Beiträge im Archiv April 2014

100 Jahre Tunisreise. Auf den Spuren von Klee, Macke und Moilliet

30.
Apr.
2014

Ein Land im Aufbruch.

Café des Nattes

Café des Nattes

„Chambres avec salles de bains“ steht auf dem blauen Schild am Eingang des „Grand Hotel de France“ im Zentrum von Tunis, darunter „Ascenseur“. Badezimmer und Aufzug, das ist für heutige Verhältnisse ein eher bescheidener Komfort. Vor hundert Jahren freilich, als der Maler August Macke hier nächtigte, waren Badezimmer in Hotels noch nicht die Regel. Heute bezahlen budgetbewusste Reisende hier grade mal 25 Euro für ein Zimmer, und man muss lange suchen, bis man überhaupt einen Hinweis auf den berühmten Gast findet, der hier im April 1914 eine Woche logierte. Schließlich wird man doch noch fündig: über einem Spiegel im Foyer hängt, ein wenig verblichen, ein Porträt von August Macke.
Doch während man in Europa Mackes ehemaliges Zimmer vermutlich längst als Luxussuite an Kulturtouristen vermieten würde, tut man sich in Tunesien noch schwer damit, die für die Kunstgeschichte so bedeutende Tunisreise der Maler August Macke, Paul Klee und Louis Moilliet entsprechend zu vermarkten.

Vielleicht hat das Land nach der Revolution von 2011 einfach andere Sorgen. Zwar scheint das Leben in der Hauptstadt Tunis wieder weitgehend normal zu sein. Die Menschen flanieren in den Straßen, in den Cafés herrscht Hochbetrieb. Doch noch immer künden auf der Place de L’Indépendance Stacheldrahtbarrieren von der Zeit des Aufstands, die mit dem Sturz des Diktators Ben Ali einen Flächenbrand in der arabischen Welt einläutete. Selbst wenn die Arbeitslosigkeit nach wie vor hoch ist, sind doch viele Tunesier zuversichtlich. Allerorten wird gebaut, auch Investoren kehren wieder zurück, es herrscht Aufbruchstimmung. Erst kürzlich hat das Parlament nach langen Diskussionen eine neue Verfassung verabschiedet, die die Gleichberechtigung von Mann und Frau und das Recht auf freie Religionsausübung festschreibt. Eine aus Experten bestehende Übergangsregierung bereitet zurzeit die Wahlen zum Parlament vor, die Ende 2014 stattfinden soll.

Vielleicht nimmt ja, wenn sich die politischen Verhältnisse stabilisiert haben, die Tourismusindustrie dann auch den kunstliebenden Individualtouristen stärker ins Visier. Denn anstatt sich als Pauschalurlauber in den Bettenburgen an den Küsten zwischen Hammamet und Djerba einzuquartieren, ist es weitaus spannender, sich mit Paul Klees Tagebuch als Reiseführer an die Fersen der drei Maler zu heften.

Knapp zwei Wochen waren die drei im April 1914, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, in Tunesien unterwegs. Eine Reise, die vor allem das weitere Schaffen von Paul Klee nachhaltig prägen sollte, der hier entscheidende Impulse für seine abstrahierende, vom Rhythmus der Farbflächen geprägte Bildsprache fand. Das Dorf Sidi Bou Said war das erste, was er damals von seinem Dampfer aus von Tunesien sah. „Deutlich erkennbar die erste arabische Stadt. Sidi Bou Said, ein Bergrücken, worauf streng rhythmisch weiße Hausformen wachsen, die Leibhaftigkeit des Märchens, nur noch nicht greifbar…“, notiert Klee in sein Tagebuch. Kleine Gässchen schlängeln sich durch das malerische Dorf, das im 16. Jahrhundert von den Mauren erbaut wurde und sein charakteristisches weiß-blaues Farbprofil dem französischen Bankierssohn Rodolphe d’Erlanger verdankt, der es unter Denkmalschutz stellen ließ. Hier malte August Macke sein berühmtes Aquarell „Blick auf eine Moschee“ mit der Treppe, die hinaufführt zu einem schwarz-weiß eingefassten Torbogen. Der Ort sieht heute immer noch so aus wie ihn Macke vor hundert Jahren gemalt hat. Gebetet wird dort aber nicht mehr, denn dahinter verbirgt sich heute das „Café des Nattes“, wo Einheimische und Touristen Wasserpfeife rauchen und Minztee oder Mokka trinken.

Möglicherweise war Sidi Bou Said schon von den Puniern besiedelt worden, auf deren Spuren man in einer Ausgrabungsstätte auf dem gegenüber liegenden Byrsa-Hügel trifft. Von hier aus hat man einen wunderbaren Blick über den Golf von Tunis, und hier war auch das Zentrum des punischen Karthago – einst die wichtigste See- und Handelsmacht am Mittelmeer -, das 146 v. Chr. von den Römern zerstört wurde. Bei Ausgrabungen wurden unter den Ruinen der Römerstadt noch einige Fundamente der alten punischen Besiedelung freigelegt, viele Fundstücke sind auch in einem Museum auf dem Byrsa-Hügel ausgestellt.

