Schumann alla Italiana
Wenn das Orchestra dell´Accademia Nazionale die Santa Cecilia beim Meisterkonzert im Beethovensaal im regulären Programm schon Mendelssohn und Schubert gespielt hatte, musste es – so dachte man sich während des Konzerts – doch wenigstens mit den Zugaben noch eine nationale Visitenkarte hinterlassen. Und so geschah es. Mozarts Ouverture zu „Le nozze di Figaro“ mag ein bisschen italienisch sein. Respighis „Italiana“ aus den „Antiche danze ed arie“ ist es dafür richtig.
Wobei sich Italianità schon vorher eingestellt hatte. Denn das von Antonio Pappano dirigierte Orchester verfügt nicht nur über einen dezent geschärfteren, strafferen Klang als die meisten deutschen Klangkörper. Es musiziert auch mit einer Haltung, bei der rhythmische Spannung und Kantabilität immer an erster Stelle stehen. Das wurde schon beim Eingangsstück, Beethovens selten gespielter Ouvertüre zu „König Stephan“ op. 117 deutlich, wo man Mühe hatte, die Füße stillzuhalten. Das folgende Violinkonzert e-Moll op. 64 von Mendelssohn war dann aber nichts weniger als eine (Neu-)definition jenes Begriffs, den der Komponist als Vortragsanweisung für das Allegro des ersten Satzes verwendet hat: Appassionato. Nun gilt Janine Jansen ohnehin schon als eine der emotionalsten Vertreterin ihres Fachs. Hier aber bot die niederländische Geigerin, befeuert von Pappano und den römischen Musikern, eine derart mitreißende, leidenschaftliche Wiedergabe dieses gern mal als „klassizistisch“ bezeichneten Stücks, dass einem – wieder einmal – begreiflich wurde, was „Romantik“ eigentlich bedeutet. Jansen spielte, als ginge es um ihr Leben, gleichermaßen mit heißem Herzen und kühlem Verstand, disponierte klug Entwicklungen und formte mit Hingabe Motive und Phrasen. Der Beifall war entsprechend, die Loure aus Bachs 3. Violinpartita als Zugabe ein – weiteres – Geschenk.
Nach der Pause dann Schumanns 1. Sinfonie B-Dur, die sogenannte „Frühlingssinfonie“, die hier so viel mediterrane Leichtigkeit und Lebendigkeit vermittelte, dass man sie auch mit „Primavera“ betiteln könnte: Kaum zu glauben, wie viel sich an Dramatik und theatral-opernhafter Gestik in diesem Werk verbirgt! Das Orchester mag nicht immer mit letzter Präzision spielen – Perfektion überlässt man gerne anderen. Was aber ein Beweglichkeit im Metrum, Temperament und Spielfreude bewirken können, machte dieses Konzert auf ziemlich überwältigende Weise deutlich. Grazie, Sir Pappano!
Nochmal der Karl-Heinz
Was macht der Schwabe, wenn er im Ausland weilt? Kehrwoche. „Bekannt wie ein bunter Hund“ sei der nach Portugal ausgewanderte Ex-Tuttlinger, so erzählt Christoph Sonntag zu Beginn seines neuen Programms „Wörldwaid“ im Theaterhaus. Habe der dort doch zum größten Erstaunen der Einheimischen die Straße gekehrt – und das, obwohl es doch gar nicht seine eigene ist! Tja, der Schwabe kann halt nicht aus seiner Haut, ebenso wenig wie Sonntag, der auf seiner zweistündigen Tour seine Pointen mit Vorliebe aus solch klischeehaften Zuspitzungen nationaler Eigenheiten zieht. Dass er dabei konsequent die Schwabenperspektive wahrt, vermittelt schon die Bühne im T1. Die ziert ein Flughafenterminal, dessen Schriftzug man eher von Stadtbahnstationen kennt: Bad Cannstatt. Vom imaginierten Neckarairport aus jedenfalls startet Sonntag seine Exkursion in die Kulturgeschichte des Reisens, und blickt dabei zunächst auf die Anfänge der Massenmobilität in den sechziger Jahren zurück. Damals sei es vor allem darum gegangen, dass einen die Verwandtschaft nach der Rückkehr staunend mit „Boah, seid ihr braun geworden“ begrüße. Heute sage man das nur noch zu den Verwandten aus Ostdeutschland.
