Beiträge im Archiv Juli 2014

Mnozil Brass beim Abschlusskonzert der Ludwigsburger Schlossfestspiele

31.
Jul.
2014

Begnadete Spaßvögel

Auch der Ludwigsburger Festspielintendant war bei seiner kleinen Ansprache vor Beginn des Konzerts schon vom Humor-Virus angesteckt. Er bitte um Verständnis, ließ Thomas Wördehoff das Publikum wissen, dass störungsfreies Telefonieren aufgrund der zu erwartenden Lautstärke der Musik an diesem Abend leider nicht möglich sei. Leonhard Paul, der langhaarige Zottel unter den drei Mnozil Brass-Posaunisten, übersetzte Wördehoffs Rede parallel dazu in eine ziemlich lustige Gebärdensprache, was das Publikum im ausverkauften Theater im Forum gleich in die rechte Champagnerlaune brachte. Warming-up nennt man sowas im Showbiz.
Das Publikum liebt die schräge Bläsertruppe aus Wien. Ihre Konzerte sind regelmäßig ausverkauft und so lag der Gedanke nicht fern, auch das Abschlusskonzert mit Mnozil Brass zu gestalten – ein spektakulärerer Schlusspunkt lässt sich kaum setzen unter eine insgesamt ziemlich erfolgreiche Festspielsaison.
Doch auch wenn die Auftritte von Mnozil Brass in der Regel eine sichere Bank sind, so gab es diesmal einige Unwägbarkeiten – galt es doch, auch das Orchester der Ludwigsburger Festspiele mit zu beteiligen. Das hätte durchaus danebengehen können. Ging es aber nicht.
Das lag vor allem an der intelligenten Dramaturgie des Abends, die das Orchester humoristisch mit einband, ohne den Musikern Ungebührliches abzuverlangen. Zwar wurde die Dirigentin Julia Jones schon mal von Trompeter Robert Rother über die Schulter gelegt und strampelnd abtransportiert. Auch einer Geigerin wurde nachhaltig zum Verhängnis, dass sie bei Leonhard Pauls Orchesterbegehung im Weg saß. Ansonsten aber machte das Orchester, was es am besten kann, nämlich Musik – selbst wenn das an diesem Abend etwas anders ablief als sonst. Mit Gioacchino Rossinis Ouvertüre zu Wilhelm Tell begann das Programm zunächst ganz konventionell. Der Solocellist spielte ausdrucksvoll, molto vibrato, die Stimmung tendierte zur Besinnlichkeit. Doch alsbald waren erste Störtöne aus dem Off zu hören, ehe ein Mnozil Brassler nach dem anderen die Bühne enterte und sie im Kollektiv damit begannen, dem Orchester das Heft aus der Hand nehmen. Es ist wirklich so: wenn diese sieben Virtuosen, aufgereiht auf der Rampe, fortissimo in den Saal blasen, dann hat ein Orchester schon lautstärkemäßig kaum noch eine Chance.
Doch die fabelhaften Sieben sind eben auch begnadete Spaßvögel.
Manchmal sind ihre Nummern purer Slapstick: wie der Olympiawettkampf in slow motion mit der zwerchfellerschütternden Synchronschwimmeinlage zu den Klängen des Donauwalzers. Oder das Posaunenduell zwischen Zoltan Kiss als goldkettenbehängtem Macho und dem „braven“, von ihm in die Ecke geblasenen Gerhard Füssl. Doch wenn Leonhard Paul als Krönung eines großartig lakonischen Soloauftritts mit je einem Fuß einen Posaunenzug und je einer Hand die Trompetenventile seiner Kollegen bedient und ihm dann noch der Stuhl weggezogen wird, auf dass er, quasi freischwebend, mit jeder Extremität ein Instrument spielend, in der Luft hängt, dann hat das fast zirkusreife Qualitäten. Von den musikalischen Qualitäten ganz zu schweigen.
Denn da macht Mnozil Brass so schnell niemand was vor. Jeder ist ein Spitzenkönner auf seinem Instrument, und zusammen sind sie eine Wucht. Sensationell ihre Version von Zawinuls „Birdland“, in der auch das Orchester stimmig eingebunden ist, ein Kabinettstückchen das Arrangement des Queen-Klassikers „Bohemian Rhapsody“ mit den Falsett-Gesangseinlagen.
Klar, dass das Publikum am Ende aus dem Häuschen war. Und hoffentlich auch klar, dass Mnozil Brass im nächsten Jahr wieder verpflichtet wird. Gell, Herr Wördehoff?

