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Alice Sara Ott spielte in der Meisterpianistenreihe in Stuttgart

03.
Dez.
2011

Bild: Felix Broede

In der aktuellen Klavierszene gibt es zwei dominierende Lager. Neben den arrivierten Großpianisten wie Sokolov, Pollini oder Hamelin gibt es eine wachsende Schar von Jungstars, die nicht bloß über ihr Spiel, sondern oft auch über Äußerlichkeiten vermarktet werden. Es dürfte nicht verwegen sein zu behaupten, dass es etwa eine Hélène Grimaud oder ein Martin Stadtfeld ohne ihr vorteilhaftes Erscheinungsbild deutlich schwerer gehabt hätten. Optik ist also zunehmend wichtig, und wer nicht nur gut aussieht, sondern dazu noch, wie die Pianistin Alice Sara Ott, den von der Plattenindustrie lancierten ECHO-Klassikpreis gewonnen hat, der muss zunächst mal Vorbehalte ausräumen.

Nun hat die 22-Jährige im März in Stuttgart mit den Wiener Symphonikern ein bravouröses Liszt-Klavierkonzert gespielt, auch ihr Auftritt vor kurzem mit dem Ravel-Konzert zeigte, dass sie die Deutsche Grammophon völlig zurecht unter Vertrag genommen hat. Aber: Ein komplettes Recital erfordert nochmal andere Qualitäten – und so konnte man auf ihren ersten Soloabend durchaus gespannt sein.

Dessen Programmdramaturgie kann man dabei im guten Sinne als klassisch bezeichnen. Mozart, Beethoven, Chopin und Liszt – das umfasst die wichtigsten Marksteine der Klavierliteratur. Alice Sara Ott beginnt ihr Konzert mit Mozarts eher selten zu hörenden Variationen über ein Menuett von Duport. Schillernde Spielmusik, deren charakterähnlich ausformulierte Variationen sie mit feinster artikulatorischer Nuancierungskunst zum Leben erweckt. Mozart als pures Glück.

Wenn es aber, wie im Kopfsatz von Beethovens Sonate C-Dur op.2/3 um Bewältigung der Form geht: um eine schlüssige Dramaturgie, auch um rhythmische Genauigkeit, dann zeigt Alice Sara Ott Schwächen. Der Doppelschlagbeginn etwa klingt bei ihr nicht wirklich definiert, und im Verlauf des Satzes gibt es zwar viele schön ausgespielte Stellen. Aber das Heterogene dieses Satzes auf überzeugende Weise zusammenzuführen gelingt ihr (noch) nicht.

Ganz anders das Adagio. In diesem E-Dur-Mysterium, einem der großartigsten langsamen Sätze Beethovens, zeigt sie ihre Empfindungstiefe, ihre musikalische Imaginationskraft. Anton Rubinsteins Diktum folgend, demnach nicht Chopin, sondern Beethoven als der größte Romantiker zu gelten habe, spürt sie den vielfältigen atmosphärischen Brechungen dieses Satzes auf hochsensible Weise nach, mit einem Klangbewusstsein, das an prominenteste Vorbilder denken lässt. Ein bisschen zerfasert dann das Scherzo, doch das Finale gelingt ihr imponierend. Die heiklen Sextenketten der rechten Hand setzt sie trotz eines mutigen Grundtempos mit untadeliger Akkuratesse, und bei dem choralhaften Einschub gegen Ende beweist sie wieder ihr distinktes Empfinden für musikalische Stimmungen.

