Beiträge im Archiv April 2012

Rafal Blechacz´ Klavierabend in Stuttgart

29.
Apr.
2012

Rafal Blechacz Foto: Felix Broede

Tiefer Blick in die Musik

30 Jahre lang hatte nach Krystian Zimerman kein Pole mehr den Chopinwettbewerb gewonnen – bis Rafal Blechacz kam und 2005 nicht nur den ersten Preis, sondern auch alle vier Spezialpreise der Jury einheimste. Auch wenn es wohl Zufall ist: dass nun Blechacz das letzte Konzert der Meisterpianistenreihe gespielt hat und Zimerman im September die neue Saison eröffnen wird, ist eine beziehungsreiche Konstellation, verbindet die beiden doch mehr als der Wettbewerbserfolg. Nicht nur, dass beide am liebsten im eigenen Auto zu den Konzerten anreisen, sie gelten auch als eigensinnig. Bei Zimerman hatte das zeitweise sogar zu einem völligen Rückzug aus dem Konzertleben geführt, Blechacz besteht darauf, nicht mehr als 40 Konzerte im Jahr zu spielen. Er will genügend Zeit zur Vorbereitung zu haben.

Dass sich das auszahlt, war nun bei seinem umjubelten Klavierabend im Beethovensaal zu hören. Blechacz beginnt mit Bachs 3. Partita a-Moll. Hoch komplexe Musik, die von den überlieferten Tanzformen nur noch den Gestus und die Grundmetrik bewahrt hat und deren kontrapunktische Strukturen Blechacz mit einer Plastizität offenlegt, wie man sie nur von großen Bachinterpreten wie Perahia oder Schiff gewohnt ist. Jede Stimme erscheint konsequent durchartikuliert, wobei Blechacz immer wieder einzelne Stimmen hervortreten lässt. Wiederholungen tönt er neu ab, spielt mit Verzierungen. Der weich intonierte Steinway funkelt wie ein Juwel.

In Beethovens Sonate Nr.7 D-Dur op. 10/3 ist es vor allem das Largo e mesto, in dem Blechacz singuläre Begabung offensichtlich wird. Die metaphysische Dimension dieses Satzes bringt er dadurch zu ergreifendem Ausdruck, indem er auf die herkömmlichen Espressivowerkzeuge verzichtet, mit denen langsame Sätze gewöhnlich aufgeladen werden. Blechacz vertraut allein der Expression des Notentexts.

Nicht nur hier spürt man, dass da ein junger Pianist tiefer in die Musik hineinblickt als die meisten seiner Kollegen. In Debussys Suite bergamasque wandelt Blechacz auf den Spuren großer Klaviermagier wie Benedetti Michelangeli, indem er den poetischen Gehalt dieser Skizzen, ihre Gerüche, Bilder und Farben mittels einer stupenden Imaginationsfähigkeit zu Klang werden lässt. Das „Menuet“ erlebt man als zärtlich verklärte Apotheose des Tanzes, und in der Spieldosenmechanik des „Passepied“ lugt gar Debussys Kollege Ravel um die Ecke. Und dann Szymanowskis erste Sonate: Blechacz definiert sich als Anwalt für die immer noch unterschätzte Musik seines Landsmanns, die er mit pianistischer Bravour und jenem grenzsprengenden Impetus spielt, die den Komponisten als Seelenverwandten Skrjabins und Liszts ausweist. Als Zugaben spielt er noch zwei chopinsche Mazurken – in welcher Vollendung, lässt sich kaum beschreiben. Das muss man gehört haben. (Stuttgarter Zeitung)

Die Schwetzinger SWR Festspiele

27.
Apr.
2012

Aufgebot an großen Namen

Nicht nur das Land Baden-Württemberg feiert in diesem Jahr sein 60-jähriges Bestehen, auch die Schwetzinger SWR Festspiele finden in diesem Jahr zum 60. Mal statt. Schwerpunkte der vom 27. April bis zum 16. Juni dauernden Veranstaltungsreihe bilden wie immer Opernproduktionen und Konzerte.

