Beiträge der Kategorie ‘Medienkritik’

Die SWR1 Hitparade. Oldies in der Endlosschleife

23.
Okt.
2017

Montag morgen um fünf Uhr war der Startschuss mit Platz 1070: Mike Oldfields „Shadow on the Wall“, und von nun an geht es nonstop durch bis zum kommenden Freitag, wenn bei der Finalparty der SWR1 Hitparade in der ausverkauften Schleyerhalle gegen 21.50 Uhr der Siegertitel bekanntgegeben wird. Das wird, wie immer, „Stairway to heaven“ von Led Zeppelin sein, gefolgt von Queens „Bohemian Rhapsody“ und „Child in time“ von Deep Purple. Alles andere wäre eine kleine Sensation. Nur einmal, 2013, landete Queen auf dem ersten Platz, knapp vor Led Zeppelin – was die Fans der bereits 1980 aufgelösten Band in den folgenden Jahren verstärkt zur Abstimmung angestachelt haben dürfte. Seitdem ist die alte Ordnung wieder hergestellt.
Der Ausgang der SWR1 Hitparade ist, zumindest was die Siegertitel anbelangt, ungefähr so spannend wie Tischtennisweltmeisterschaften mit chinesischer Beteiligung. Auch wenn saisonbedingt mal der ein oder aktuelle Hit wie Helene Fischers „Atemlos“ (in diesem Jahr vermutlich Luis Fonsis Sommerhit „Despacito“) in die oberen Ränge gespült wird: das Gros der Titel besteht aus jenem Basisrepertoire von Oldies, das von SWR1 tagein, tagaus in einer Art Endlosschleife durchgenudelt wird, von ABBA bis Billy Joel, von Phil Collins bis zu den Eagles. Der Hörerbegeisterung tut dies keinerlei Abbruch, im Gegenteil: In der Berechenbarkeit besteht die Attraktivität nicht nur der Hitparade, sondern des Senders SWR1 insgesamt. Das Publikum, so SWR1-Redakteur Maik Schieber, der auch öffentliche Veranstaltungen moderiert, reagiere regelrecht verwundert, wenn man einen Titel spiele, der kein bekannter Hit sei. Zwar werden seit Anfang Juli, wo das Programm für Baden-Württemberg nicht mehr aus Baden-Baden, sondern aus Stuttgart kommt, nach 20 Uhr auch vermehrt Stücke jenseits des Mainstreams gespielt. Dennoch bildet die Musik der 70er und 80er Jahre den Markenkern von SWR1, dessen avisierte Zielgruppe in dieser Zeit musikalisch sozialisiert worden ist. Es war die Zeit der alten Bundesrepublik, in der Popmusik für Heranwachsende eine viel größere Bedeutung hatte als heute. Eltern waren in der Regel spießig und nicht cool. Lange Haare galten ebenso als Zeichen der Rebellion wie Rockmusik, und wo sich heute Jugendliche in ihrer Freizeit mit Snapchat und Youtube die Zeit am Smartphone vertreiben, ging man damals ins Jugendhaus, wo man Selbstgedrehte rauchte. Es war die Generation der Babyboomer, die anders sein wollten als ihre Eltern, und Rock lieferte ihr dafür das Rollenmodell, wobei das Spektrum der musikalischen Stile zwischen John Denver und AC/DC für jeden Charakter etwas Passendes bereithielt.
Dass der Revoluzzergestus des Rock im Modus der SWR1 Dauerberieselung zur Pose verkümmert ist, dass, was einst gefährlich war, heute gemütlich ist, hat mit dem gesellschaftlichen Wandel zu tun. Wer in den 70ern und 80ern jung war, hatte praktisch eine Gewähr auf einen festen Job. Die Welt war überschaubar, der Eiserne Vorhang noch geschlossen, China war keine ökonomische Weltmacht und der Anpassungsdruck für den Einzelnen so schwach, dass man sich ein bisschen Rebellion gut leisten konnte. Wenn es schief ging, trampte man halt nach Berlin und lebte dort billig in einer WG.
Globalisierung und Digitalisierung haben damit gründlich aufgeräumt. Das Leben ist heute weniger berechenbar geworden. Wer nicht aufpasst, landet nach 18 Monaten Arbeitslosigkeit in Hartz 4 und läuft Gefahr, unter die Räder zu kommen.
So sind Oldieparties wie die am Samstag in der Schleyerhalle auch eine Art Retroveranstaltung für die Generation 50plus, die dabei nostalgisch auf jene guten alten Zeiten zurückblickt, in denen ein Gitarrensolo noch eine unverhohlene Darstellung sexueller Potenz sein durfte und das Verwüsten von Hotelzimmern zu den Grundkompetenzen von Rockmusikern zählte. Auch wenn man selber wenig später den ersten Bausparvertrag abgeschlossen hatte und heute das Reihenhaus abbezahlt ist. Man hat da, im Rückblick gesehen, vielleicht doch ziemlich Glück gehabt.