Dafür wirken nach der Pause die fünf Chopinwalzer merkwürdig konturlos. Vielleicht liegt es daran, dass dem ohnehin duftigen, leichtfüßigen Charakter dieser Musik etwas Strenge und kühle Noblesse besser bekommt als zuviel Lieblichkeit und Grazie? Oder hat Alice Sara Ott diese empfindlichen Preziosen einfach zu oft gespielt? Grübeln, das dann gleichsam weggefegt wird von einem mitreißenden, tief berührenden Liszt-Finale. Die beiden letzten Sätze aus den Études d´exécution transcendante, „Harmonies du soir“ und „Chasse neige“, spielt Alice Sara Ott mit geradezu verzehrender Intensität und pianistisch ebenso grandios wie die abschließende Rigoletto-Paraphrase. Spätestens hier liegt ihr das Publikum im gut gefüllten Beethovensaal zu Füßen. Bravi und drei hinreißend gespielte Zugaben: Chopins Nocturne cis-Moll, Liszts Campanella-Etude und, zur Freude aller Klavierschüler: Für Elise. (Stuttgarter Zeitung)

Alice Sara Ott spielte mit den Wiener Symphonikern

11.
Mrz.
2011

 

Wie eine Elfe hüpft sie da herein, im bodenlangen roten Kleid und barfüßig, ihre schwarzen Haare reichen fast bis zur Taille, die schmaler kaum denkbar ist: Die 22-jährige Pianistin Alice Sara Ott ist auf jeden Fall eine Attraktion. Nun wurde mithilfe der großen Plattenfirmen in den letzten Jahren schon mancher smarte Klavierjungstar auf die Konzertbühnen lanciert, und nicht bei allen korrespondierte dann die optische mit der künstlerischen Anziehungskraft. Freilich: Franz Liszts erstes Klavierkonzert Es-Dur und der selten gespielte Totentanz zählen zu jenen Werken, angesichts deren technischer Ansprüche Bluffer wenig Chancen haben. Gerade das erste Klavierkonzert existiert zudem in einigen Referenzaufnahmen – wie etwa die der jungen Martha Argerich, die es, ähnlich wie nun Alice Sara Ott, schon zu Beginn ihrer Karriere eingespielt hat.

Im Vergleich zu Argerichs glutvoller, von pianistischem Furor getragener Deutung legte Ott den Schwerpunkt eher auf die poetischen, lyrischen Aspekte des Werks. Nicht die Konfrontation von Solist und Orchester, sondern ein kammermusikalisch-paritätisches Miteinander stand im Mittelpunkt, das von Dirigent Adam Fischer und den Wiener Symphonikern in jedem Moment mitgetragen wurde. Da blühten, wie von einem Frühlingswind gereinigt, die Farben in immer neuen Abtönungen zwischen Orchester und Soloinstrument auf, man hörte korrespondierende (Bläser-)linien, begriff harmonische Strukturen. So wurde aus dem Schlachtross ein romantisches Einhorn – wobei sich einwenden ließe, dass, bei allem Zauber, den Otts Spiel versprüht, jenes Feuer, das die Argerich so unwiderstehlich zu entfachen wusste (und das auch zu Liszts Musik gehört), hier eher ein Flämmchen war.

Umso erstaunlicher, mit welcher Schwärze Ott dann den kalten Furor des Dies-Irae-Motivs im Totentanz zum Ausdruck brachte, welche kontemplative Ruhe sie in den reflektierenden Solopassagen verströmte. Den Riesenapplaus hatte sie jedenfalls verdient.

Genau wie die Wiener Symphoniker nach ihrer Interpretation von Brahms erster Sinfonie, in der Adam Fischer das Prozesshafte, Organische herausarbeitete, jene Struktur, die Brahms aus wenigen motivischen Keimzellen entwickelt hat. Wie der große Brahmsdirigent Günter Wand ist auch Fischer einer jener uneitlen Kapellmeister, die ihr Heil nicht in großen Gesten, sondern in einer minutiösen Umsetzung der Partitur suchen. Von bezwingender Sogkraft der erste Satz, in dem die wunderbaren Bläsersolisten der Wiener immer wieder für klangliche Glanzpunkte sorgten – die jedoch immer eingebunden waren in eine dramatische Anlage, die die Sinfonie als Entwicklung vom reinen Material bis zur menschheitsumschlingenden Emphase des Finalsatzes begriff. Zwei standesgemäße Zugaben: Johann Strauß´ „Unter Donner und Blitz“ und Brahms´ „Ungarischer Tanz Nr. 5“.

(Stuttgarter Zeitung)