Dass dabei die Crème der Klassikszene in Schwetzingen gastiert, ist eigentlich nichts Neues. Ein derartig dichtes Aufgebot an internationalen Spitzenkräften wie in diesem Jahr ist aber auch für dieses renommierte Festival ungewöhnlich. Egal, welche Disziplin man betrachtet, ob Gesang, Klavier, Cello oder Streichquartett: viele der im Moment führenden Künstler ihres Fachs kommen im Frühling nach Schwetzingen. Der besseren Übersicht wegen hat man die Konzerte thematisch gebündelt. „Klavierissimo“ heißt etwa der Klavierzyklus, bei dem neben Nikolai Demidenko und Radu Lupu auch der charismatische Piano-Individualist Grigory Sokolov spielen wird. Allein um ihn zu hören dürften manche Fans von weit anreisen. In dieselbe Liga gehört auch der Ungar András Schiff, der ein reines Schubertprogramm spielen wird, ebenso wie der kanadische Hypervirtuose Marc-André Hamelin. Dessen Konzert mit eigenen Werken neben solchen von Ives und Gershwin steht im Kontext des sogenannten „Panamericana“-Zyklus. Analog zur gleichnamigen Straßenverbindung zwischen Feuerland und Alaska soll diese Reihe die Musikkulturen zwischen Nord- und Südamerika erschließen. Eine schöne, die musikalische Mittelmeerexploration vor zwei Jahren aufgreifende Idee, bei der neben Hamelin noch bekannte Solisten und Formationen wie Giora Feidman, Jordi Savall, das Emerson String Quartet und das Ensemble Al Ayre Espanol mitwirken werden.

Ursprünglich hätte auch Heinrich Schiff innerhalb des sogenannten Cello-Gipfels ein Konzert spielen sollen. Doch ließ der Österreicher vor kurzem vermelden, dass er seine Konzertkarriere beendet hat, weshalb die Veranstalter als Ersatz kurzerhand Gautier Capuçon verpflichtet haben. Der 31-jährige Franzose zählt ebenso zu den herausragenden jüngeren Cellisten wie der ein Jahr jüngere Nicolas Altstaedt, den man im Kontext der sonntäglichen Schwetzinger Matineen im Jagdschloss hören kann. Innerhalb dieser Reihe werden Nachwuchskünstler vorgestellt, die auf dem Sprung zur internationalen Karriere sind. Wie die Pianistin Khatia Buniatishvili. Ihr im vergangenen Jahr auf den Markt gekommene Debutalbum mit Werken von Liszt erregte großes Aufsehen in der Musikwelt, manche fühlen sich angesichts der Technik und des Temperaments der Georgierin sogar an die große Martha Argerich erinnert.

Noch illustrer ist der Zyklus Schwetzingen Vokal besetzt. In jeder Stimmlage treten hier einige der weltweit führenden Sängerinnen und Sänger auf. Dazu zählen die Sopranistinnen Dorothea Röschmann und Magdalena Kozená ebenso wie die große bulgarische Mezzosopranistin Vesselina Kasarova, die Liedsängerlegende Christophe Prégardien und die beiden deutschen Baritone Christian Gerhaher und Matthias Goerne. Auch das Aufgebot an Vokalensembles ist erstklassig: es gastieren das SWR Vokalensemble Stuttgart, das Hilliard Ensemble und das Ensemble Stile Antico.

Traditionell gehört der Auftrag zur Komposition einer neuen Oper zum Kern der Schwetzinger Festspiele. Mehr als 40 Werke zählt die Liste der hier im Lauf der sechs Jahrzehnte uraufgeführten Werke, unter den Komponisten sind fast alle großen Namen der zeitgenössischen Musik wie Hans Werner Henze, Salvatore Sciarrino, Adriana Hölszky oder Wolfgang Rihm.

2012 ist diese Ehre dem 42-jährigen Enno Poppe zuteil geworden, der für Schwetzingen ein Werk mit dem Titel „IQ“ nach einem Text von Marcel Beyer geschrieben hat. Der Titel ist Programm: das Libretto basiert auf Originaltönen von Menschen, die bei Intelligenztests mitgewirkt haben. Die Instrumentalisten sollen dabei, so Poppe, zu „integralen Bestandteilen eines hermetischen Versuchssystems“ werden. Inszenieren wird das Stück die wohl bedeutendste Bühnenbildnerin unserer Zeit, Anna Viebrock, die seit einigen Jahren auch selber Regie führt. Die musikalische Umsetzung übernimmt eines der besten Ensembles für neue Musik, das Klangforum Wien.