Das „Dvorák-Experiment“ der ARD

19.
Sep.
2014

Rock me Antonin

Die Zahlen lesen sich beeindruckend. 363 Schulen mit über 22 000 Schülern haben mitgemacht beim „Dvorák-Experiment“ der ARD. Haben über die neunte Sinfonie des Tschechen Filmchen gedreht, Pantomimen einstudiert, gerappt und gerockt. In jedem Bundesland waren die Sender aktiv. Im Saarland tauchten Mitglieder des SR-Orchesters in „flashmob“-Manier in einer Schule auf, das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin veranstaltete einen Remix-Wettbewerb „INTO A NEW WORLD – dvorák 24 loops“. Zum Abschluss nun wurde gestern ein Konzert des von Thomas Hengelbrock geleiteten NDR-Sinfonieorchesters mit Dvoráks Neunter von allen ARD-Anstalten und Kultursendern als Video-Livestream in die Klassenzimmer der Republik übertragen.
Und wozu das alles? Um, wie man sagt, Kinder und Jugendlichen klassische Musik „nahezubringen“. Denn die Orchester fürchten um ihre Zukunft. Nicht, was den Musikernachwuchs, aber was ihr Publikum anbelangt: denn Jugendliche gehen immer seltener in klassische Konzerte. Gegen gut gemeinte Veranstaltungen wie diese kann man also wenig sagen – gut möglich, dass der ein oder andere dadurch mit dem E-Musik-Virus infiziert worden ist. Schön wär´s.
Ob Dvoráks Musik aber Interesse weckt, weil sie, wie es die ARD-Berichterstattung suggeriert, „cool“ ist und „rockt“, darf man beweifeln. Man kann sich mit DJs und „Dvorák-Lounges“ noch so zeitgeistig geben, klassische Musik in puncto Hipness gegen Cro oder Tokio Hotel in Stellung zu bringen, wirkt ebenso peinlich wie Thomas Hengelbrocks Antwort auf die Frage der Moderatorin, warum die Musiker denn diese Fräcke trügen: Na, die wären eben so bequem! Sowas ist gefährlich – merken Kinder doch ganz genau, wenn Erwachsene versuchen, sich anzubiedern. Stattdessen könnte man darauf vertrauen, dass Kinder ein Sensorium dafür entwickeln können, was die Beschäftigung mit klassischer Musik so beglückend machen kann: Schönheit und Trost etwa. Am besten gelingt das, wenn sie selber ein Instrument spielen. Dazu brauchen sie auch keine Lounge. (StZ)