(StZ)

Das Sommerprogramm von Wommy Wonder in der Spardabank

26.
Jul.
2014

Einfach die Sau rauslassen

Es ist was los im Bankenviertel. Neben der Spardabank stehen Tischchen draußen, gut gelaunte Menschen trinken Apero und genießen den lauen Sommerabend. Drinnen, im sogenannten SpardaWelt EventCenter (muss es eigentlich immer gleich eine ganze Welt sein?), wird Michael Panzer alias Wommy Wonder an dem Abend sein neues Programm „Wonder-Bar 3D – jetzt auch mit Anfassen!“ vorstellen, wo es bis einschließlich 31. August täglich außer Montag zu sehen sein wird. Im Saal sitzt das Publikum an kleinen Tischen, ein bisschen wie im früheren Renitenztheater. Auf der Bühne steht ein Flügel für den Begleiter Tobias Becker, rechts ist die schillernde Wonder-Bar aufgebaut.
An der steht die meiste Zeit des Abends Fräulein Wommys Bühnenassistentin: Schwester Bärbel nennt sich die schrille Kunstfigur mit den schlechten Zähnen, hinter der sich Marcelo Pivoto verbirgt. Nach Angaben im Programmheft ist der ein ausgebildeter Artist – Fähigkeiten, von denen er im Wonder-Programm aber wenig zeigen kann, denn viel mehr als umherschlurfen und Grimassen schneiden darf er nicht. Dabei würde dem Programm ein bisschen handwerkliche Grundkompetenz ganz gut tun. Denn wer sich als Conférencier auf die Bühne stellt, sollte wenigstens gut sprechen können. Und schon damit hapert es bei Michael Panzer, der sich immer wieder im Redefluss verstolpert, nuschelig artikuliert und damit manchen Gag, sofern es einer ist, leichtfertig versenkt. Aber Panzer singt auch, und das ziemlich häufig. Nicht dass Travestiekünstler professionelle Sänger sein müssen (auch wenn es die gibt) – aber auch Sprechgesang sollte gelernt sein. Dass Tobias Becker beim Singen genauso selten die Töne trifft, macht es nicht besser. Wenigstens ist der aber ein zuverlässiger Pianist.
Nun weiß, wer zu Wommy Wonder geht, in der Regel, worauf er sich einlässt.
Umgangsformen und Kultur sind eine Frage von gesellschaftlich verbindlichen Vereinbarungen. Die Wonder-Show nun lebt davon, dass sie es dem Publikum erlaubt, für einen Abend über Kategorien wie guten Geschmack oder political correctness hinwegzusehen. Michael Panzer provoziert die Enthemmung sehr geschickt: man mag sich fragen, wo Panzer in seinem engen Paillettenkleid wohl sein primäres Geschlechtsteil versteckt hat. Indem Panzer diese Frage aber direkt ins Publikum richtet, signalisiert er mit einem verschwörerischen Zwinkern: Ich weiß, was Ihr denkt. Lasst sie einfach raus, die Sau.
Beim ersten anzüglichen Witz – und daraus besteht der Großteil des Programms – mögen sich einige noch genieren, beim dritten aber lachen dann die meisten mit. Und es wird immer zotiger: „Willst Du dass die Liebe glückt, suche jemand, der sich bückt“, sagt Panzer in so einer „Huch, ist mir jetzt rausgerutscht“-Attitüde. Als das Wort „französisch“ fällt, leckt er mit der Zunge, und was man bei „Eiern“ denken soll, wird auch schnell klar.
Da der Reiz der Tabuverletzung mit der Zeit nachlässt, erhöht Panzer nach der Pause die Dosis. Die Schwäbische-Hausfrau-Nummer als Elfriede Scheufele mit Morgenrock und einer nochmal drastisch aufgerüsteten Oberweite ist ein Dauerkokettieren um Sex, Aussehen und Gewicht, bei der die Ankündigung im Programmtitel („mit Anfassen“) denn auch tatkräftig umgesetzt wird.
Mit der Kunst der Travestie hat das alles wenig zu tun. Die spielt mit geschlechtlichen Rollen und Definitionen, lebt von der Irritation und davon, dass Männer – wie etwa Conchita Wurst – weiblich-erotische Anziehungskraft haben. Davon kann bei Wommy Wonder keine Rede sein. Die monströse Plastikfrisur, die sein Markenzeichen ist, die gigantisch ausgestopfte Oberweite – das bedient eher die Ästhetik des Rummelplatzes.
Doch wie immer lädt Michael Panzer sich zu seinem Sommerprogramm auch Gäste ein, an diesem Abend war es der Heidelberger Kabarettist Thomas Schreckenberger. Und der zeigte in seinem kurzen, aber mitreißenden Auftritt, wie Pointen zünden können, wenn sie auf Intelligenz, Sprachwitz und scharfer Beobachtung der Realität gegründet sind. Bis einschließlich Sonntag ist er noch im Wommy Wonder-Programm dabei. Am 10. August tritt er im Renitenztheater auf. (StZ)

