Beiträge mit ‘Igor Levit’ verschlagwortet

Igor Levit und die Kremerata Baltica bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen

14.
Jun.
2014

Gott am Klavier

Ohne Dirigenten zu spielen, ist eine zweischneidige Sache. Zwar fördert der Verzicht auf einen äußeren Bezugspunkt die Kommunikation innerhalb des Orchesters, doch oft bezahlt man dafür mit einem Verlust an Gestaltungsdifferenzierung – musiziert dann sozusagen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Das ist tendenziell sogar bei Weltklasseensembles so, und umso überraschender war am Mittwochabend das Konzert der Kremerata Baltica im Ludwigsburger Forum, bei dem sich alle Vorbehalte, die man gegen das dirigentenlose Spiel haben kann, in Wohlgefallen auflösten. Noch nicht beim Eröffnungsstück, Schuberts c-Moll Quartettsatz D 703. Das orchestrale Aufblähen von Quartettstücken bringt meist Verluste an Präzision, und das war auch hier so, wo schnelle Violinfigurationen eine leichte Tendenz zum Verschwimmen hatten. Welch differenziertes, bis auf die kleinste Nuance ausgefeiltes Musizieren aber ohne Dirigent möglich ist, zeigte das von Gidon Kremer gegründete Ensemble bei Tschaikowskys Streicherserenade C-Dur op. 48 auf spektakuläre Weise. Man mag sich kaum vorstellen, welche Probenarbeit dahinter steht, im Kollektiv derart flexibel agogisch zu musizieren, jeden Akkord, jede Phrase dynamisch abzustimmen und klanglich abzutönen. Was sich hinter der serenadenhaften Oberfläche an Abgründen verbirgt, brachte das Ensemble jedenfalls eindringlich zum Ausdruck.

Es muss Spaß machen, in diesem Orchester zu spielen, umso mehr, wenn man einen Solisten wie Igor Levit begleiten darf. In Mozarts Klavierkonzert Es-Dur KV 271 war es ein funkensprühender Dialog zwischen Solist und Orchester, wie man ihn in dieser Weise kaum je gehört hat. Der vor Spiellaune nur so sprühende Levit verortete Mozart hier nicht als moderaten Klassiker, sondern zeigte die ungeheure Originalität und Tiefe seiner Musik, ihren Reichtum an überraschenden Wendungen. Beredter, inniger, kann man das Andantino wohl nicht spielen als Levit, der jeden Ton auf die Goldwaage legte. Und die funkenstiebende Virtuosität, mit der hier Solist und Orchester durch das Rondeau fegten – das lässt sich eigentlich kaum beschreiben.

Und doch gab es noch eine Steigerung, und zwar mit Brittens Klavierkonzert „Young Apollo“. Ein Geniestreich des 28-jährigen Britten, das gleichzeitig als augenzwinkernde Karikatur des Virtuosenkonzerts gehört werden kann wie als musikalische Charakterisierung des jungen Gottes Apoll. Völlig überdrehte Musik, eine siebenminütige Tour de force über die Klaviatur, bei der sich Levit fast in einen Rauschzustand spielte. Und als wäre das noch nicht genug, spielte Levit als Zugabe noch die mindestens genauso grenzensprengende Ballade „Which Side are you on?“ seines Lieblingskomponisten Frederic Rzewski. Was ist dieser Levit für ein Teufelskerl!

Igor Levit & Friends bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen

30.
Mai.
2014

Blitzend virtuos

In der klassischen Musik geht es in der Regel förmlich zu: eine (meist) hübsche Maid übergibt dem Künstler nach vollbrachtem Auftritt ein florales Gebinde, worauf sich dieser artig bedankt. Insofern ist schon bemerkenwert, dass der Intendant der Ludwigsburger Schlossfestspiele, Thomas Wördehoff, am Ende des Konzerts von Igor Levit und seinen musikalischen Freunden nicht nur höchstpersönlich auf die Bühne kam, sondern Levit sogar kräftig umarmte. Ja, Wördehoff hat den Pianisten nach seinem ersten Soloauftritt vor zwei Jahren wohl regelrecht in sein Herz geschlossen – was nicht nur diese Geste sondern auch der Umstand deutlich macht, dass Levit in dieser Saison zu zwei Auftritten im Rahmen der Schlossfestspiele eingeladen wurde.

Der erste fand nun im Ordenssaal mit einem recht ungewöhnlichen Programm statt, zu dem Levit neben dem Geiger Ning Feng und dem Cellisten Maximilian Hornung vier Schlagzeuger mitgebracht hatte – galt es doch, die Kammermusikfassung von Schostakowitschs 15. Sinfonie aufzuführen. Zunächst freilich standen Beethovens Variationen für Klaviertrio über „Ich bin der Schneider Kakadu“ an. Deren langsamer Einleitungssatz erscheint fast unangemessen gewichtig – so als hätte Beethoven hier versucht, das triviale Thema von Wenzel Müller quasi vorausnehmend in Anführungszeichen zu setzen. Das Trio jedenfalls widmete sich dem Stück mit der gebotenen Emphase: blitzend virtuos, geistreich, mit viel Sinn für Beethovens abgründigen Witz.

Weniger witzig als selbstbezogen wirkte dagegen Wolfgang Rihms Klavierstück Nr. 6 „Bagatellen“, in das der Komponist einige Zitate eigener Werke eingeflochten hat. Ein kontemplativ ansetzendes, dann in wilden Ausbrüchen kulminierendes und am Ende wieder in versöhnlich tonalen Bereichen verebbendes Werk, das Igor Levit geradezu aufopfernd zelebrierte, ohne dessen inhaltliche Dürftigkeit kaschieren zu können.
Nach der Pause dann die Kammermusikfassung von Schostakowitschs 15. Sinfonie, in gewissem Sinne eine Kuriosität: während die vier (!) Schlagzeuger weitgehend die originalen Parts spielen, ist der Rest der Partitur eingedampft auf Klavier, Cello und Violine. Das besitzt in manchen Passagen einen gewissen Reiz: am überzeugendsten klingt das auch im Original schon stark fragmentierte Scherzo, auch gegen Ende des ersten Satzes gibt es einige starke Passagen. Merkwürdig ausdrucksarm aber das Adagio. Schon dessen Beginn mit dem dräuenden, schweren Blech vermittelt als Klavierakkordik eine völlig andere, weit weniger eindringliche Wirkung, von den gewaltigen Tuttiausbrüchen im weiteren Verlauf dieses Satzes ganz zu schweigen. Am Ende fragt man sich, was wohl der Grundgedanke dieser Programmdramaturgie gewesen sein könnte. Zitate? Auch das Programmheft schweigt sich darüber aus.

(StZ) Frank Armbruster