Nachdem die Araber im Jahr 698 Karthago besiegt hatten, wurden die Ruinen der römischen Stadt jahrhundertelang als Steinbruch benutzt. Auch für Bauten in Kairouan, einer weiter im Süden gelegenen Stadt, die vor allem Paul Klee nachhaltig in seinen Bann schlug. Noch weitaus stärker als in Tunis vermittelt sich hier die Fremdheit der islamischen Kultur, spürt man eine radikale Entschleunigung. Wer in der Mittagshitze auf die Stadtmauer steigt und den Blick über die Kuppeln und Minarette schweifen lässt, während der Muezzin die Gläubigen zum Gebet ruft, fühlt sich in eine andere Welt versetzt. Selbst das Licht besitzt hier eine intensivere Farbigkeit. Für Klee, der sich lange Zeit explizit als Zeichner verstand, war der Besuch von Kairouan, immerhin die viertwichtigste Stadt des Islam, der Beginn seiner Selbstfindung als Maler: „Die Farbe hat mich. Sie hat mich für immer. Ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler.“ Zwar hat Klee diese berühmten Sätze erst Jahre später, quasi als literarische Rückbesinnung, in sein Tagebuch eingefügt. Dennoch künden sie von dem tiefen Eindruck, den Kairouan ihn ihm hinterlassen hat.

Selbst wenn kein Museum in Tunesien Werke von Paul Klee besitzt, so ist er doch für einige zeitgenössische tunesische Künstler von Bedeutung. Ein besonders ambitioniertes Projekt verfolgt dabei die Künstlerin Sadika, die sich auch politisch stark für die Reformbewegung engagiert. Sie gründete in unterentwickelten Regionen des Landes eine Kooperative, bei der sich Teppichknüpferinnen von der Motivik Paul Klees zu eigenen Entwürfen inspirieren lassen. Da Klee selber Elemente aus der Formensprache arabischer Teppichkunst in sein Werk aufgenommen hat, wirkt dieser Ansatz durchaus schlüssig. Und ganz egal, ob das nun Kunst oder Kunsthandwerk ist: Mehr als 150 Knüpferinnen haben durch Sadikas Initiative ein Einkommen gefunden. Dass die Bilder seiner Tunisreise hundert Jahre später Ausgangspunkt eines sozialen Projekts sein würden – das hätte sich Paul Klee wohl nicht träumen lassen.

Eine Ausstellung von Teppichen im Zentrum Paul Klee in Bern ist in Planung. (StZ)

Rafal Blechacz Klavierabend in Stuttgart

03.
Apr.
2014

Aus dem Geist der Romantik

Es ist noch keine zwei Monate her, dass Rafal Blechacz in Stuttgart mit den Philharmonikern aus Helsinki Beethovens drittes Klavierkonzert spielte und dabei einen merkwürdig befangenen, gehemmten Eindruck machte. Unklar blieb, ob er sich Solistenrolle nicht wohl fühlte oder einfach keinen rechten Zugang zu Beethoven fand. Bei seinem Soloabend in der Meisterpianistenreihe stand nun ebenfalls ein Werk Beethovens auf dem Programm – und was für eines! Die Sonate Nr. 8 c-Moll, die „Pathétique“ ist wohl die bekannteste Beethovensonate überhaupt. Gewichtig, aber eben nicht unmäßig schwer, kaum ein ambitionierter Hobbypianist, der sich nicht wenigstens mal an der  Grave-Einleitung versucht hätte. Spannend war die Frage, wie Blechacz mit einem solch bekannten, „abgenutzten“ Stück umgehen würde. Und gleich die einleitenden Takte machten deutlich: ein Problem mit Gefühlsüberschwang hat der Pole nicht. Lange, sehr lange lässt er den ersten, mächtig gesetzten Akkord ausklingen, ehe er zögernd die punktierten Sechzehntel folgen lässt. Eigentlich, so denkt man, ist es zu viel an Agogik, aber Blechacz spielt es letzlich so, wie es der Untertitel der Sonate sagt – pathetisch. Und so geht es weiter: das Allegro-Thema über dem Oktaventremolo spielt er mit grimmigem Furor, dramatisch, auftrumpfend, wobei er auch im Verlauf der Durchführung Beethovens Artikulationsvorschriften penibel beachtet. Allenfalls der üppige Pedalgebrauch geht gelegentlich auf Kosten der Transparenz. Den weihevollen Sehnsuchtston des Adagios unterstützt Blechacz mit einem substanzvollen, tragenden Legatoton, ohne ins Sentimentale abzugleiten. Blechacz spielt Beethoven wie ein Romantiker, aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts, und bis zum Rondofinale geht das auch gut. Dort allerdings vermisst man, was auch beim dritten Klavierkonzert gefehlt hat: rhythmischen Biss, Witz, Pointiertheit, kleine Widerhaken im sonst so kultivierten Spiel.
Noch stärker gilt das für Mozarts D-Dur Sonate KV 311, deren gestische Qualitäten und kontrastierende Haltungen ziemlich nivelliert erscheinen zugunsten eines zwar noblen, aber auch ein wenig langweiligen Musizierens – perlende Läufe und funkelnde Kantilenentöne sind bei Mozart nur Mittel zum Zweck.
Einwände, die schlagartig vergessen waren, als Blechacz die ersten Takte von Chopins Nocturne As-Dur op. 32/2 anspielt. Diese Welt ist seine, das spürt man sofort, hier trifft er den richtigen Ton, egal ob in den Polonaisen, Mazurken oder Scherzi, aus denen Blechacz nach der Pause eine Auswahl spielt. Sein Chopin kann feurig oder lyrisch sein, bleibt aber immer gefasst und würdevoll, dabei technisch unanfechtbar – man denkt an den jungen Maurizio Pollini, der ganz ähnliche Qualitäten hatte. Viel Applaus und zwei Zugaben, Chopins Préludes No. 4 e-Moll und No. 20 c-Moll.