Die RTL-Serie „Team Wallraff – Reporter undercover“

22.
Mai.
2014

„Ganz unten“ heißt ein Buch aus den 80er Jahren, in dem Günter Wallraff, verkleidet als Türke Ali, die Arbeitsbedingungen in den Billiglohnzonen der deutschen Wirtschaft dokumentierte. Danach wurde einiges besser, seit einigen Jahren aber kehrt sich der Trend wieder um: Ein Viertel aller Beschäftigten arbeitet heute im sogenannten Niedriglohnsektor. Dazu zählen auch jene in der sogenannten Sicherheitsbranche, in der Wallraff und sein Team in der vierten (und vorerst letzten) Folge der RTL-Reihe recherchiert haben. 250 000 Menschen arbeiten in Deutschland bei privaten Sicherheitsdiensten, die unter anderem auch Behörden wie das Job-Center in Frankfurt bewachen. Und auch hier verdienen die Wachleute so wenig, dass sie ihr Gehalt durch HartzIV aufstocken lassen müssen – das Job-Center produziert also seine eigene Kundschaft! Gar selber zum Sicherheitsrisiko wird die Sicherheitsbranche bei den Geldtransporten. Wie in der Sendung mit versteckter Kamera gezeigt wurde, erhalten die Fahrer nach Absolvierung eines Schnellkurses scharfe Waffen, mit denen die meisten im Ernstfall überhaupt nicht umgehen können. Für ihre gefährliche Tätigkeit verdienen sie dann knapp acht Euro in der Stunde, transportieren müssen sie die wertvolle Fracht in zum Teil schrottreifen Fahrzeigen, weil die Werttransportunternehmen Investitonen scheuen.
Auch in den Sendungen davor hat Günter Wallraff den Finger in jene Wunden gelegt, die unsere auf Kosteneffizienz getrimmte Marktwirtschaft bei jenen hinterlässt, die das Pech haben, in der Arbeitshierarchie unten zu stehen. Wie die Angestellten in der Schnellrestaurantkette Burger King. Zwei eingeschleuste Mitarbeiter legten dort nicht nur katastrophale Arbeitsbedingungen offen, sondern auch reihenweise Verstöße gegen Hygienevorschriften. So wurden Salat und Gemüse nach Ablauf der vorgeschriebenen maximalen Lagerzeit nicht entsorgt, sondern einfach umetikettiert, das gleiche passierte mit Buletten in der Warmhaltebox. Ein Fall für die Lebensmittelaufsicht – wer aber ehrlich mit sich ist, dem dürfte eigentlich klar sein, dass in einem Billigrestaurant, in dem man für einen „Rodeo Burger“ 1,49 Euro bezahlt, weder Mitarbeiter anständig entlohnt werden können noch vermutlich mit Vorschriften penibel umgegangen wird. Etwas irritierend war auch der reißerische Erzählstil mit der spannungsheischenden Musik im Hintergrund, während Wallraff selber mit strengem Ermittlerblick via Laptop im Hintergrund die Fäden zog. Die „spontanen“ Anweisungen, die er dabei seinem Team gab, erinnerten mitunter an schlechte Krimidrehbücher. „Da solltet ihr mal Proben nehmen!“ instruierte er seinen Undercover-Assistenten angesichts der bei Burger King ans Licht gekommenen Zustände in der Küche. Na, darauf muss man erst mal kommen, ebenso darauf, diese dann zur Untersuchung an ein Hygiene-Institut zu schicken!
Sehr nachdenklich konnte man in der nächsten Sendung werden, für die Wallraff eine Mitarbeiterin mit versteckter Kamera als Praktikantin in zwei gut beleumundeten deutschen Pflegeheimen anheuern ließ. Wie geht unsere Gesellschaft mit Bürgern um, die keinen Mehrwert versprechen, sondern nur noch Kosten verursachen? Hamburger muss keiner essen, aber alt wird (fast) jeder – und was einem dann blühen kann, deckte diese Sendung in erschütternder Weise auf. Man kann darüber diskutieren, inwieweit die Würde jener verletzt wird, die mit versteckter Kamera gefilmt wurden. Mit der Würde alter Menschen in Pflegeheimen, die dort von überforderten Pflegekräften fast wie Vieh behandelt werden, ist es jedenfalls nicht weit her. In einem Münchner Stift hatten sich in der Frühschicht drei Pfleger um 37 Bewohner zu kümmern, genau siebeneinhalb Minuten durfte bei jedem der Senioren Wecken, Waschen und Füttern dauern. Manche lagen stundenlang in einem durchnässten Bett, und außer einer Grundversorgung hatte man dort als Insasse nichts mehr zu erwarten als den Tod. Sie wolle sterben, sagt eine alte Frau, dann werde es endlich still. In einem Berliner Heim brach das Novovirus aus, doch die Stationsleitung untersagte es den Mitarbeitern, das Gesundheitsamt zu informieren. Es hätte den Betrieb durcheinandergebracht.
Die Betrugsmasche, in die sich der als gebrechlicher Russenopa Waldemar verkleidete Wallraff zum Schein von einem Berliner Pflegedienst einspinnen ließ, hatte in ihrer gut gelaunten Dreistigkeit dagegen fast etwas Tröstliches.
Tatsächlich hatten die Sendungen bereits Konsequenzen. „Burger King unterstützt die Neustrukturierung personell“ übertitel die Fast-Food-Kette auf Ihrer Homepage die Mitteilung, dass der bisherige Geschäftsführer Ergün Yildiz nach Wallraffs Recherchen zurückgetreten sei. Außerdem bedauere man „zutiefst, das Vertrauen unserer Gäste enttäuscht zu haben“. Für den Sender RTL, der sich bislang im Bereich investigativen Journalismus nicht eben profiliert hat, war die Serie nicht nur ein Imagegewinn, sondern auch ein Quotenrenner. 16,3 Prozent schalteten die Folge über die Pflegeheime ein, mehr als den Dauerbrenner „Wer wird Millionär“. A propos Millionär: Seit letztem Jahr leben in Deutschland erstmals mehr als eine Million Millionäre, Tendenz steigend. Es gibt auch die andere Seite: Ganz oben. (StZ)

