Beiträge im Archiv Januar 2018

Das Stuttgarter Kammerorchester mit Albrecht Mayer

30.
Jan.
2018

Manchmal ist es an der Zeit, dass Missstände angesprochen werden. Dies war der Fall beim Konzert des von Peter Ruzicka geleiteten Stuttgarter Kammerorchesters im Beethovensaal, und es war der berühmte Oboist Albrecht Mayer, der diese Aufgabe übernahm. Es ging dabei um das Verhalten eines zwar kleinen, aber doch insofern relevanten Teils des Publikums, als dessen fortgesetztes Husten und Räuspern Peter Ruzickas …INS OFFENE… vor allem in dessen letztem, sich in Pianissimobereichen entlangtastenden Abschnitt den Garaus gemacht hatte und auch die folgende Bearbeitung von Maurice Ravels „Le Tombeau de Couperin“, in der Mayer die Solooboenstimme blies, immer wieder durch bronchitische Lautäußerungen massiv gestört wurde. Mayer, der seine Ansprache nicht als Belehrung, sondern als Anregung verstanden wissen wollte, nahm dabei vor allem den Umstand aufs Korn, dass manche offenbar der Meinung sind, gerade dann loshusten zu müssen, wenn die Musik besonders leise ist, sich aber um eine Limitierung der eigenen Lautstärke offenbar nicht zu kümmern brauchen. Dezent in die Armbeuge husten – das war Mayers Ratschlag. Genützt hat es wenig.
Schon in der Zugabe nahm das Unheil wieder seinen Lauf, einer Bearbeitung aus Bachs Kantate BWV 21, deren Titel auf sarkastische Weise passend war: Ich hatte viel Bekümmernis.
Das war insofern schade, als dieses Konzert insgesamt auf extrem hohen Niveau war. Ruzickas Stück wirkte in seiner aufgerauten, herb-sinnlichen Textur zunächst wie ein Putzer für die Ohren, die danach mit dem edel gerundeten, bis in höchste Lagen gleichsam entgrateten Oboenton Albrecht Mayers in Ravels fein gesponnener Musik aufs Luxuriöseste verwöhnt wurden. Das runderneuerte SKO erwies sich dabei als so flexibler wie präziser Klangkörper, der seine Klasse nach der Pause in der Orchesterfassung von Schönbergs Streichsextett „Verklärte Nacht“ nachdrücklich unter Beweis stellte: klanglich erlesener und packender kann man diese Nervenmusik kaum spielen. (STZN)

