Beiträge im Archiv Juni 2020

Mozarts Oper „Die Zauberflöte“ auf dem Kulturwasen

28.
Jun.
2020

Iron Mozart

Gegen 19 Uhr lugt schon wieder die Sonne durch die Wolken über dem Cannstatter Wasen. Der Regen hat sich verzogen, zum Glück. Denn nicht nur können prasselnde Tropfen auf dem Autodach das Hörvergnügen empfindlich beeinträchtigen, auch die Liegestühle vor der Bühne, aufgestellt, um auch nichtmotorisierten Opernfreunden den Besuch zu ermöglichen, hätten im Niederschlagsfall deutlich an Attraktivität verloren. Mozarts „Die Zauberflöte“ist die zweite Produktion der Staatsoper Stuttgart auf dem Kulturwasen. Mit Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“ hatte man, nach drei Monaten coronabedingter Zwangspause, Anfang Juni den ersten Versuch gestartet, im Autokinomodus Oper zu machen. Im Vergleich dazu ist diesmal der Wasen deutlich besser mit Autos gefüllt, was wohl vor allem daran liegen dürfte, dass „Die Zauberflöte“ statistisch immer noch als die beliebteste Oper überhaupt gilt.
Um diese sowohl autokino- als auch coronatauglich zu machen, waren einige Eingriffe nötig. Pausen sind auf dem Kulturwasen nicht erlaubt, und so hatte man die im Original drei Stunden dauernde Oper auf knapp die Hälfte zusammengestrichen. Das musizierende Personal wurde auf das Notwendigste reduziert: sieben Sänger, dazu ein Pianist (bravourös: Thomas Guggeis), der den Orchesterpart übernimmt und gleichzeitig die Bühne koordiniert. Auch das Bühnenbild wurde unterm Diktat der Abstandsregeln entwickelt. Gerade beim Singen werden, wie man weiß, verstärkt Aerosole freigesetzt, und so spielt die Oper in einer Art zweistöckigem Wohnheim mit nach vorne geöffneten, gegeneinander durch semitransparente Folien getrennten Zimmern. Kommunizieren können die Sänger also nur indirekt, Ortswechsel sind gar nicht möglich. Das ist ein bisschen so, als spielten die Sänger die Oper quasi-konzertant nach, was die Imaginationsfähigkeit der Zuschauer auf eine gehörige Probe stellt. Dass die Handlung im ersten Akt vom Reich der Königin der Nacht in Sarastros Palast wechselt, bekommt nur mit, wer den Opernplot kennt. Im zweiten Akt mit den Prüfungen Taminos, Paminas Selbstmordabsichten und vor allem dem schon im Original schwer verständlichen Finale mit dem unvermittelten Happy End wird es erst recht verwirrend.
Das weiß auch die Regisseurin Rebecca Bienek, die versucht hat, den in ihren Buden festsitzenden Protagonisten dafür ein möglichst scharfes Profil zu verleihen und daraus dramaturgische Funken zu schlagen. Es sind allesamt Chargen, schräge Vögel: Monostatos (Heinz Göhrig) ist hier mal kein Mohr, sondern ein Biedermann im Vertreteranzug (Kostüme: Astrid Eisenberger), Sarastro (Michael Nagl) ein blondierter Lackaffe mit Goldkettchen. Der leicht abgerissene Papageno (Johannes Kammler) passt pefekt zu seiner Papagena (Aoife Gibney). Pamina (Josefin Feiler) wurde als angepunkte Göre mit löchriger Strumpfhose ausgestattet, die die meiste Zeit auf ihrem Bett lümmelt, während sie sich mit ihrer Mutter, der hysterisch-mondänen Königin der Nacht (Beate Ritter), via Smartphone unterhält. Dass Tamino ein Prinz ist, vermittelt sich durch die Kronenmotive seiner Tapete, sein musikalischer Geschmack ist eher von der härteren Sorte: „Iron Mozart“ steht auf seinem T-Shirt. Kleine, selbstreferentielle Scherze dieser Art gibt es einige in dieser Produktion, die man angesichts der widrigen Umstände als insgesamt doch sehr gelungen bezeichnen kann. Die Kürzungen sind, wenn man von einigen Holprigkeiten im zweiten Akt absieht, geschickt gemacht, die Kameraregie – man verfolgt ja das Geschehen auf einem riesigen LED-Bildschirm neben der Bühne – ist hochprofessionell.
Doch vor allem ist da ja noch: Mozarts geniale Musik. Die bekannten Arien, von „Dies Bildnis ist bezaubernd schön“ bis zur Rachearie der Königin der Nacht, man hört sie alle an diesem Abend. Und sie werden, das vermittelt sich selbst über das Autoradio, auch überwiegend großartig gesungen, wobei dann doch Kai Kluge als Tamino zu erwähnen wäre: ein Mozarttenor der feinsten Sorte, dessen Timbre etwas an den großen Fritz Wunderlich erinnert.
Und so verfliegen die knapp 90 Minuten flugs und unterhaltsam an diesem vom Publikum am Ende minutenlang gefeierten Abend. Das Verlangen nach richtiger Oper aber wurde dann doch eher geweckt, als dass es hätte gestillt werden können.

