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Dienstleistungsterror

27.
Feb.
2010

Dienstleistungsterror

Wie schön war das doch früher. Da schlappte man als nicht therapierwilliger chronischer Morgenmuffel einfach kurz zum Bäcker, legte formlos etwas Kleingeld auf den Tresen und erhielt dafür das gewünschte Backwerk ohne grössere Konversation. Ein kurzes „Danke“ von der ebenfalls noch leicht verschlafenen Backwarenfachverkäuferin, und schon war man wieder draussen. Danach konnte man seiner schlechten Laune in aller Ruhe so lange weiter frönen, bis Frühstück und Morgenzeitungslektüre verdaut waren und einen langsam in die Lage versetzten, mit seinen Mitmenschen in Kommunikation zu treten. Heute backe ich die Brötchen lieber selber im Backofen auf. Nein, nicht weil die Bäckerei geschlossen hätte. Sondern weil ich es nicht mehr aushalte. Vor allem beim Bäcker. Gerade hat man die Brezel verstaut und ist im Begriff, die Ladentür zu öffnen, da trifft es einen. Unvorbereitet und meistens unfair von hinten. „Und ich wünsche Ihnen noch einen wunderschönen Tag“ schallt es lautstark und wie aus der Pistole geschossen. Schon schwer angeschlagen, sacke ich dann innerlich zusammen. Mein Großhirn müht sich verzweifelt, Wortfetzen zu möglichen Sätzen zu formen, und unter größter Pein stammele ich so etwas wie „….danke, wünsch ich auch“. Und taumle aus dem Laden. Das ist er, der moderne Dienstleistungsterror. Und es gibt kaum ein Entkommen. Geradezu flächendeckend haben ehrgeizige Filialleiter ihre Belegschaften zu erbarmungslosen Gute-Wünsche-Verteilern geschult. Ohne Rücksicht auf Kundenfrequenz sind seitdem nicht nur alle Drogeriemarktverkäuferinnen dazu verdammt, jeden einzelnen Erwerber von Taschentüchern oder Duschgel auf keinen Fall ohne eine solch gutgemeinte Botschaft wieder auf die Strasse zu lassen. Und so wird gewünscht, was das Zeug hält. Freilich: Spätestens beim zweihundertsten „Einen schönen Abend noch…“ erlahmt auch die Emphase des Gutwilligsten und die Sentenz klingt so überzeugend wie die Zeitansage der Telekom. Doch selbst wenn man den Laden verlassen hat, ist man noch nicht sicher. Das Auto in irgendeine Werkstatt gebracht, klingelt mit Sicherheit zwei Wochen später das Telefon und ein reizendes Fräulein läßt anfragen, ob man denn auch mit der Inspektion zufrieden war. Bald wird der Metzger anrufen und sich erkundigen, ob der Rostbraten gemundet hat. Ganz schlimm wird es am Geburtstag. Dann platzt der Briefkasten schier über vor Geburtstagsgrüssen. Aber nicht von lieben Freunden und Angehörigen, sondern von jeder einzelnen Pension, in der man irgendwann mal nächtigte und den Fehler beging, seine Daten zu hinterlassen. Der neue Hausprospekt mit dem Ersuchen, doch mal wieder vorbeizuschauen liegt selbstredend bei. Wenn das so weiter geht, wandere ich aus. Vielleicht in die neuen Bundesländer. Da sollten sich doch noch Relikte aus alten Planwirtschaftszeiten erhalten haben. „Ham wa´ nich!“. Wie schön!

(Stuttgarter Zeitung)