Internetradio – Ein Erfahrungsbericht

13.
Sep.
2012

 

Argon iNet3+

Cannelloni mit Canzone

Mit dem Internetradio wird das Radiohören global

Ein Erfahrungsbericht 

Ich wohne im Funkloch. Mobil telefonieren kann man bei uns ausschließlich im D2-Netz, Ultrakurzwellen dringen nur von kräftigen Sendern wie SWR3 oder Antenne1 in ausreichender Feldstärke ins Haus. Für zartere Signale wie die von SWR2 oder Deutschlandradio Kultur dagegen scheint der hinter der Terrasse steil ansteigende Hang ein überwindbares Hindernis zu sein: UKW-Empfang ohne Rauschen und Britzeln gibt es nur selten, Radiohören beschränkte sich bei mir deshalb weitgehend aufs Auto – und auch nur, wenn keine passende CD zur Hand war. Denn der Radioempfang im Fahrzeug ist zwar besser, aber das Hören klassischer Musik macht mit obligatem Motorgebrumm nicht wirklich Spaß.

Doch was soll man sonst hören? Wer einen Musikgeschmack besitzt, der nur ein klein wenig abseits des Mainstreams angesiedelt ist und sich neben E-Musik etwa für Weltmusik, Jazz, aber auch Pop und Rock jenseits von Chartsgedudel und Oldie-Dauerberieselung interessiert, für den bedeutet jeder UKW-Sendersuchlauf eine mission impossible.

Doch zumindet, was den Heimempfang anbelangt, haben sich bei uns zuhause die Verhältnisse jetzt grundlegend geändert, und das liegt an dem brandneuen Stereo-Internetradio iNet3+ der dänischen Firma Argon, das seit ein paar Wochen den Platz des Tivoli Model One in unserer Küche eingenommen hat. Während letzeres aufgrund seiner rudimentären Ausstattung (keine Festsendertasten) und der beschriebenen miserablen UKW-Empfangslage nur noch als Ablagefläche diente, sind wir dank des auch optisch ansprechenden Argon (neben diversen Holzfurnieren ist es auch mit schwarzer und weißer Lackoberfläche erhältlich) mittlerweile musikalisch komplett globalisiert: Senderreichweiten spielen keine Rolle mehr. Auf die Bitte meiner achtjährigen Tochter nach „Bauchtanzmusik“ etwa drücke ich die Festsendertaste 3, worauf im Display „Radio Casablanca“ erscheint, einer unserer neuen Lieblingssender. Der spielt arabisch angehauchten Pop, und man kommt sich dabei vor, als säße man in einem Maghreb-Restaurant: Eigentlich wäre es keine schlechte Idee, abends mal wieder Couscous zu kochen.