„Die Pochers hier!“ auf dem Kulturwasen

14.
Jun.
2020

Wasendisco mit Olli

Gegen Viertel nach Neun rückt der Servicemann an, eine Autobatterie hat schlappgemacht. Zwei Stunden Radiobetrieb, das kann betagte Akkus schon mal in die Knie zwingen. 106,8 ist die UKW-Frequenz, die man einstellen muss, um auf dem Kulturwasen den Ton von der Bühne hören zu können, auf der Oliver Pocher und seine Frau Amira ihren Podcast aufzeichnen. Mit um die 1000 Autos ist der Wasen ausverkauft. Wer weiter hinten geparkt hat auf dem riesigen Areal, kann das auf einem Sofa sitzende Ehepaar Pocher praktisch nur auf dem riesigen Bildschirm neben der Bühne sehen. Bild vom Monitor, Ton über Lautsprecher – da könnte man fragen, was das Ganze eigentlich noch von einem Fernsehabend unterscheidet. Das weiß auch Pocher, der deshalb zum Warming-up mit einem E-Roller durch die Reihen kurvt und sich auf einem Autodach stehend knipsen lässt.
Seine Beliebtheit verdankt Pocher vor allem seiner Präsenz in sozialen Medien, die Zahl seiner Follower auf Instagram geht in die Millionen. Besonders beliebt sind die Clips, auf denen er Influencer- und Promibashing betreibt, und so bestreitet er auch einen Großteil dieses Abends damit, über Ex-Bacheloretten wie Yeliz Koc oder sogenannte Instragram-Muttis wie Janine Wiggert herzuziehen. Allerdings ähneln sich deren Online-Inszenierungen letztlich so sehr wie die mögliche Kritik daran, was auch Pocher auffällt: „Das ist doch immer dieselbe Kacke!“ Amira fragt sich, was „die Lebensleistung“ dieser Leute sei, die doch den ganzen Tag nichts täten als schminken und posieren. Im Gegensatz zu ihnen: „Wir machen ja noch Sendungen auf RTL“.
Die Eheleute Pocher, das merkt man, sind ein eingespieltes Team, Dispute über Geschmacksfragen („Immer musst Du was rauspicken bei meinem Outfit!“) wirken ebenso souverän inszeniert wie das gemeinsame Ablästern über Pochers Lieblingsfeind Michael Wendler. Als dann der Überraschungsgast auf die Bühne kommt, die Tänzerin und Jurorin der RTL-Show „Let´s dance“, Motsi Mabuse, redet man aus aktuellem Anlass etwas über Rassismus, bevor es zum Finale Musik aus der Konserve gibt. Die Wasendisco mit Olli startet mit „Lambada“. Motsi Mabuse schwingt die Hüften, noch batteriestarke Autos klinken sich warnblinkleuchtend mit ein. Oliver Pocher erklimmt abermals ein Dach. „Baby One more Time“ singt Britney Spears zum Abschied, das passt: am 15. August sind die Pochers wieder auf dem Kulturwasen.