Ebenfalls zur Schwetzinger Operntradition zählt die Wiederbelebung eines (zu Unrecht) wenig bekannten historischen Werks. In diesem Jahr wird es „Rosamunde“ sein, eine Oper des Komponisten Anton Schweizer nach dem Libretto von Christoph Martin Wieland. Der im 12. Jahrhundert angesiedelte Plot dreht sich um Liebe, Eifersucht und Hass: Eleonore, die ehemalige Königin von Aquitanien verübt einen Giftanschlag auf Rosamunde, die Geliebte ihres Gatten, Heinrichs II.. In Szene gesetzt wird die Oper, eine Koproduktion mit dem Theater Dortmund und dem Weimarer Nationaltheater, (Anton Schweizer war einst am Weimarer Hoftheater engagiert) von Jan Willem de Vriend.

Eine weitere Veranstaltungsreihe ist die dem 76-jährigen Komponisten Aribert Reimann gewidmet, der im letzten Jahr mit dem Ernst von Siemens Musikpreis ausgezeichnet wurde. Auch für die Aufführung seiner Werke wurden namhafte Solisten und Ensembles verpflichtet: Unter anderem die Sopranistinnen Christine Schäfer und Mojca Erdmann sowie den Klarinettisten Jörg Widmann.

Der Schwerpunkt der Konzerte liegt zwar auf Kammermusik, aber auch die Liebhaber von Orchestermusik gehen nicht leer aus. Natürlich ist das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR mit von der Partie, Freunde alter Musik dürften sich aber besonders auf das Gastspiel des Freiburger Barockorchesters freuen, das mit dem Hammerklaviersolisten Kristian Bezuidenhout Mozartkonzerte spielen wird. Mozarts berühmtes Requiem werden das Ensemble Anima Eterna zusammen mit dem Collegium Vocale Gent unter der Leitung von Jos van Immerseel aufführen.

Dazu gibt es diverse Einzelveranstaltungen. Literarisch-musikalische (u.a. mit Bruno Ganz), Lesungen (mit Alfred Brendel), es gibt aber auch Angebote für kulinarisch Interessierte. Im Mittelpunkt steht dabei: Spargel.

Veröffentlich mit vielen Fotos auf http://www.kulturfinder-bw.de/index.php?id=255

 

Das Dänische Nationalorchester mit Tzimon Barto unter Thomas Dausgaard in Stuttgart

21.
Apr.
2012

Tzimon Barto

Etwas lau begann das Konzert des Dänischen Nationalorchesters unter ihrem langjährigen Chefdirigenten Thomas Dausgaard im Beethovensaal. Schumanns dritte Sinfonie, die „Rheinische“ hatte Dausgaard schon vor einigen Jahren mit dem Schwedischen Kammerorchester aufgenommen – klein besetzt und, was Phrasierung und Tempowahl anbelangt, durchaus an den Maximen historischer Aufführungspraxis orientiert. Zwar wählte Dausgaard auch mit den Dänen durchweg zügige Tempi und bemühte sich vor allem in den Ecksätzen um organische Durchformung und tänzerischen Schwung, aber die klangliche Übermacht der groß besetzen Streicher machte alle Bemühungen um Durchhörbarkeit und Klanggestaltung weitgehend zunichte. Die Holzbläser hatten kaum eine Chance, gehört zu werden, selbst das Blech musste sich mächtig ins Zeug legen. Dazu kam, dass auch der Streicherklang selbst eine deutliche Tendenz zum Pastosen offenbarte, was nicht zuletzt daran lag, dass offenbar jeder Musiker selber über den Einsatz von Vibrato bestimmen konnte. Das setzte vor allem dem langsameren Mittelsätzen schwer zu: deren fragile Linien verschwammen wie hinter einer Nebelbank.
Zwei Tage zuvor hatte das Orchester Griegs Klavierkonzert a-Moll in Essen noch mit der Pianistin Alice Sara Ott aufgeführt, an diesem Abend übernahm der Amerikaner Tzimon Barto den Solopart. Nicht nur optisch ist der kraftstrotzende Hüne Barto der größte denkbare Kontrast zu der zarten Klavierfee Ott, auch pianistisch trennen die beiden Welten.  Barto setzte an diesem Abend auf die Wirkung extremer Kontraste: reizte die Agogik in den lyrischen Passagen bis an die Grenze zum Überphrasieren aus, um kurz darauf den Steinway wieder mit massiven Bassattacken zu traktieren. Zwar lebt Griegs Konzert von abrupten  Stimmungswechseln und  Kontrasten – die sollten aber nicht, wie hier, als abrufbare Register einfach gezogen, sondern als Haltungen einer zerrissenen romantischen Seele erlebbar werden. Exemplarisch wurde Bartos Vorstellung von musikalischer Tiefe dann in seiner Zugabe: dem agogisch zerfaserten, prätentiös hingetupften chopinschen Nocturne cis-Moll op. posthum.
Welch großartigen Eindruck hinterließ im Vergleich dazu Richard Strauss´ musikalische Posse „Till Eulenspiegels lustige Streiche“! Hier, wo es um musikalische Deskription geht, um das Ausformulieren von Charakteren und Situationen, brillierten die Dänen mit meisterlicher instrumentaler Virtuosität und einem kompakten, ausbalancierten Klang, bei dem sogar die Streicher jene Konsistenz bewiesen, die man bei Schumann noch so schmerzlich vermisst hatte. Nämliches galt für  die Zugaben: zuerst das kontemplativ zelebrierte „Nimrod“ aus Edward Elgars Enigma-Variationen, dann das schmissig hingelegte wagnersche Lohengrin-Vorspiel zum 3. Akt. (Stuttgarter Zeitung)

