Beiträge im Archiv Juni 2018

Die Stuttgarter Philharmoniker unter Dan Ettinger im Beethovensaal

10.
Jun.
2018

Rauschen und Knistern

Wie klingt das Käuzchen? Huuh-hu. Und wie der Frosch? Mit einem Orchester lassen sich Naturszenen ganz gut akustisch nachstellen, was schon die Komponisten des Barock – Antonio Vivaldi etwa – weidlich genutzt haben. Tierstimmen gehören dabei meist in den Zuständigkeitsbereich von Blasinstrumenten, und für Olivier Messiaen bildeten Vogelstimmen gar den Ursprung aller Musik, wobei er in seinen Werken niemals in die Gefahr ihrer bloß illustrativen Verwendung kam. Weniger talentierte Komponisten können dagegen leicht der Versuchung erliegen, mangelndes Können und fehlende Inspiration durch den Einsatz akustischer Versatzstücke zu kompensieren. Das zeigte sich nun beim Konzert der Stuttgarter Philharmoniker unter Dan Ettinger, bei dem vor der Pause das dreisätzige Stück „Water“ für Klavier und Orchester des türkischen Pianisten Fazil Say gespielt wurde, der auch den Solopart übernahm. Hier trafen sich Käuzchen und Frosch zum munteren Stelldichein, umspielt von allerlei Rauschen, Knistern und Gluckern und garniert von eingängigen melodisch-harmonischen Floskeln, die sich in repetitiven Strukturen ihrem vorhersehbaren Ende zubewegten. Töne, die sich wie warmes Öl in die Gehörgänge schmiegen und auch auch als Hintergrundmusik in der Meditationssauna funktionieren würden. Nun muss zeitgenössische Musik ja nicht immer sperrig sein. Aber gleich so billig?
Wild ist das Stück jedenfalls nicht, und mit 48 Jahren dürfte auch Say nicht mehr unbedingt als jung zu bezeichnen sein, weshalb sich das Motto des Konzerts „Junge Wilde“ darauf kaum beziehen lässt. Blieben noch das Eingangsstück, die „Freischütz“-Ouvertüre, bei deren Uraufführung Carl Maria von Weber auch schon 35 war, und Beethoven, der seine siebte Sinfonie mit 41 komponierte. Beherzt immerhin war Dan Ettingers (47) dirigentischer Zugriff, der bei Beethoven das wie entfesselt spielende Orchester mit Volldampf durch die Partitur trieb und am Ende mit Ovationen gefeiert wurde. Ein Wilder, junggeblieben?

Marc-André Hamelin spielte in der Meisterpianistenreihe

04.
Jun.
2018

Ein bisschen leid tun konnten Sie einem schon, die 30 Teilnehmer des letztjährigen Van Cliburn Klavierwettbewerbs. Mussten sie doch als Pflichtstück gleich in der ersten Runde die Toccata on „L’homme armé“ spielen, ein vor Höchstschwierigkeiten strotzendes Stück des Mitjurors Marc-André Hamelin, das wohl, zumindest in technischer Hinsicht, die Spreu vom Weizen getrennt haben dürfte. Nun hat der Frankokanadier seine Version eines französischen Renaissancelieds als erste Zugabe seines umjubelten Klavierabends im Stuttgarter Beethovensaal mit jener Brillanz und Leichtigkeit gespielt, die man von ihm gewohnt ist. Als wäre Klavierspielen die einfachste Sache der Welt.
Das gilt für die schwerelos hingelegte Sonate C-Dur Hob.XVI:48 von Haydn, die schon das Spektrum an Farben und Anschlagsdifferenzierungen andeutete, das Hamelin dann in den beiden Sonaten von Samuil Feinberg und Claude Debussys erstem Heft der „Images“ entfaltete. Feinbergs hochvirtuose, stark an Skrjabin erinnernde Musik spielte Hamelin als Tanz auf der Rasierklinge – mit unbedingtem Ausdruckswillen sich bis an die Grenzen dessen herantastend, was auf einem Flügel möglich ist. In Debussys „Images“ dann wurde die im Titel anklingende Utopie Realität. Töne und Begriffe transformierten zu Bildern, von glitzernden Wasserflächen in den „Reflets dans l´eau“, einer patinabedeckten barocken Szene in der „Hommage à Rameau“ und schließlich, in „Mouvement“, von der Bewegung selbst.
Dass Hamelin freilich nicht nur ein Meister der konzisen Form ist, sondern auch groß angelegte Sonatensätze überlegen zu gestalten weiß, zeigte er nach der Pause auf überwältigende Weise in Schuberts B-Dur Sonate D960. Ganz ungeschützt, mit fühlendem Herzen ließ sich Hamelin auf die Seelenerkundung ein, die diese Musik bedeutet, spielte mit größter Sensibilität die harmonischen Beleuchtungswechsel aus. Weltenrückt in den ersten beiden Sätzen, von vorsichtigem Elan beseelt im dritten und vierten Satz. Große Kunst.