Richard Wagners „Tristan und Isolde“ an der Staatsoper Stuttgart

25.
Jul.
2014

Isolde am Spinnrad

Wie fühlt es sich wohl an, wenn das Gift langsam eindringt ins Nervensystem? Spürt man Schmerzen, bevor man die Besinnung verliert? In diesen Sekunden, nachdem Tristan und Isolde von dem (vermeintlich) tödlichen Balsam getrunken haben und der „Todestrotz der Liebesglut weicht“ (wie Wagner in der Regieanweisung schreibt), hält die Musik quasi den Atem an – bis ein F-Dur- Harfenakkord den Bann bricht und beide begreifen, dass sie weiter leben können – und lieben.
In der letzten Stuttgarter Neuinszenierung der aktuellen Spielzeit spielt diese Szene, wie der gesamte erste Akt, getreu nach Wagners Anweisung auf einem Schiff. Der Bühnenbildner Bert Neumann hat es gebaut, solide aus Holz, mit Mast und Ruder. Um das Schiff herum wogen die Wellen bis zum Horizont mittels gemalter, am Schnürboden aufgehängter Bühnenelemente. Das hat etwas Putziges in seinem naiven Illusionismus, ist aber auch eine starke Metapher für den schwankenden Grund, auf dem sich die Protagonisten von Anfang an bewegen: Wie ein Seismograf bildet der wankende Kahn die seelischen Erschütterungen der Figuren ab.
Die enge Beziehung zwischen Bühnenraum und dem Innenleben der Figuren zählt wie die akribisch genaue Personenführung zu den Stärken dieser Inszenierung. Neumanns Räume sind dabei nie statisch, sondern entwickeln sich mit der Handlung weiter. Gegen Ende des ersten Akts deuten sich im Hintergrund schon die Bilder des zweiten an, und solange der Fortgang der Szene offen ist, bleiben es auch die Bilder – erst im dritten Akt, wenn das Schicksal unabwendbar ist, bleibt die Bühne in ein erbarmungslos gleißendes Neonröhrenlicht getaucht. Bis dahin sind die Räume Assoziationsräume, die der Regie vielfältige szenische Möglichkeiten eröffnen. Denn anders als in den meisten Tristan-Inszenierungen bleibt bei Wieler und Morabito vieles bewusst in der Schwebe.
Auch die Frage, wie es eigentlich um die Liebe zwischen Tristan und Isolde steht. Zeitgenössische Opernregisseure begegnen ihr meist mit Skepsis. Heiner Müller hat in seiner Bayreuther „Tristan“-Inszenierung 1993 das Stück als Geschichte einer Entfremdung gelesen. Christoph Marthaler setzte 2005 an derselben Stelle an, und auch im Stuttgarter Tristan von Luk Perceval 2004 fanden Tristan und Isolde nicht wirklich zueinander.
Bei Wieler/Morabito nun ähnelt der zweite Akt einem Spiel, das sich um Liebe dreht. Der nächtliche Kunstwald mit den herabhängenden schwarzen Glitterbahnen bildet den Schutzraum, in dem Tristan und Isolde ihre Vergangenheit aufarbeiten und dabei in verschiedene Rollen schlüpfen. Aggressionen kommen dabei zum Vorschein, sexuelle Begierden – aber auch Regression in kindliche Verhaltensweisen: einmal wird Tristan zu einem verliebten Affen, der sich von Isolde streicheln lässt und dann den Kopf in ihre Schoß bettet. Am Ende küssen sie sich. Ob sie sich damit auch meinen, bleibt offen.