Da johlt das Publikum, von dem sich die meisten auch noch an das mittlerweile ausgestorbene Ritual des Diaabends erinnern dürften: „Das ist wie eine Fotostory auf dem I-Phone. Bloß ohne Musik und Display, dafür auf dem Bettlaken vor der Wohnwand Eiche rustikal“. Bei diesem „stundenlangen optischen Waterboarding“ sei auch ein Satz entstanden, der „damals in Deutschland millionenfach wiederholt wurde: Und des isch nochmal der Karl-Heinz.“
So witzelt sich Sonntag durch die Epochen und Kontinente. Dass er dabei reichlich Vorurteile bedient und die Gürtellinie prinzipiell kein Stoppzeichen darstellt, wenn es darum geht, einen Pointenkracher zu setzen, weiß in der Regel jeder, der eine Veranstaltung mit Christoph Sonntag besucht. Despektierliche Auslassungen über Politiker wie Volker Bouffier („sieht aus wie einer von den Flippers nach dem Entzug“) bieten dennoch Anlass zum Fremdschämen, zumal Sonntag interessanterweise dann am stärksten ist, wenn er (selten) mal politisch wird: die Szene mit dem afrikanischen Tomatenpflücker, der aufgrund der Billigimporte aus Europa arbeitslos wird und daraufhin mit dem Schlauchboot nach Spanien paddelt, um dort wieder Tomaten zu ernten, wäre auch in der Heute-Show ein Highlight.
Nur Wiesen und Nazis
Mit 61, sagt Ingolf Lück, ist man nicht alt. Man ist höchstens Vintage. Und tatsächlich sieht man dem strubbeligen Schlaks in Jeans, Pulli und Turnschuhen nicht unbedingt an, dass er bereits seit über 40 Jahren auf der Bühne steht. Begonnen hatte alles in Bielefeld, wo Lück zu seinen Studentenzeiten als Schauspieler beim Frapp-Theater aufgetreten ist. Sein Durchbruch gelang ihm mit der Rolle des Anchorman in der SAT1-Sendung „Die Wochenshow“, wo er von 1996 bis 2002 zusammen mit Anke Engelke und Bastian Pastewka er das Zeitgeschehen parodierte. Man kann diese Jahre – parallel dazu lief in Pro Sieben Michael Herbigs „Bullyparade“ – als die goldene Ära der Fernsehcomedy bezeichnen. Viele von deren Protagonisten zehren wie Lück bis heute davon, und auch die meisten der Besucher im gut besuchten T2 des Theaterhauses dürften Lück noch aus dieser Zeit kennen – und sich mit angesprochen fühlen, als er auf die Begleiterscheinungen fortschreitenden Alters zu sprechen kommt. Etwa im Restaurant: da könne er jetzt zwischen Senioren- und Pinocchioteller wählen. Und beim Einkauf im REWE nehme ihm die Verkäuferin das Portemonnaie aus der Hand und zähle ihm die Groschen aufs Band. Aber alt? Nein, das ist man erst, „wenn man auf der Straße einem Mädel nachpfeift und die Passanten versuchen, dir die Atemwege freizuräumen.“
Lücks humoristische Methode ist die der gnadenlosen Übertreibung. Das funktioniert vor allem dann, wenn er archetypische Situationen aus dem Leben von Stadtbewohnern zuspitzt. Etwa die Anfrage von Bekannten, ob man nicht beim Umzug „am Sonntagmorgen zwei, drei Kistchen mittragen könne“. Bei 20-Jährigen ohne Kohle, so Lück, habe er dafür Verständnis. Aber bei 40-Jährigen, die einen dicken BMW fahren? „Du gehst arbeiten, bestell´ Dir ein Umzugsunternehmen!“, ruft er, und der brausende Applaus macht klar, dass vielen der Anwesenden die Situation bekannt vorkommt. Dann legt er nach. „Du kommst an, und außer Dir sind da zwei Leute. Der eine hat nur einen Arm, der andere sitzt im Rollstuhl, weil er beim letzten Umzug versucht hat, den Flügel ganz alleine zu tragen. Dann guckst du dich um, und merkst: die haben ja noch gar nichts eingepackt!“
Lustig sind auch Lücks Analysen über die Eigenheiten des männlichen Körpers, speziell dem merkwürdigen Phänomen der Dislokation von Haaren, die von erwünschten Stellen – Schädel – verschwinden, um an weniger erwünschten – Schulter, Ohren – wieder aufzutauchen.
Ob man es dagegen spaßig finden muss, wenn Lück ein Bundesland wie Brandenburg mit „Da gibt es nur Wiesen und Nazis“ tituliert, oder den ehrenwerten Rudi Carrell stellvertretend für die Niederländer als Ursache für den europaweit sinkenden IQ verantwortlich macht? Ein Update würde dem Programm „Sehr erfreut!“, mit dem Lück schon seit letztem Jahr unterwegs ist, ja vielleicht nicht schaden. Denn auch die fidget spinner, die laut Lück „vor 2 Tagen zum Spielzeug des Jahres 2018“ gewählt worden seien, sind schon geraume Zeit nicht mehr angesagt. Oder befolgt Lück hier vielleicht einfach sein dem Zeitgeist widersprechendes Prinzip der„Selbstsuboptimierung“? „Je weniger die Leute glauben, dass man etwas kann, umso geringer sind die Erwartungen an einen“. Hm.