Beiträge im Archiv Februar 2023

Mit Blitz und Pulverdampf

05.
Feb.
2023

„Der Räuber Hotzenplotz“ an der Staatsoper Stuttgart

„Alles gut!“ ist, selbst wenn es nicht immer zutrifft, wohl eine der aktuell am häufigsten verwendeten Phrasen. Zum Ende der Geschichte um den Räuber Hotzenplotz passt sie aber auf jeden Fall: denn da hat die Großmutter ihre geliebte Kaffeemühle ebenso zurück wie Kasperl und Seppel die Freiheit samt ihrer Mützen wiederbekommen haben. Und auch der Wachtmeister Dimpfelmoser ist zufrieden, kann er doch den Räuber Hotzenplotz endlich hinter Schloss und Riegel bringen.
Vor gut 60 Jahren hat Otfried Preußler den ersten Band des Kinderbuchklassikers geschrieben, der in über 30 Sprachen übersetzt und um die 3 Millionen Mal verkauft wurde. Dreimal wurde er verfilmt, zuletzt 2022 von dem Schweizer Regisseur Michael Krummenacher, und x-fach als Theaterstück adaptiert. Überzeugende Bearbeitungen für die große Musiktheaterbühne aber gab es bislang noch nicht – ein Manko, dem die Staatstheater Stuttgart nun mit einer Neubearbeitung des Stoffes durch den Komponisten Sebastian Schwab abgeholfen haben. Und damit – darauf deuten die begeisterten Reaktionen nach der Premiere am Samstagabend hin – wohl einen nachhaltigen Erfolg landen werden.
Der dürfte nicht zuletzt darauf beruhen, dass das Regieteam um Elena Tzavara die komödiantischen Elemente des Stücks sehr wirkungsvoll in Bühnenaktion übersetzt hat und dabei auch das zum großen Teil aus Kindern bestehende Publikum in die Handlung miteinbezieht. Die inszenatorische Grundidee folgt dabei dem Vorbild des Kasperletheaters. Auf das hat sich Preußler selbst berufen, „Eine erzählte Kasperlgeschichte“ nannte er sein Buch in der Widmung an seine Töchter.
„Seid ihr alle da?“ wird das Publikum in Stuttgart folgerichtig gefragt, und auch das Bühnenbild nimmt diesen Topos insofern auf, als Elemente des kleinformatigen Puppentheaters auf die Dimensionen einer Opernbühne hochgezoomt werden. Wie in einer Manege treten die Protagonisten durch verschieden große Bühnenvorhänge auf und ab, deren Farben jeweils für eine Person und Örtlichkeit stehen: gelb steht für das Häuschen der Großmutter, grün ist der Räuberwald und die geheimnisvolle Welt des Zauberers Petrosilius Zwackelmann wird durch schimmerndes Schwarz symbolisiert. Das mag, gemessen an den Möglichkeiten eines Staatstheaters, etwas schlicht erscheinen. Allerdings gleicht die Regie dies durch allerhand Theatertricks und Effekte aus: wenn etwa Zwackelmann mittels Blitz und Pulverdampf den Seppel herbeizaubert gibt es viele überraschte Ahs und Ohs samt Szenenapplaus vom Publikum.
Dass der gut zweieinhalbstündige Abend wie im Fluge vergeht, liegt aber auch an den allesamt erstklassigen Darstellern. Das gilt für Kasperl (Elliott Carlton Hines) und Seppel (Dominic Große), die ebenso mit Hingabe spielen und singen wie Clare Tunney als leicht hysterische Fee Amaryllis und Torsten Hofmann als Wachtmeister Dimpfelmoser. Eine Paraderolle hat Heinz Göhrig als Zauberer Zwackelmann, Maria Theresa Ullrich gibt eine herrlich überkandidelte Großmutter. Franz Hawlata schließlich füllt die Hauptrolle des Räuber Hotzenplotz mit baritonaler Präsenz im Stimmlichen und einer Ambivalenz im Darstellerischen aus, die den Gesetzesbrecher trotz seiner Untaten auf subtile Weise sympathisch wirken lässt.
Man kann das Stück schon für kleinere Kinder ab etwa sechs Jahren vorbehaltlos empfehlen, was auch an den überaus fantasievollen Kostümen von Elisabeth Vogetseder liegt, die allein schon eine Augenweide sind. Vor allem aber daran, dass, gestützt durch eine dezente elektronische Verstärkung, durchweg verständlich gesungen und gesprochen wird: Man versteht (fast) jedes Wort. Dazu überfordert die Musik auch die Kleinen nicht. Sebastian Schwab hat hier eine veritable Theatermusik geschrieben, die sich bei vielen Genres bedient. Eben tönt es noch, tubagestützt, wie aus einem bayerischen Bierzelt, dann wähnt man sich plötzlich in einer mexikanischen Bodega. Zu Beginn des zweiten Teils scheint man sich gar kurz in eine Puccinioper verirrt zu haben, bevor es musicalmäßig schmissig weitergeht.
Ein buntes Stilpotpourri, das den gängigen Prämissen zeitgenössischen Komponierens nicht entsprechen mag, aber dazu betragen könnte, die Oper breiteren Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen. Wäre unter seinen Vorgängerintendanten ein solches Stück auf dem Opernspielplan kaum vorstellbar gewesen, so dürfte es, gerade vor dem Hintergrund der anstehenden Sanierung und der damit zusammenhängenden Diskussion über das künftige Publikum, eine bewusste Entscheidung von Viktor Schoner gewesen sein, um zu demonstrieren: So elitär ist die Oper doch gar nicht. Zumindest nicht immer.