grössere Konversation. Ein kurzes „Danke“ von der ebenfalls noch leicht verschlafenen Backwarenfachverkäuferin, und schon war man wieder draussen. Danach konnte man seiner schlechten Laune in aller Ruhe so lange weiter frönen, bis Frühstück und Morgenzeitungslektüre verdaut waren und einen langsam in die Lage versetzten, mit seinen Mitmenschen in Kommunikation zu treten. Heute backe ich die Brötchen lieber selber im Backofen auf. Nein, nicht weil die Bäckerei geschlossen hätte. Sondern weil ich es nicht mehr aushalte. Vor allem beim Bäcker. Gerade hat man die Brezel verstaut und ist im Begriff, die Ladentür zu öffnen, da trifft es einen. Unvorbereitet und meistens unfair von hinten. „Und ich wünsche Ihnen noch einen wunderschönen Tag“ schallt es lautstark und wie aus der Pistole geschossen. Schon schwer angeschlagen, sacke ich dann innerlich zusammen. Mein Großhirn müht sich verzweifelt, Wortfetzen zu möglichen Sätzen zu formen, und unter größter Pein stammele ich so etwas wie „….danke, wünsch ich auch“. Und taumle aus dem Laden. Das ist er, der moderne Dienstleistungsterror. Und es gibt kaum ein Entkommen. Geradezu flächendeckend haben ehrgeizige Filialleiter ihre Belegschaften zu erbarmungslosen Gute-Wünsche-Verteilern geschult. Ohne Rücksicht auf Kundenfrequenz sind seitdem nicht nur alle Drogeriemarktverkäuferinnen dazu verdammt, jeden einzelnen Erwerber von Taschentüchern oder Duschgel auf keinen Fall ohne eine solch gutgemeinte Botschaft wieder auf die Strasse zu lassen. Und so wird gewünscht, was das Zeug hält. Freilich: Spätestens beim zweihundertsten „Einen schönen Abend noch…“ erlahmt auch die Emphase des Gutwilligsten und die Sentenz klingt so überzeugend wie die Zeitansage der Telekom. Doch selbst wenn man den Laden verlassen hat, ist man noch nicht sicher. Das Auto in irgendeine Werkstatt gebracht, klingelt mit Sicherheit zwei Wochen später das Telefon und ein reizendes Fräulein läßt anfragen, ob man denn auch mit der Inspektion zufrieden war. Bald wird der Metzger anrufen und sich erkundigen, ob der Rostbraten gemundet hat. Ganz schlimm wird es am Geburtstag. Dann platzt der Briefkasten schier über vor Geburtstagsgrüssen. Aber nicht von lieben Freunden und Angehörigen, sondern von jeder einzelnen Pension, in der man irgendwann mal nächtigte und den Fehler beging, seine Daten zu hinterlassen. Der neue Hausprospekt mit dem Ersuchen, doch mal wieder vorbeizuschauen liegt selbstredend bei. Wenn das so weiter geht, wandere ich aus. Vielleicht in die neuen Bundesländer. Da sollten sich doch noch Relikte aus alten Planwirtschaftszeiten erhalten haben. „Ham wa´ nich!“. Wie schön!

(Stuttgarter Zeitung)