Offen bleibt auch die Bedeutung des Panopticons, das vor jedem Akt als transparentes Bild die Bühne verhüllt. Michel Foucault hatte das architektonische Prinzip mit dem mittig angeordneten Wachtturm, von dem aus alle Gefängniszellen eingesehen werden können, ohne dass der Wächter selber sichtbar wird, als Metapher für die moderne Gesellschaft westlich-liberaler Prägung interpretiert. Überwachungsdruck wird nicht mehr von außen ausgeübt, sondern entsteht durch die Offenlegung des Privaten selber. Ist entgrenzende, totale Liebe in einer quasi-öffentlichen Welt wie der unseren nicht mehr möglich? Darauf könnte der Wachturm deuten, der sich im zweiten Akt im Wald verbirgt und wie ein dräuender Schatten hinter der Zweisamkeit des Liebespaares lauert.
Nicht alles lässt sich hier restlos dechiffrieren, was aber gerade eine Stärke dieser Inszenierung ist. Denn umso stärker wirken ihre Bilder. Etwa das mit Isolde am Spinnrad am Beginn des zweiten Akts: wie bei Goethes Gretchen ist auch ihre Ruh dahin, bis sie den Geliebten trifft, dem sie am Ende den (Ariadne?-)Faden für die Reise in die ewige Nacht reicht. Oder das grandiose Schlussbild des dritten Aktes: Der Kahn ist hier gestrandet, ein Loch klafft in seinem Bauch. Fast alle sind tot, doch dann steht Tristan als Imagination Isoldes wieder auf und bewegt sich zu ihrem Abschiedsgesang in einem verklärten, bewegenden Tanz. Danach muss man sich erst mal wieder fangen.
Dem Rang der Inszenierung entspricht die musikalische Qualität in weiten Teilen.
Der Stuttgarter GMD Sylvain Cambreling dirigiert einen klanglich entschlackten und durchsichtigen Tristan, den Fokus eher auf harmonische Entfaltung und Gestaltung der Linien gerichtet als auf schiere Klangentladung. Das erste Vorspiel bleibt noch etwas statisch, mit einigen Asynchronitäten auf Seiten der Holzbläser, aber dann klinken sich Dirigent und Orchester in den Fluss der Musik ein. Streicher und Bläser wirken gleichberechtigt, was der Durchhörbarkeit der Partitur entgegenkommt. Und Cambreling dirigiert sängerfreundlich.
Das nutzt vor allem Christiane Iven, die, abgesehen von ihrer darstellerischen Präsenz, vor allem durch gestalterische Fantasie besticht. Iven singt ihr Debut als Isolde mit der Differenzierungskunst einer Liedsängerin: mit wunderbaren Pianoabtönungen und einer reichen Palette an Farben – geradezu durchglüht der bebende „Tristan!“-Ruf mit der absteigenden Septime im ersten Akt. Freilich kommt sie schon gegen Ende des zweiten Akts an ihre Grenzen, als ihre Stimme Glanz und Sitz verliert, die Intonation verrutscht – ganz reicht ihre Kondition für diese mörderische Partie wohl noch nicht. Im Gegensatz zum Tenor Eric Caves, der die kraftraubende Tristan-Partie, ebenfalls ein Rollendebut, bravourös bewältigt. Er gestaltet aus dem Lyrischen heraus, und was ihm an heldentenoraler Durchschlagskraft fehlt, gleicht er aus mit feiner Phrasierung. Bravourös auch Shigeo Ishino, der einen ungemein profunden wie textverständlichen Kurwenal singt. Attila Jun verleiht dem König Marke tragische Größe und auch die klangschön-expressive Brangäne von Katarina Karnéus entspricht dem hohen Niveau des Ensembles.
Am Ende Bravi und einige Buhs, vor allem für die Regie. Wagner schrieb über seinen Tristan, „vollständig gute“ Aufführungen müssten die Leute „verrückt“ machen, nur „mittelmäßige“ könnten ihn retten. So ein bisschen verrückt konnte man schon werden an diesem Abend. (StZ)

Aufführungen am 23. und 27. Juli, sieben weitere bis 21. Dezember.