 

 

Die Swing-Legenden Greger, Strasser und Kuhn spielten mit der SWR-Big-Band in Stuttgart

12.
Apr.
2012

Keine Zigaretten, kein Alkohol, dafür Wandern und Radfahren – so beschreibt Hugo Strasser sein persönliches Gesundheitsprogramm. Neben dem Musizieren, natürlich. Das mag etwas langweilig klingen, scheint bei ihm selber aber gewirkt zu haben. 90 Jahre alt ist er am vergangenen Samstag geworden, und Strasser ist nicht bloß als rüstig zu bezeichnen – nein, wie er da tadellos gekleidet auf der Bühne des ausverkauften Beethovensaals steht, wirkt er wie ein eleganter Herr in den besten Jahren- fast wie zu seinen Zeiten als Leiter seines legendären Tanzorchesters, das jahrzehntelang den Ton angab auf den Tanzbällen der alten Bundesrepublik. Mit 65 Jahren gründete Strasser das Quintett Hot-Five, mit dem er bis heute unterwegs ist, und seit nunmehr zwölf Jahren tourt er mit seinen Kollegen Max Greger und Paul Kuhn als Swing-Legende durchs Land.

Meist war es Max Greger, der dabei den ersten Auftritt hatte, an diesem Abend ist es das Geburtstagskind Strasser, dem zu Ehren die SWR-Bigband zunächst mal eine kleines Ständchen spielt. Er sei froh, meint Strasser, dass er immer noch dabei sei, und fange deshalb auch gleich an zu spielen: „Danny Boy“, „Bei mir bist du schön“, der Ton mag etwas brüchig sein, aber das Timing, wie man die Synkopierungen setzt, das hat er noch immer drauf. Und das ist schließlich das Wichtigste beim Swing.

Dann kommt Max Greger. Wie Strasser ist auch er in München geboren, doch im Gegensatz zum Gentleman Strasser hat er in diesem Trio die Rolle des Entertainers übernommen. Der 86-jährige ist immer noch eine Rampensau, die das Publikum braucht, um zur Hochform aufzulaufen. Die meisten seiner Sprüche kennt man schon – „Wie kann ein Mensch so schön Saxofon spielen?!“ – aber das Publikum quittiert sie dankbar mit Applaus. Greger trägt ein weinrotes Sakko zur dunklen Hose, scherzt ein wenig über sein nachlassendes Kurzzeitgedächtnis und gibt der SWR-Bigband den Einsatz zu Sidney Bechets Klassiker „Petite Fleur“. Er spielt mit dem bekannt rotzigen Ton: alles ein wenig übertrieben, die Backen aufgeblasen, den Oberkörper soweit nach hinten gebeut, wie es die Wirbelsäule noch zulässt. Dazwischen stellt er sich fingerschnippend vor die brillante SWR-Bigband und dirigiert mit, eine alte Bandleadergewohnheit. Die lassen es gerne geschehen, denn ihre Liaison mit dem Altherrentrio ist eine Verbindung zum gegenseitigen Nutzen: eine ausverkaufte Tournee durch große deutsche Konzertsäle wäre für sie ohne die betagten Zugpferde kaum realistisch.