Portrait Kai Kluge

30.
Jan.
2018

Kai Kluge singt den Tamino in Mozarts „Die Zauberflöte“

Manchmal sind es Zufälle, die den Lebensweg bestimmen. Wer weiß, ob Kai Kluge eine professionelle Sängerlaufbahn eingeschlagen hätte, wären seine Eltern damals, als sie von Argentinien ausgewandert sind, nicht ausgerechnet in die Nähe von Calw gezogen. In dem Schwarzwaldstädtchen ist nämlich nicht nur Hermann Hesse geboren, dort sind auch die Aurelius Sängerknaben beheimatet, bei denen Kai Kluge mit sechs Jahren eingetreten ist – was wiederum kein Zufall war, trat er damit doch in die Fußstapfen seines acht Jahre älteren Bruders Daniel, der Kais großes Vorbild und schon lange Mitglied bei den Aurelius Sängerknaben war. Die sind hierarchisch straff organisiert. Nur die besten der Buben singen im Konzertchor, aus dem wiederum wenige Solisten rekrutiert werden. Die werden dann von internationalen Opernhäusern gebucht, speziell wenn es um die Besetzung der drei Knaben in Mozarts „Die Zauberflöte“ geht. Kai Kluge gehörte dazu. Und so war er schon als Schüler ziemlich viel unterwegs. Amsterdam, Edinborough, sogar nach Madrid ging einmal die Reise, wo er insgesamt sieben Wochen weilte. Ein Stimmbildner war dabei ebenso mitgereist wie ein Privatlehrer, schließlich durfte die Schule wegen des Singens nicht auf der Strecke bleiben. Bezahlt wurde der Aufwand vom Madrider Opernhaus, etwas Geld gab es für die Familie obendrein. „Die Eltern bekommen eine Pauschale für jede Aufführung,“ sagt Kluge, „die meisten legen es für die Kinder auf einem Konto an.“ Und das kann sich läppern, wenn man so viel unterwegs ist wie er. „Davon habe ich später meinen Führerschein bezahlt.“
An die achtzig Mal hat Kai Kluge den Knaben in der Zauberflöte gesungen. Mit 13, kurz vor seinem Stimmbruch, war er sogar bei der Uraufführung jener Inszenierung von Peter Konwitschny mit von der Partie, die am vergangenen Montag am Stuttgarter Opernhaus wiederaufgenommen wurde. Aber anstatt des Knaben singt der mittlerweile 28-Jährige Kai Kluge – dessen sängerisches Vorbild übrigens Fritz Wunderlich ist – darin jetzt den Tamino, eine der Hauptrollen der Oper. Für ihn geht damit ein Traum in Erfüllung. „Tamino ist eine der ersten großen Rollen, die als Ziel vor Augen hatte.“ Gelernt hat er seine Partie ziemlich rasch, was angesichts seiner Erfahrung kein Wunder ist. „Irgendwann habe ich die Oper komplett auswendig gekonnt. Alle Rollen, alle Dialoge, auch die Frauenpartien“. Konwitschnys Inszenierung mag er sehr. Dass es darin nie langweilig wird und auch der Humor nicht zu kurz kommt, das passt, findet Kai Kluge. Auch Mozart und Schikaneder seien schließlich keine Kinder von Traurigkeit gewesen.
Was auch für Kai Kluge gilt, der sich durchaus bewusst ist, dass seine Sängerkarriere bisher außergewöhnlich glatt verlaufen ist. Studium in Karlsruhe, dann ein Jahr Opernschule in Stuttgart und jetzt Ensemblemitglied. Davon können andere nur träumen. „Ich kann mich sehr glücklich schätzen“. Wobei die Zeit nach dem Stimmbruch erst mal hart war. „Man hat plötzlich eine komplett andere Stimme. Die Gesangstechnik musste ich wieder neu erlernen“.
Was die Erfahrungen aus seiner Zeit als Aurelianer anbelangt, so sind sie für Kai Kluge vor allem deshalb enorm wichtig, als der Umgang mit der Bühnensituation, anders als für viele andere junge Sänger, für ihn nie ein Problem war. Wer
schon als Knirps über hundert Mal auf einer großen Opernbühne gestanden hat, den kann später wenig schrecken.
Auch den Entschluss Profisänger zu werden hatte er noch in seiner Zeit als Sängerknabe gefasst. In Frankfurt sang er den Hirtenknaben in Puccinis „Tosca“. Danach war er sich sicher: das will er sein Leben lang machen. Seitdem ist Cavaradossi seine Traumrolle als Tenor. „Ein Mann, der sich hinstellt, vor nichts Angst hat. Es dauert noch ´ne Weile, aber irgendwann möchte ich den singen.“
Den Umstand, dass sein Bruder Daniel ebenfalls als Tenor an der Oper Stuttgart engagiert ist – seit 2010 ist er Ensemblemitglied – hält Kai Kluge für „einen Riesenzufall und ein Riesenglück“. Äußerlich sind sich beide recht ähnlich – Kai trägt die Haare etwas wuscheliger als Daniel – stimmlich hat der Ältere etwas mehr Metall und Kraft in der Stimme als Kai, der eine eher lyrische Stimmfarbe besitzt, die damit ideal für Mozart ist. Was die Rollenbesetzung anbelangt, dürften sie sich so kaum in die Quere kommen, und auch sonst hat ihr Verhältnis nicht
dadurch gelitten, dass sie nun denselben Arbeitgeber haben. Ganz leicht ist Kai Kluge die Entscheidung dennoch nicht gefallen, an dasselbe Haus wie sein Bruder zu gehen, zumal er auch ein Angebot der Karlsruher Oper hatte. Aber sein Gesangsprofessor habe ihm zugeraten. „Kai“, habe er gesagt. „Türen gehen auf und wieder zu. Wenn Du jetzt nicht durchgehst und es läuft später nicht gut, denkst Du vielleicht: Ich bin da nicht hin, weil mein Bruder da war. Und ich hab mich geopfert für ihn.“ (STZN)

Das Staatsorchester Stuttgart beim vierten Sinfoniekonzert

22.
Jan.
2018

Aus einem Guss

Vier Jahre arbeitete Lutoslawski an seinem „Konzert für Orchester“, dessen triumphale Uraufführung 1954 eine späte Genugtuung war für den im stalinistischen Polen der Nachkriegszeit verfemten Komponisten. Das Stück ist ein singuläres Meisterwerk, das auf grandiose Manier einen Bogen zwischen Tradition und Moderne schlägt, wobei der Titel „Konzert“ auf die quasi solistischen Passagen anspielt, die speziell von den Bläsern und dem Schlagzeug höchste Virtuosität fordern. Seine Programmierung in einer Abokonzertreihe stellt also eine Herausforderung dar – umso höher ist zu schätzen, mit welcher Bravour und Brillanz das Staatsorchester Stuttgart unter Leitung von Alexander Liebreich dieses Werk beim 4. Sinfoniekonzert gespielt hat. Nun darf Liebreich insofern als Kenner des Werks gelten, als er es zusammen mit dem Symphonieorchester des Polnischen Rundfunks (dessen Chefdirigent er ist) 2014 aufgenommen hat. Kompetenz, die Folgen hatte: seine stringente Dramaturgie bildete die Basis für das konturenscharfe und auch klanglich strukturierte Spiel des Staatsorchesters, das man lange nicht derart homogen gehört hat.
Begonnen hatte der Abend mit Beethovens erster Sinfonie. Auch diese gründet auf der Tradition, schlägt aber einen euphorischen, in die Zukunft weisenden Ton an, den Liebreich und das Staatsorchester gleich mit dem Beginn des Allegro etablierten. Ein rundum überzeugender Beethoven: kammermusikalisch durchgearbeitet speziell im Andante, mit durchgängig sinnfälliger, klarer Artikulation.
Im Spannungsfeld zweier solcher Meisterwerke hat es ein Stück wie Hugo Hermanns Violinkonzert schwer. Das Werk des 1896 in Ravensburg geborenen Schreker-Schülers atmet den Geist der 20er-Jahre, ohne dabei an die Originalität jener Komponisten wie Weill und Strawinsky heranzureichen, deren Einflüsse es verrät. Eine interessante Begegnung war seine Aufführung gleichwohl, zumal der Geiger Kolja Lessing, der es aus der Versenkung geholt hat, mit spürbarem Ausdruckswillen auch technisch profund musiziert hat. (STZN)