Zum Auftakt der Jazz Open spielen RSO Stuttgart, SWR Vokalensemble und SWR Bigband

11.
Jul.
2014

Brückenschlag zwischen Jazz und E-Musik

Fast drei Stunden Programm mit neuen Werken, und am Ende des gut besuchten, von Götz Alsmann launig moderierten Konzerts im Beethovensaal Ovationen des begeisterten Publikum – das ist doch mal was! Zum Auftakt der Jazz Open Stuttgart hatte der SWR seine Stuttgarter Ensembles, das Radiosinfonieorchester, die Bigband und das Vokalensemble zu einem Konzert unter dem Titel „SWR Classix goes Jazz“ zusammengespannt. Fünf Komponisten hatten Werke geschrieben, die deren musikalische Sphären vereinen sollten – Brücken zu bauen zwischen Jazz und E-Musik. Freilich gibt es solche Werke längst: nicht nur George Gershwin, dessen „Concerto in F“ auch auf dem Programm stand, auch Komponisten wie Leonard Bernstein oder Darius Milhaud haben Jazz-Elemente in ihre Musik aufgenommen. Und auch zeitgenössische Bigband-Komponisten wie Maria Schneider haben sich längst vom Swing-Klischee emanzipiert in Form und Klang an moderner E-Musik orientiert. Es ging wohl dem SWR vor allem darum, seine drei Klangkörper gemeinsam auf die Bühne zu bringen – und dafür brauchte man eben passende Stücke. Die Komponisten sahen sich nun nicht bloß vor das Problem gestellt, dass sich Sinfonieorchester und Bigband besetzungsmäßig (Trompeten, Posaunen) überschneiden, auch Klischees sollten nach Möglichkeit vermieden werden: verweben statt kombinieren, so lautete ihr Auftrag.
Das gelang mal mehr, mal weniger gut, doch langweilig war das Konzert nie. Nicht Gregor Hübners „Clockwork interrupted“, das dem Aufeinanderprallen der Klangwelten von Bigband und Orchester interessante Facetten abgewinnt. Auch nicht Steffen Schorns „Three Pictures“, das mit diesen klanglichen Signaturen subtil spielt, dem aber das Bestreben anzumerken war, Bigband und Orchester auch als Kollektiv zu behandeln – trotz gewisser Längen das avancierteste Werk dieses Abends.
Heikel war die Aufgabe auch für jene Komponisten, die Chor und Bigband vereinen sollten – denn nach Gospelchor sollte es auf keinen Fall klingen. Ralf Schmid griff dazu auf Lieder aus Edvard Griegs „Peer Gynt“ zurück, die er allerlei rhythmischen und harmonischen Modulationen unterzog, blieb aber weitgehend dem Jazz-Idiom treu (Dirigent: Morten Schuldt-Jensen). Helge Sund nahm sich drei deutsche Volkslieder vor, die er auf raffinierte wie ironische Weise dekonstruierte und dabei Verfahrensweisen der neuen Musik spielerisch mit einbezog. Die gewichtigste Aufgabe, nämlich Bigband, Orchester und Chor in einem Werk zusammenzubringen, hatte man dem RSO-Fagottisten und Jazzsaxofonisten Libor Sima anvertraut, der sie mit Bravour löste. „I am the drum“ skandierte der Chor den Werktitel wie ein Motto, und getragen von einem rhythmischen Puls setzte Sima im Verlauf des Stücks die Klangelemente in virtuoser Manier in vielfältige Beziehungen, wobei vor allem Blech und Rhythmusgruppe stark gefordert waren. Ein starkes Stück, das ebenso stark beklatscht wurde.
Den stärksten Eindruck aber hinterließ Gershwins „Concerto in F“. Denn Gershwin gelang der Brückenschlag zwischen Jazz und E-Musik nicht äußerlich über die Besetzung – er entwickelte ihn aus der Sprache der Musik selber. Und besser als an diesem Abend mit dem großartigen Wayne Marshall am Klavier – der auch dirigierte – hat man das Stück wohl auch noch nie gehört. Aber wie gesagt: unterhaltsam war der Abend allemal. (StZ)