Sogar Paul Kuhn ist in Stuttgart wieder mit dabei. 2008 musste er absagen, und viele haben nicht daran geglaubt, dass der 84-jährige, schon seit langem gesundheitlich angeschlagene Kuhn jemals wieder mit auf Tour gehen könnte. Man erschrickt auch zunächst ein wenig, so schmächtig und blass wirkt Paul Kuhn, als er da von links, ganz langsam und vorsichtig, die Bühne betritt. Fast hat man Angst, die geballte Kraft der Bigbandbläser würde ihn gleich wegfegen. Das Klavier lässt er zunächst links liegen und greift zum Mikrofon. Und es hat etwas ungemein Berührendes, wie dieser alte kleine Mann, einer des Pioniere des deutschen Jazz, mit zunächst etwas wackliger, aber dann doch immer klangvoller werdenden Stimme „Come fly with me“ anstimmt, einer der großen Hits Frank Sinatras. Bei „You don´t mean a thing“ leistet sich Kuhn sogar eine Scateinlage – aber was da, angesichts seiner eingeschränkten vokalen Fähigkeiten zunächst tollkühn anmutet, das biegt der alte Fuchs souverän um ins Humoristische, indem er das Scatten ins Brabbeln und das in ein trocken hingelegtes „Haben Sie eigentlich schon was gegessen?“ münden lässt. Er ist und war kein Sinatra, und das weiß er ganz genau. Aber dass er noch immer ein guter Pianist ist, beweist er gleich darauf in einem entspannten Duett mit Greger zu „In a Sentimental Mood“.

So geht der Abend aufs Kurzweiligste dahin. Die Musiker der SWR-Big-Band setzen die solistischen Highlights, die drei Herren zeigen in verschiedenen Besetzungen bei Klassikern wie „Honeysuckle Rose“, „Tequila“ oder „Moonlight Serenade“ ihr immer noch beträchtliches Können, und am Ende klatschen zu „O when the Saints“ alle mit. Von einer „Abschiedstournee“ ist übrigens, anders als vor vier Jahren, überhaupt keine Rede mehr. „Wir kommen wieder!“ Aber gerne. (Stuttgarter Zeitung)

Das Ballett der Semperoper Dresden war mit „La Bayadère“ zu Gast beim Abu Dhabi Festival

04.
Apr.
2012

Foto: Costin Radu

„Gold to go“ – kein Problem mit dem Goldautomaten. Gewünschte Barrengröße wählen, Kreditkarte einlesen, schwupps, schon liegt das Edelmetall im Warenausgabeschacht. In Las Vegas, London und Mailand findet man je einen der mannshohen Kästen, aber allein drei davon stehen in Abu Dhabi. Einer in der Marina Mall, dem größten Einkaufszentrum des Emirats. Durch eine riesige Glasfront betritt man eine Shopping- und Erlebniswelt, deren Dimensionen selbst amerikanische Touristen in Staunen versetzen können. Abend- und Morgenland scheinen hier in friedlichster Eintracht zu koexistieren. Vollverschleierte Frauen schlendern neben kurzberockten Ladies durch die Designershops von Chanel, Gucci und Co., Männer in der Dischdascha, der traditionellen Tracht, üben Torwandschießen. Es gibt zwanzig Restaurants, ein Kino, eine Bowlingbahn. Und wer es zusätzlich zur Air condition gern noch etwas kühler mag: ein Schneepark mit Skipiste ist bereits im Bau.

Abu Dhabi ist nicht nur das größte, sondern auch das mit Abstand reichste der sieben Vereinigten Arabischen Emirate. Während im benachbarten Dubai die Ölvorräte allmählich zur Neige gehen, sprudelt das schwarze Gold in Abu Dhabi, das allein über knapp 10% der Weltvorräte verfügt, noch geschätzte 120 Jahre. Das sichert nicht nur den 250 000 Emirati, wie sich die Staatsangehörigen von Abu Dhabi nennen, eine großzügige staatliche Versorgung – das Pro-Kopf-Einkommen ist das dritthöchste der Welt – sondern ermöglicht dem seit 2004 von Scheich Chalifa bin Zayid Al Nahyan regierten Land immense Möglichkeiten zur Investition.

Wie den Bau des 2005 eröffneten Emirates Palace Hotel. Hier pflegen die Emire zu nächtigen, wenn sie sich zu Staatsgeschäften treffen, jedem von ihnen ist eine 1200 qm große Suite dauerhaft reserviert. Alles, was in diesem Prunkbau glänzt, ist wirklich Gold. Der an Monumente aus der Zeit des Absolutismus erinnernde, drei Milliarden Dollar teure Riesenbau dient als Luxushotel, Palast für Staatsgäste und Konferenzzentrum. Im Untergeschoss beherbergt er ein Auditorium, in dem auch die wichtigen Konzerte und Aufführungen des Abu Dhabi Festivals stattfinden.