Gastro-musikalische Anknüpfungspunkte wie diese lassen sich nach Belieben finden. Gibt es italienisches Essen, dann stelle ich gern einen süditalienischen Schmonzettensender wie „Radio Naples“ oder „Radio Sorrento“ ein – neapolitanische Canzone zu Cannelloni al forno – herrlich! Wer´s lieber griechisch mag, für den wäre „XP Radio Xoreytika“ aus Athen ein Tipp, und wer zum Barbecue den richtigen Sound sucht, der kann sich einen der unzähligen Sender einstellen, die rund um die Uhr Country&Western spielen

Allein in Deutschland gibt es über 3000 Webradioprogramme, die Anzahl der weltweiten Angebote ist kaum zu übersehen – manche schätzen sie über 50 000 – und darunter findet man Spartensender für wirklich jeden Geschmack. Die einen spielen nur Reggae, die anderen ausschließlich Tango, Big Band Jazz oder Salsa – die Auswahl ist grenzenlos. Eskapismus aller Art lässt sich mit dem Internetradio trefflich bedienen, ja, selbst für die aberwitzigsten musikalischen Vorlieben findet sich noch das passende Angebot. Bei „Mein Weihnachtsradio“ ist, frei nach Heinrich Böll, jeden Tag im Jahr Bescherung. Es gibt Sender für Mittelalterrock und Schihüttenmusik, „Recorder Radio“ spielt nur Blockgeflötetes, das „Radio der von Neil Young Getöteten“, inspiriert von dem gleichnamigen Buch Navid Kermanis, nur Musik, die Neil Young gefallen haben könnte. Schichtarbeiter können sich mit dem „Schlaflieder Radio“ zu jeder Tages- und Nachtzeit einlullen lassen.

Die Einrichtung des iNet3+ ist einfach, Voraussetzung ist nur ein ausreichend starkes WLAN-Netz. Man gibt das Kennwort ein und hat dann über das Portal von Frontier Silicon und ein Menüsystem Zugriff auf eine Auswahl von über 15000 Sendern und Podcasts. Das Menü ist nach Ländern, Genres und Beliebtheit geordnet, mittels Sucheingabe lässt sich gezielt nach einzelnen Sendern fahnden. Praktisch auch, dass man auf die Podcastangebote der Sender direkt zugreifen kann. Das „SWR2-Forum“ verpasst? Kein Problem, über das Sendermenü kann man es auch Tage später noch problemlos abrufen und dann hören, wenn man Zeit hat. Und wer zwischendurch mal was erledigen muss, drückt einfach die Pausentaste, wie beim CD-Spieler. Mehr Komfort gab es noch nie.

Kein Zweifel, dem Internetradio gehört die Zukunft – gut möglich, dass das zurzeit heiß diskutierte DAB-Radio damit obsolet wird, bevor es überhaupt flächendeckend eingeführt ist. Die sogenannten Online Only-Sender, die ausschließlich im Internet zu empfangen sind, bilden dabei mit 82 Prozent das größte Angebot im Netz, die Live-Streams der UKW-Radiosender machen etwa 13 Prozent aller Webradios aus. Dazu kommen Online-Submarken von UKW-Sendern mit Themenchannels wie Energy RnB oder FFH Lovesongs, auch die anteilsmäßig kleine (0,5 Prozent), aber wichtige Gruppe personalisierter Musik-Streaming-Dienste wie Spotify, laut.fm, simfy oder Last.fm. zählen dazu.

Die Klangqualität im Web ist schwankend: manche klingen arg dünn, andere bieten auch im Stereomodus ein sattes Signal, die Bitraten reichen von etwa 24 bis 192kbit/s – damit kommen sie schon an gute UKW-Signale heran. Kein Wunder also, dass die Nutzerzahlen von Webradio jährlich steigen. Und wenn bislang die computeraffine junge Generation den Löwenanteil der Hörer stellt, so wird Webradio mit neuen Geräten wie dem iNet3+ oder dem Tivoli Networks, die auch normales UKW und DAB empfangen können, zunehmend auch für weniger technikaffine Hörer interessant. Auch die mobile Nutzung im Auto ist nur noch eine Frage der Zeit. Auf den CD-Player dort kann man dann wohl verzichten.

 

Info

Wer Webradio hören will, benötigt dazu einen Breitband-Internetanschluss, z.B. über DSL oder Kabel. Sinnvoll ist außerdem eine Flatrate, da der Onlinestream einen erheblichen Datenverbrauch verursacht. Über einen WLAN-Router wird die Verbindung zum Netzwerk hergestellt, der PC muss dazu nicht eingeschaltet sein. Internetradios gibt es von verschiedenen Firmen wie Philips, Grundig, Noxon oder Telefunken, die Preisspanne reicht von etwa 60 bis 700 Euro. Neben Webradio kann man damit je nach Ausstattung auch DAB und UKW empfangen. Stereowiedergabe bieten bislang nur wenige Webradios, etwa das beschriebene Argon iNet3+: Es kostet ab 299.- (in Stuttgart erhältlich bei Graf Hören und Sehen).