Das RSO Stuttgart mit Werken von Schumann, Strauss und Schmitt

06.
Jul.
2014

1:0 für Richard Strauss

Das hätte ein Dramaturg nicht besser einfädeln können. Gerade war das Viertelfinale der Fußball-WM zwischen Deutschland und Frankreich zu Ende, da trafen im Beethovensaal erneut Vertreter beider Länder zum gemeinsamen Spiel aufeinander: der Dirigent Stéphane Denève und der Pianist Éric Le Sage auf französischer, das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR auf deutscher Seite. Doch damit nicht genug. Denn auch das Programm des „Faszination Klassik“-Konzerts konfrontierte Werke von deutschen und französischen Komponisten, wobei sich – um die Liaison noch enger zu machen – Robert Schumanns Ouvertüre zu „Hermann und Dorothea“ den Abzug der Franzosen aus dem Rheinland zum Thema hat und dabei die Marseillaise quasi als musikalisches Leitmotiv verwendet. Das hätte man, wie gesagt, kaum besser planen können und war doch reiner Zufall – standen doch erst vor wenigen Tagen die Viertelfinalpaarungen fest.
Ob es nun daran lag, dass Stéphane Denève ob der Niederlage seiner kickenden Landsleute ein wenig geknickt war, dass er die französische Nationalhymne in Schumanns Werk mit besonders patriotischer Inbrunst anstimmen ließ? Luftig und duftig ist das Stück jedenfalls instrumentiert, und genau so spielte es das RSO: mit schöner Balance zwischen den Streichern und den hier immer wieder prominent ins Licht gerückten Holzbläsern. Ein Werk, das auf Konzertbühnen selten zu hören ist, was auch für die anderen Werke dieses Abends galt, der sich programmatisch eher auf  Nebenwegen bewegte. Denn auch Schumanns „Introduktion und Allegro appassionato“ für Klavier und Orchester op. 92 und das „Konzert-Allegro“ op. 134 für dieselbe Besetzung stehen im Schatten des berühmten a-Moll Klavierkonzerts – was schade ist, besitzen sie doch eine durchaus vergleichbare lyrische Empfindungstiefe und behandeln das Verhältnis von Soloinstrument und Orchester auf jeweils individuelle Weise.
Vor allem das „Konzert-Allegro“ fordert darüberhinaus einen richtigen Virtuosen – was der Pianist Èric Le Sage zweifelsfrei ist: dank seiner eloquenten Technik muss ihm auch vor Höchstschwierigkeiten nicht bang sein. Dass der berühmte Funke aber gleichwohl nicht so recht überspringen wollte lag zum einen an der spürbaren emotionalen Zurückhaltung des Solisten, zum anderen daran, dass Solist und Orchester rhythmisch nicht immer auf einer Linie waren. Vielleicht hätte man noch ein paar Proben gebraucht.
Nach der Pause folgte ein deutsch-französisches Duell: Richard Strauss´ „Tanz der sieben Schleier“ aus der Oper „Salome“ gegen Florent Schmitts Ballettsuite „La Tragédie de Salomé“.  Und gerade bei Strauss lief das Orchester zu großer Form auf. Auch wenn die Melismen von Oboe und Flöte zu Beginn noch etwas spannungsvoller hätten sein können –  die erotische Faszination der Salome vermittelte sich hier nicht zuletzt durch die von Stéphane Denève sorgsam geschichteten Klangmischungen. Gegenüber diesem vielfarbig schillernden, raffiniert instrumentierten und mit rhythmischen Finessen gespickten Stück wirkte jenes von Florent Schmitt  trotz ähnlich großer Besetzung und zusätzlicher Aufrüstung durch einen Frauenchor (dem SWR Vokalensemble Stuttgart) pompös und bieder. Klares 1:0 für Strauss. Ohne Verlängerung.