Beiträge im Archiv Januar 2016

Max Raabe und das Palast-Orchester im Beethovensaal

29.
Jan.
2016

Formvollendet

Max-Raabe5So spricht heute eigentlich keiner mehr. „Wir wären sehr dankbar, wenn Sie uns die Möglichkeit einräumen würden, Ihnen noch ein Stück vortragen zu dürfen“, sagt Max Raabe am Ende des Programms, als das restlos begeisterte Publikum im voll besetzten Beethovensaal eine weitere Zugabe fordert. Die gestelzte Höflichkeit freilich ist ein Teil des Gesamtkunstwerks Max Raabe, der das Publikum mit seinem Programm „Eine Nacht in Berlin“ wieder einmal in jene Zeit der 20er und 30er Jahre entführte, die für die Unterhaltungsmusik mit Komponisten wie Ralph Benatzky, Fritz Rotter oder Friedrich Hollaender bis zur Machtergreifung der Nazis eine goldene war. Die anderen Teile sind Stil, Weltläufigkeit und Formvollendung: egal ob im Smoking oder Frack, kerzengerade am Mikrofon stehend oder lässig am Flügel gelehnt – bei Max Raabe ist alles perfekt gentlemanlike, vom Lackschuh bis zum Seitenscheitel. Das wirkt natürlich hoffnungslos anachronistisch in einer Zeit, in der Proleten wie Mario Barth mit derben Zoten Stadien füllen. Doch ist diese Wahrung der Form die Voraussetzung dafür, dass die wohldosierten Pikanterien und feinen Frivolitäten der Lieder, Couplets und Chansons die rechte Wirkung entfalten können. „Ich steh mit Ruth gut, weil meine Ruth tut, das was mir gut tut“, singt Max Raabe, und allenfalls ein leichtes Zucken der Augenbrauen deutet an, welche weiblichen Qualitäten damit wohl gemeint sein könnten. Und auch wenn die Fabulierlust Kapriolen schlägt – wie in dem Schlager „In der Bar zum Krokodil“ , wo sich „Ramses“ auf „ham ´ses“ und „Philosophen“ auf „Schwofen“ reimt und das Publikum vor Vergnügen quietscht, genügt Max Raabe ein vielsagendes Neigen des Kopfs. Einige neuere Lieder wie „Küssen kann man nicht alleine“ oder „Für Frauen ist das kein Problem“ fügen sich reibungslos in ein Programm, das auch musikalisch einiges zu bieten hat. Die zwölf Musiker des Palast-Orchesters zeigen echte Revue-Qualitäten in den überaus originellen Arrangements, bei denen auch exotische Instrumente wie Basssaxofon oder Sopranposaune zum Einsatz kommen. Darüberhinaus warten sie mit erstaunlichen Mehrfachbegabungen auf: da formieren sich die Bläser mal eben zum Streichquartett oder singen mit Max Raabe mehrstimmig, der seine Gesangstechnik weiter perfektioniert hat. Reibungslos gleitet die Stimme von Bariton- bis in höchste Falsettlagen, dabei lässt er die Rs rollen und zerkaut genüsslich die Vokale. Selbst Operettenschmonzetten wie „Dein ist mein ganzes Herz“ werden so wieder genießbar. Als letzte Zugabe gibt es ein kleines Gutenachtlied: “Am Südpol sitzt ein Pinguin und schaut/ob sein Gletscher taut…Doch du mein Schatz muss schlafen gehen“. Dazu blinken am Bühnenhimmel die Sternchen. (StZ)