Das Trio Midori/Biss/Lederlin musizierte im Mozartsaal

12.
Jan.
2018

Das wird man in Zukunft wohl häufiger sehen, dass Musiker nicht mehr ihre Noten vor sich aufschlagen, sondern stattdessen einen Bildschirm aufs Pult stellen, bei dem sich die Seiten per Fußpedal „umblättern“ lassen – sofern man diesen altmodischen Begriff für diesen Vorgang noch verwenden möchte. Beim Kammermusikkonzert im Mozartsaal bediente sich der Pianist Jonathan Biss ebenso dieser Technik wie der Cellist Antoine Lederlin, nur Midori an der Geige blieb dem altmodischen Papier treu. Zumindest um Akkulaufzeiten muss sie sich da keine Gedanken machen…
Das Stuttgarter Konzert war die zweite Station einer kleinen Tournee, die das Trio am kommenden Dienstag mit einem Auftritt in der Londoner Wigmore Hall abschließen wird – und ein nachhaltiger Beleg dafür, dass man nicht unbedingt feste Ensembles braucht, um erstklassige Aufführungen von Klaviertrios erleben zu können. Das Programm bestand aus drei Gipfelwerken der Gattung, die gleichzeitig drei musikalische Haltungen repäsentieren: Beethovens Trio G-Dur op.1/2 steht für musikalischen Intellekt und Esprit, Schumanns Fantasiestücke op. 88 verströmen romantischen Zauber und Phantastik, und Dvoráks groß angelegtes Klaviertrio f-Moll op.65 lotet das Spektrum menschlicher Gefühlszustände zwischen tiefster Niedergeschlagenheit und Optimismus in allen Facetten aus. Nun sind alle drei Musiker ausgewiesene Solisten, die sich hier zu einem Triospiel zusammenfanden, das von Konzentration, Stilbewusstsein und dem spürbaren Willen zu Expressivität gekennzeichnet war. Großartig, wie sie jedem Werk mit einer dezidierten Klanglichkeit entsprachen: Strukturell klar durchgezeichnet bei Beethoven, atmosphärisch fein gewirkt bei Schumann und mit fast sinfonischer Fülle bei Dvorák. Einziger Wermutstropfen an diesem Abend war die Dominanz des Pianisten Jonathan Biss, der Midoris feines Geigenspiel mitunter überdeckte. Klangbalance – da sind feste Klaviertrios dann doch im Vorteil.

Preziosen mit Stil

08.
Jan.
2018

Vilde Frang zählt sicher zu den interessantesten unter den jungen Geigerinnen. Einige der großen Violinkonzerte und Sonaten hat die 31-jährige Norwegerin bereits formidabel eingespielt, auf ihrer neuen CD „Homage“ nun widmet sie sich den Preziosen des Repertoires – Zugabenstücke, wie sie große Geiger wie Jascha Heifetz oder Fritz Kreisler geliebt haben, von denen auch einige Bearbeitungen auf dieser CD stammen. Dazu zählen Dvoráks „Slawischer Tanz“ op. 46/2, „Sevilla“ von Isaac Albéniz` oder Manuel Ponces zuckersüße „Estrellita“, ergänzt durch virtuose Kabinettstückchen von Wieniawksi oder Bazzini. Bewunderungswürdig, mit welcher Stilsicherheit Vilde Frang jede dieser Petitessen in ihrem Charakter trifft, ohne sie übermäßig mit Bedeutung aufzuladen. Leichtigkeit, Anmut und Farbigkeit zeichnen dabei ihr Spiel vor allem aus, Virtuosität drängt sich nie in den Vordergrund, sondern bleibt Mittel zum Zweck. José Gallardo am Flügel entspricht ihrem einfühlsamen Musizieren ideal. Eine der schönsten Violinplatten der letzten Zeit.

Homage. Vilde Frang, José Gallardo. Warner Classic 0190295805326.