 

 

Reporter auf der Jagd

25.
Okt.
2010

Dauererigierte Mikrofone in Fernsehmagazinen

Reporter auf der Jagd

Man muss ja heute schon froh sein, wenn man keine Leiharbeiter beschäftigt. Falls man dazu noch die Chuzpe besitzt, ein Cabrio zu fahren, kann es einem nämlich passieren, dass man an einer roten Ampel plötzlich von Reportern überfallen wird, die einem Fragen zu Lohnabrechnungen stellen. So geschehen vor einigen Wochen auf RTL. Oder war es SAT1? Ja, man kann da schon ein bisschen durcheinanderkommen bei all dem investigativen Furor, der da seit einiger Zeit im Abendprogramm Brisanz vortäuschen soll. Anstatt Fakten und Argumente abzuwägen, setzt man in den entsprechenden Magazinen lieber auf die kamerabegleitete Ermittlungsarbeit vor Ort. Dass es um das Aufdecken von gesellschaftlich relevanten Missständen gehe, wird dabei gerne vorgeschoben – bei näherer Betrachtung scheint es eher darum zu gehen, Vorurteile zu bestätigen und Stimmungen zu bedienen. Sündenböcke sind in der Regel die üblichen Verdächtigen aus Wirtschaft, Industrie und Politik:  Magazinjournalismus als Beschwichtigungsprogramm für eine verunsicherte Gesellschaft, der das Grundgefühl von Gerechtigkeit abhanden gekommen ist. Klar: Wer für ein paar Euro in der Stunde arbeiten muss und sieht, wie sich gleichzeitig Manager und Banker die Taschen vollstopfen, für den bedeutet es eine gewisse Genugtuung, wenn abends im Fernsehen ein paar von denen da oben bloßgestellt werden.

So werden Abend für Abend große Strippenzieher und kleine Profiteure von dienstbeflissenen Reportern gejagt, deren Waffe das dauererigierte Mikrofon mit Senderaufdruck ist, das sie kampfbereit vor sich hertragen. Und wer einmal ihn die Fänge der Reporter geraten ist, hat schon fast verloren. Am schlimmsten trifft es in der Regel jene, die sich trauen, unvorbereitet vor laufender Kamera zu antworten. Dann kann es ihnen gehen wie am letzten Dienstag der Familienministerin Kristina Schröder, die sich in einem  offenbar spontanen Interview mühte, etwas Schlüssiges zum Thema Integration zu sagen, sich dabei leicht verhedderte und dafür anschließend in Frontal 21 gnadenlos durch den Kakao gezogen wurde. Dass auf den ihr entgegengehaltenenen Mikrofonen die Senderlogos der Öffentlich-Rechtlichen prangten, verleitete die naive Ministerin wohl zu den  Annahme, von derart renommierten Institutionen nicht in die Pfanne gehauen zu werden. Von wegen. Das freimütig gebenene Statement wurde samt Versprechern ungeschnitten gezeigt und von einem Sprecher im Off süffisant kommentiert. Hauptsache, man kann mal wieder über unsere Politiker lachen.

Wer schlauer ist, wie der Mann im Cabrio, sagt lieber gar nichts und braust einfach davon. Was ihm aber auch wenig nützt, bestätigt er damit doch den unausgesprochenen Grundverdacht: Wer flüchtet, hat was zu verbergen. Subtil aufgebaute Ressentiments tun ein Übriges, die Verdächtigen in ein schlechtes Licht zu rücken. „Die Geschäfte scheinen gut zu laufen“ raunte der Sprecher süffisant, als das Cabrio durchs Bild flitzte. Na, der muss doch Dreck am Stecken haben, wenn er so eine dicke Kiste fährt.