Das Abschiedsprogramm von Honey Pie

10.
Jan.
2016

Walter will Wellness

Dreißig Jahre gibt es – mit einer neunjährigen Unterbrechung – nun schon das famose Damenterzett Honey Pie, das in dieser Zeit mit beträchtlichem Erfolg die Konzertsäle und Kleinkunstbühnen, Clubs und Mehrzweckhallen im Mittleren Neckarraum und darüber hinaus bespielt, beziehungsweise besungen hat. Da kommt schon allerhand zusammen an Programm, und so konnten die drei Ladies nun für ihr finales Best-of-Programm richtig aus dem Vollen schöpfen. „Bye bye Honey Pie – Das Beste zum Schluss“ lautet der Titel ihres Abschiedsprogramms, bei dessen Premiere im voll besetzten Renitenztheater Annette Heiter, Susanne Schempp und Dorothee Götz das Publikum auf eine Zeitreise durch drei Jahrzehnte Honey-Pie-Historie mitgenommen haben. Zu ihrer Gründungszeit 1985 (damals noch mit Anke Sieloff als Sopranistin) waren heimische Jazzsängerinnen rar gesät – mit Jazztiteln und klassischen Broadwaynummern wie „Sunny Side of the Street“ oder „Somewhere over the rainbow“ stießen sie damals in eine Marktlücke, die mittlerweile freiich längst geschlossen ist. Wenn Honey Pie heute solche Titel singt, wirkt das reichlich brav, ja, in Verbindung mit ihrer minimalistischen Bein-nach-rechts-Bein-nach-links-Choreografie sogar angestaubt. Allein damit hätten sie damals wohl nicht lange durchgehalten, doch die drei Damen haben eben mehr drauf: Witz und Bühnenpräsenz, dazu kommt das Talent zum Komponieren – und so war es ein kleiner, aber logischer Schritt zu dem, was man Musikkabarett nennt. In Nummern wie „Walter will Wellness“, „Spülen“ oder „Wir waren zehn an der Zahl“ kleideten sie Zeitgeistiges und allerlei Alltagskram in Form humoristischer Vokalarrangements und lagen damit voll im Trend. Zum Glück zählt auch Selbstironie zu ihren Qualitäten. Die beweisen sie nicht nur in den launigen Moderationen, sondern auch in Songs wie der Hymne aller (falschen) Blondinen, einer Eloge auf das Bleichmittel Wasserstoffperoxid. So geht es Schlag auf Schlag, der Pianist Bernhard Birk ist ihnen eine mehr als solide pianistische Stütze, und in den Zugaben zeigen die drei nochmal, was sie sängerisch draufhaben: „Operator“, in dem Dorothee Götz mal richtig aufdreht, haben auch Manhattan Transfer nicht fetziger hingelegt. Eigentlich schade, dass es damit nun aus sein soll – wobei: das kann schon noch ein bisschen dauern. 2016 soll das Abschiedsprogramm auf jeden Fall noch gespielt werden. Danach, so heißt es, werde man sehen.  (StZ)

Das Neujahrskonzert der Stuttgarter Philharmoniker

03.
Jan.
2016

Schulterfrei geht´s besser

Das Neujahrskonzert der Stuttgarter Philharmoniker

Bei Silvester- und Neujahrskonzerten darf es gern mal etwas lockerer zugehen als innerhalb des sinfonischen Normalbetriebs. Der Dirigent Nicholas Milton trug am Neujahrsabend zwar ebenso förmlich Frack wie die Musiker der Stuttgarter Philharmoniker, erwies sich aber als launiger Conferencier, der mit Charme und Witz durch das Programm führte. Dabei war er merklich in ebenso leicht aufgekratzter Post-Silvesterstimmung wie das Publikum, das sich vermutlich freute, statt Grieg und Brahms mal Gershwin und Bernstein hören zu können. Zu Recht, denn das ist einfach tolle Musik. Müsste man darauf wetten, was in, sagen wir: hundert Jahren, noch gespielt werden wird von der Musik des 20. Jahrhunderts – vieles spräche für „West Side Story“ und „Porgy and Bess“. Falls es bis dahin überhaupt noch Orchester gibt.
Konzerte wie dieses dürften auf jeden Fall dazu beitragen, denn so spielfreudig und mitreißend wie an diesem Abend hat man die Philharmoniker selten gehört. Das groovte, dass es eine Freude war, dazu ein Klang wie aus einem Guss, gekrönt durch fabelhafte Bläsersoli! Ja, und dieser Nicholas Milton hat offenbar ein Händchen für Stücke wie die Ouvertüre aus „West Side Story“und ihre unvergänglichen Melodien wie „Tonight“ oder „Somewhere“, die er elegant und mit großer Geste ausspielen ließ und dabei das Tempo elastisch im Fluss hielt. Arturo Marquez´ „Danzón Nr.2“ wurde durch Gustavo Dudamel und sein Jugendorchester bekannt, die es aber wohl nicht derart funkensprühend gespielt haben wie an diesem Abend die Philharmoniker, eine kleine rhythmische Klippe im Zusammenspiel sicher umschiffend. Großartig auch die Orchesteradaptionen von Gershwins „The Man I Love“ und „Someone To Watch Over Me“ wie der Brasilienohrwurm „Tico Tico“. Und dann kam sie: Angela Denoke. Über ihre Qualitäten als Sopranistin muss man nicht reden, doch bei den Songs aus Bernsteins „West Side Story“ tat sie sich erstmal schwer. Trotz ebenmäßiger Legatobögen und Vokalformung fehlte da eine gewisse Erdigkeit, ein Hauch Broadway – mit klassischer Technik allein wird man dieser Musik nicht gerecht, und das schien auch Angela Denoke zu spüren, der eine leicht angestrengte Befangenheit anzumerken war.
Die hatte sie dann aber nach der Pause ebenso abgelegt wie das Hängerchenkleid, das sie gegen ein schulterfreies tauschte. Und siehe da: bei Friedrich Hollaenders „Ich bin von Kopf bis Fuß“ oder „Ich weiß nicht zu wem ich gehöre“ wirkte sie wie befreit. Mit Mut zum diseusenhaften Parlando traf sie den Tonfall dieser Liedklassiker, blickte dabei den Herrn in den vorderen Reihen tief in die Augen, um hernach des Konzertmeisters Haar zu tätscheln. Der war davon zum Glück nicht nachhaltig irritiert: In Bernsteins „Sinfonischen Tänzen“ aus der West Side Story agierte er so souverän wie seine Kollegen. Drei Zugaben, Ovationen. (StZ)