Beiträge im Archiv Oktober 2018

Pinchas Zukerman und die Rotterdamer Philharmoniker

25.
Okt.
2018

Himmlischer Gesang

Sieht man auch eher selten beim Meisterkonzert, dass junge Menschen an der Kasse Schlange stehen, um an günstige (Studenten)karten zu kommen. Aber an diesem Abend war ja auch einer der Größten unter den Geigern angekündigt, der hierzulande obendrein selten zu hören ist: Pinchas Zukerman.
Für sein Konzert mit den Rotterdamer Philharmonikern nun hatte der 70-Jährige mit dem ersten Violinkonzert von Max Bruch eines der beliebtesten Schlachtrösser des Repertoires mitgebracht. Eingestimmt darauf wurde man von dem Auftaktwerk: Ernest Blochs saisonal vorgreifendes „Hiver-Printemps“ (Winter-Frühling), das im gut gefüllten Saal eine Art vorfrühlingshafte Berauschung evozierte, durchaus passend, um sich danach vorbehaltlos dem Gefühlsaufwallungen des Bruch-Konzerts ausliefern zu können. Das ist für den Solisten, abgesehen von den technischen Finessen der Ecksätze, insofern eine Herausforderung, als er sich vor großen Gefühlen nicht fürchten, aber gleichwohl vor Rührseligkeiten hüten sollte. Zukerman nun brachte in seinem formidablen Spiel alles zusammen. Im ersten Satz ein von der vibrierenden Grundspannung des Orchesters getragenes, rhapsodisch-kantables Ausspielen von staunenswerter technischer Perfektion. Zum Luftanhalten der Übergang zum Adagio, das Zukerman mit abgeklärter Kontemplation und Zartheit als großen, himmlischen Gesang spielte und dabei seiner Stradivari Töne entlockte, die kaum mehr von dieser Welt schienen. Der Applaus nach dem ebenfalls bravourös hingelegten Finale war entsprechend.
Dass das von Lahav Shani geleitete Orchester – er übernahm in diesem Jahr den Posten des Chefdirigenten von Yannick Nézet-Séguin – mittlerweile in die Topliga zu zählen ist, bewies es nach der Pause mit einer elektrisierenden Interpretation von Brahms vierter Sinfonie. Bis in die kleinste Phrase durchgeformt und emotional aufgeladen atmete das Werk einen fast berliozschen Furor, mit einer triumphal aufgetürmten Passacaglia als Finale. Ein starker Auftakt für die Meisterkonzertreihe. (STZN)

 

Das neue Programm der Fünf hatte im Theaterhaus Premiere

21.
Okt.
2018

Mir send mir

Eigentlich sind die Zeiten generationenübergreifender Unterhaltung ja vorbei. Früher hatte sich die ganze Familie am Samstagabend vor dem Fernseher versammelt, um die Rudi Carrell-Show zu gucken. Aber was gibt es heute noch, das Instagram-Kids und Senioren gemeinsam goutieren können? Nun, bei der Premiere des neuen Programms „005 – Im Dienste ihrer Mayonnaise“ des Vokalquintetts „Die Fünf“ saßen im Theaterhaus Schulkinder neben Vertretern der Generation 70plus, um einträchtig den Refrain von „Mir im Süden“ zu trällern. Das mit den „hochwertigeren Kraftfahrzeugen“ mag einem zwar angesichts von Schummelsoftware bei Daimler nicht mehr ganz so leicht über die Lippen gehen, von „wir spielen auch nicht so´n merkwürdigen Fußball wie die Hessen“ ganz zu schweigen – Leadsänger Little Joe brachte den Satz denn auch mit einem „ach egal…“ gar nicht erst zu Ende. Aber auch wenn der Song eigentlich zu den schwächeren der Fünf zählt, ist er so etwas wie die Schwabenhymne geworden, geeignet – analog zur Parole unseres bayerischen Nachbarvolks – eine Art „Mir send mir“-Stimmung zu erzeugen.
Von der können sich dank ihrer selbstironischen Grundierung durchaus auch Reingeschmeckte angesprochen fühlen, wie es ohnehin zum Markenkern der Fünf zählt, sich selbst nicht gar zu ernst zu nehmen. Dies gilt auch für die Songs des neuen Programms, von denen sich nur der erste auf den Titel, sprich: James Bond, bezieht – der es allerdings in sich hat, kontrapunktiert er doch auf raffinierte Art die berühmte Bond-Titelmelodie mit populärem Liedgut. Ansonsten pflücken die Fünf ihre Themen, wo sie sie eben finden. Es geht um Schwiegermütter und Selbstmotivierer, dazu eine feine Dosis Sozialkritik („Wir sind die Guten“), musikalisch durchweg auf gleichermaßen erlesenem wie goutierbarem Niveau. Am meisten beklatscht wurde die Sommerhitpersiflage „Aeropuerto securidad“ samt Stewardessenflugeinweisungschoreografie, bei dem das Publikum im ausverkauften T1 geschlossen mitmachte. Jung und alt. Wie schön.

Der Klavierabend von Kirill Gerstein

15.
Okt.
2018

Fest der Farben

Mit einem Paukenschlag startete die neue Saison der Meisterpianistenreihe der SKS Russ. Kirill Gerstein ist in den USA längst ein Star, wird hierzulande aber noch nicht so richtig wahrgenommen. Das könnte – und sollte – sich ändern. Denn Gerstein bewies im leider nur schwach besuchten Beethovensaal, dass er nicht nur der dünn besetzten Liga der Supervirtuosen angehört, sondern auch künstlerisch außergewöhnliche Qualitäten besitzt. Sein Programm, weit entfernt vom Mainstream, barg dabei auf subtile Art politische Implikationen. Zunächst unterzog Gerstein den Aspekt des Heldischen mit Liszts siebter, „Eroica“ betitelter Etude aus den „12 Etudes d´execution transcendante“ und Beethovens „Eroica-Variationen“ op. 35 einer musikalischen Betrachtung. Dem folgte Janaceks Sonate „1.X.1905“, die den gewaltsamen Tod eines Aufständischen reflektiert, dessen Totenfeier samt Trauermarsch dann in Liszts „Les Funérailles“ zu hören war. Debussys „Les soirs illuminés par l´ardeur du charbon“ bezieht sich auf das kleine Glück eines Kohlefeuers in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg, und auch Ravel hat mit „Le Tombeau de Couperin“ einem im Krieg verlorenen Freund ein Denkmal gesetzt.
Der dramaturgischen Stringenz entsprach Gersteins grandiose pianistische Umsetzung, wobei er auch in hochvirtuosen Passagen jeden Anflug bloßer Tastenzirzensik vermied: Gerstein kann zulangen, sofern es, wie in Liszts Etuden, gefordert ist. Aber seine Klasse zeigt sich nachdrücklicher in der klanglichen Gestaltung. Klar durchstrukturiert bei Beethoven, berührend in Janaceks fahl-depressiven Lamentotönen, offenbarte er bei Debussy und vor allem bei Ravel das ganze Klangspektrum eines Steinway. Ein Fest der Farben und klanglichen Texturen, gipfelnd in einer rauschhaft hingelegten Toccata. Das Publikum, merklich begeistert, erklatschte sich drei Zugaben: Debussys Prélude „La fille aux cheveux de lin“, Chopins Walzer As-Dur op. 42 und eine Adaption von Gershwins „I got rhythm“. (STZN)