Und wenn man gar keine Schweinereien mehr finden kann, dann erfindet man einfach welche. In einer der letzten Ausgaben der ZDF-Sendung „Die Reporter“ ging  es (mal wieder) um Lebensmittel, genauer gesagt um Geschmacksverstärker. Der sogenannte Hefeextrakt ist in vielen Fertigprodukten enthalten und wirkt geschmacksverstärkend, ist aber kein Zusatzstoff und muss deshalb laut Lebensmittelrecht nicht als solcher deklariert werden. Eigentlich ist das ganz einfach. Die ZDF-Reporter aber bauschten es wild entschlossen zum

Skandal auf, für den Verantwortliche gesucht und  zur Rechenschaft gezogen werden mussten. Nachdem zunächst unschuldige Tütensuppenkäufer in einem Supermarkt  auf ihre Kenntnisse über Hefeextrakt befragt wurden – mit den erwartbaren Antworten – zog der Trupp weiter auf eine Lebensmittelmesse, um dort Suppenproduzenten mit dem unhaltbaren Zustand  zu konfrontieren. Die wiesen – wenig überraschend – auf das Lebensmittelrecht hin, worauf der wackere Reporter auf die riesige Firmenzentrale von Unilever in Hamburg zusteuerte. Da nimmt einer für die Verbraucher den Kampf mit der Großindustrie auf, sollten die respektheischend inszenierten Bilder sagen. Viel Aufwand für nichts: man wolle seitens der Firma keine Interviews vor laufender Kamera geben, resümierte der Reporter. Na, die werden schon ihre Gründe haben. Der Beitrag endete mit einem Überfall auf die Verbraucherministerin Ilse Aigner, die souverän konterte und ebenfalls auf geltendes Recht verwies, was den Reporter erst recht in Rage brachte. Bockig rief er ihr hinterher, sie solle doch nun bitte schön mal sagen, ob Hefeextrakt nun ein Geschmacksverstärker sei oder nicht, und ob er nun als solcher bezeichnet werden dürfe. „Jetzt geben Sie mir doch bitte mal ´ne Antwort, der Verbraucher möchte das doch wissen!“ Wenn er sich da mal bloß nicht täuscht. (Stuttgarter Zeitung)

 

Christian Rach und seine Restaurantschule auf RTL

25.
Sep.
2010

Kochen fürs Leben

Wenn nicht alles täuscht, waren die Ringe unter Christian Rachs Augen noch nie so tief. Bei seiner preisgekrönten Reihe „Rach, der Restauranttester“ ging es noch darum, schlechtlaufende Gaststätten wieder auf die Erfolgsspur zu bringen, indem er Speisekarten entrümpelte, das Ambiente auf Vordermann brachte und arbeitsscheue Köche bei ihrer Berufsehre packte. Mit seiner aktuellen Doku-Soap „Rachs Restaurantschule“, deren sechste Folge heute abend läuft, hat sich Rach aber ein waschechtes Sozialprojekt ans Bein gebunden, das auch den geduldigen Sterne-Koch immer wieder an den Rand der Verzweiflung treibt. Mit zwölf mehr oder weniger verkrachten Existenzen will er in Hamburg ein neues Restaurant eröffnen – wer sich in der von den RTL- Kameras begleiteten Praktikantenphase bewährt, bekommt einen Ausbildungsplatz in der Küche oder im Service.

Das Projekt lehnt sich an jenes des britischen Sternekochs Jamie Oliver an, der bereits im Jahr 2002 unter dem Namen „Fifteen“ ein Restaurant in London eröffnet hat, in dem er ebenfalls Jugendliche beschäftigt hatte, die auf die schiefe Bahn geraten waren. Unter dem Titel „Jamie’s Kitchen“ lief die Sendung auch im deutschen Fernsehen.

Anders als in seiner Mission als Restauranttester ist Rach dabei weniger als Koch denn als Erzieher gefragt. Mitunter mutet es an wie beim Militär, wenn er seine Rasselbande morgens zum Appell antreten lässt und kontrolliert, ob die Schürzen sauber und ordentlich gebügelt sind. Ohne Disziplin geht nichts – so lautet Rachs Botschaft an die Teilnehmer zwischen 17 und 44 Jahren, unter denen sich Hartz-IV-Empfänger, Obdachlose, Schulabbrecher, Kuscheltierfanatiker und Vorbestrafte befinden.