Das seit 2004 jährlich stattfindende Festival ist ein Teil des groß angelegten Konzepts der Regierung, Abu Dhabi zu einer internationalen Kulturmetropole zu entwickeln. Konzerte, Theateraufführungen und Ausstellungen bilden den Kern des Festivals, dazu kommen diverse Förder- und Bildungsprogramme. In diesem Jahr lautete das Thema „Connecting cultures“, was man durchaus als Motto für die Kulturkonzeption Abu Dhabis insgesamt auffassen kann. Man pflegt die eigenen kulturellen Wurzeln, sucht aber auch den Kontakt mit westlicher Kunst – jedenfalls solange die nicht den strengen islamischen Sitten entgegensteht. Einen Schwerpunkt des Programms bilden Weltmusik- und Crossoverkonzerte, bei denen arabische mit westlichen Musikern musizieren, aber auch spezifisch westliche Kunstformen wie Oper oder Ballett werden angeboten.

Am vergangenen Wochenende waren zum ersten Mal die Ballettkompanie der Semperoper Dresden und die NDR Radiophilharmonie Hannover zu Gast. An zwei Abenden haben sie unter der Leitung von David Coleman im Emirates Palace „La Bayadère“ aufgeführt, ein abendfüllendes romantisches Ballett über die Liebe zwischen der indischen Tempeltänzerin Nikija und dem tapferen Krieger Solor, entstanden in der Blütezeit des kaiserlich-russischen Balletts am Mariinsky-Theater in St. Petersburg. Das Stück mit der überaus süffigen Musik des gebürtigen Wieners Léon Minkus ist ein orientalisches, reichlich klischeebehaftetes Märchen aus 1001 Nacht, das aber im 2. Teil den berühmten Schattenakt enthält: dem Helden erscheint seine Geliebte in einer nächtlichen Opiumvision in vielfacher Gestalt. Dieser Teil des Balletts wird von Kompanien auch gerne separat aufgeführt, und es ist wirklich ein betörendes Bild, wenn die 24 Tänzerinnen in Tutus quasi engelsgleich vom Himmel schweben und sich in Choreografien von berückender Anmut synchron bewegen. Da gab es dann auch im nicht ganz ausverkauften Saal Szenenapplaus. Waren hier Bühne und Kostüme aufs Äußerste reduziert, so galt für die anderen Akte offenbar das Motto „Je bunter, desto besser“: Schnabelschuhe und federbesetzte Turbane wie beim Karneval, dazu wallende, bestickte Gewänder in allen Farben. Einmal flog sogar ein komplett mit Goldfarbe angepinselter Tänzer herein, am Ende durften die Pyrotechniker gar noch Knaller zünden und die Bühne in Rauchschwaden hüllen. Die Vorliebe des arabischen Publikums nach Opulenz dürfte das Stück, das in Dresden bereits 2008 Premiere hatte, nachhaltig bedient haben.

Freilich: Internationales Kulturpublikum, das dafür eigens an den Golf reist, wird man allein mit solchen Veranstaltungen kaum gewinnen können. Das könnte sich in einigen Jahren ändern, wenn das Megaprojekt auf der vorgelagerten Insel Al Saadiyat Gestalt angenommen hat, wo zurzeit das weltgrößte Ensemble spektakulärer Kulturbauten entsteht, darunter vier Museen, eine Oper, eine Konzerthalle und drei Theater. Frank Gehry, der schon das Guggenheim Museum in Bilbao geplant hat, baut hier die größte Filiale des New Yorker Museums, unter der Leitung von Jean Nouvel wird eine Dependance des Pariser Louvre errichtet. Und der Brite Sir Norman Foster ist mit dem Bau des Sheik Zayed Nationalmuseums beauftragt, einer Hommage an den 2004 gestorbenen Emir von Abu Dhabi, unter dessen Herrschaft das einstige Beduinenvolk innerhalb weniger Jahrzehnte in die Moderne katapultiert wurde.

Ob den Machthabern aber so richtig klar ist, dass sie sich mit westlicher Kunst langfristig auch westliche Ideale ins Land holen? Zwar wurden die Emirati bislang mit materiellen Wohltaten erfolgreich ruhiggestellt, der arabische Frühling findet anderswo statt. Doch dass auch in Abu Dhabi die Machthabenden nervös werden, hat unlängst die erzwungene Schließung der Niederlassung der Konrad-Adenauer-Stiftung deutlich gezeigt. Auf Dauer dürfte sich das Entstehen einer gesellschaftlich aktiven Zivilgesellschaft selbst in einer solchen Wohlstandsoase kaum verhindern lassen. Auch nicht mit Goldautomaten.