Rach will das Gute, aber ein Gutmensch, der für alles Verständnis hat, ist er nicht. Mit  Ausreden kann man ihm nicht kommen. Ex-Türsteher und Thaiboxer Collin, 28, erhält von ihm die gelbe Karte, als er mal wieder nicht rechtzeitig zum Dienstbeginn da ist und Probleme mit seiner Freundin vorschützt. Noch einmal, das macht ihm Rach klar, und er fliegt raus. Da scheint selbst der smarte Collin beeindruckt. Auch auf persönliche Befindlichkeiten und körperliche Defizite wird wenig Rücksicht genommen. Die schwer übergewichtige Rena, die früher gerne gegen halb zwölf aufzustehen pflegte,  scheucht er die Treppen rauf und runter, bis ihr der Schweiß auf der Stirn steht. Nicht ohne Erfolg: mittlerweile will Rena selber abnehmen und joggt in der knappen Freizeit an der Alster.

Dabei musste man nach der ersten Folgen skeptisch sein, ob Rachs Konzept aufgehen würde, allzu dürftig erschienen sowohl die kulinarischen wie die allgemeinen Kenntnisse der Bewerber. Manche konnten Sellerie nicht von Rhabarber unterscheiden, andere rätselten darüber, an welchem Fluss wohl Frankfurt am Main liegen könnte. Und als der siebzehnjährige Kandidat Nourddine aus Erfurt beim Getränketest Apfelsaft für Cola hielt, kam auch  Rach selber vorübergehend ins Grübeln.

Mittlerweile aber scheint die Taktik aus lobender Verstärkung, Einzelgesprächen und Standpauken vor versammelter Truppe Wirkung zu zeigen – ja, man kann berechtigte Hoffnungen haben, dass es möglich ist, durch diszipliniertes Gemüseschnippeln, Fischfiletieren und Bratenschmoren wieder auf die rechte Bahn zu kommen. In der vorigen Folge überraschten ihn seine schwer erziehbaren Jungs mit einem selbst kreierten Drei-Gänge-Menü, das dem Ex-Restauranttester sichtlich imponierte. Wie ein gestander Chefkoch mutet mittlerweile gar Ex-Knacki Tim an, der sich schon mit eigenen Rezeptkreationen wie „gekochter Apfel mit Balsamico-Schokoladen-Chili“ hervorgetan hat. Da freuen sich dann auch mal die Küchenchefs Frank Bertram und Hanno Hansch, denen Rach die Ausbildungsarbeit am Herd meist überlässt. Ansonsten werden die von den Kocheleven immer wieder an die Grenzen ihrer Leidensfähigkeit gebracht: wenn ein Praktikant mal wieder einen heißen Topf auf ein Plastikbrett gestellt oder ein edles Filet geschwärzt hat.

So interessant das Konzept ist, wirklich unterhaltsam ist es für den Zuschauer nur in beschränktem Maße: zum einen sieht man jeden Montag dieselben Gesichter, zum anderen kann einem die permanente Krisenstimmung, die „Großer-Gott-wo-soll-das-alles-enden“-Hysterie, die mittels dramatischer Musik und entsprechender Schnitte noch künstlich hochgespielt wird, ziemlich auf die Nerven gehen – kein Vergleich mit der konzentrierten Kurzweil seiner Restauranttester-Sendungen. Allerdings muss man Rach zugutehalten, dass er es ernst meint mit seinem Koch-Erziehungscamp. Er wolle „Leuten eine Perspektive bieten, die auf dem ersten Arbeitsmarkt sonst keine Chance hätten“, sagt Rach, und das nimmt man ihn ab. Und so manches in Rachs kulinarischer Lebensschule dürfte auch für die gemeinen Schnitzelesser unter den Zuschauern eine existenzielle Erfahrung sein. Innerhalb des Ausbildungsfachs Lebensmittelkunde machte Rachs Truppe in der vorigen Folge einen Ausflug in den Schlachthof und durfte mitansehen, wie ein Ochse getötet und zerlegt wird. Anders als in Videospielen spritzte da literweise echtes Blut. Einige der harten Jungs wurden da kreidebleich im Gesicht, manche wollten sich gar in den Nebenraum verdrücken. Aber so ist das nun mal: wer Fleisch essen will, muss töten (lassen). Schadet nicht, sich das gelegentlich klarzumachen. (Stuttgarter Zeitung)